Das Private abermals und das Politische: Arbeitsjournal des 21. Mais 2010. Sowie Dittrichs Verwandlung nach Kafka.

5.56 Uhr:
[Am Terrarium.]
Nun ist >>>> die „alte” Diskussion wieder aufge-… na gut, -„flammt” zu scheiben, ist sicher zu hochgehängt, jedenfalls dort n o c h. Aber das Thema wird mir und Ihnen seit dem >>>> Buchverbot bleiben, das auch anderwärts, wie ich hörte, zu immer wieder erneuter Beschäftigung führt und wenigstens bei Juristen für akademischen Stoff sorgt, mit dem’s sich auch promovieren läßt. „… bin ich auf Ihren ebenso mitreißend-tiefgehenden wie melancholisch-sinnlichen >>>> Roman “Meere” gestoßen und habe ihn verschlungen”, schrieb mir dieser Tage eine wahrscheinlich junge Rechtsdoktorantin, was mich vor allem jenseits der juristischen Grundfragen, die einen Künstler interessieren, gefreut hat: das Buch w i r k t. Man unterschätze dabei nicht die Funktion, die auch Die Dschungel dafür hat, insbesondere dadurch, daß wir hier das vielleicht nur Scheinbare mit dem vielleicht sogar Realen munter weitervermischen – wobei es letztlich um die literarische Konstruktion einer jeden Wirklichkeit geht, soweit sie nicht – das ist selbstverständlich: Hungernde sind keine Erfindung – existentiell bedroht ist.

Bin seit 5 Uhr auf, kurz danach kam लक. Es gab frischen Kaffee. Dann war das Zwillingsbüblein da, und eben tappt mein Junge durch den Raum und hat seinen Morgenkakao schon getrunken, der auch für die Kleinen bereitet ist. Hier auf dem Arbeitstischchen liegen Willi Reichs „Arnold Schönberg oder Der konservative Revolutionär”, Eberhard Freitags Schönberg-Monografie von rororo (ganze Seiten hat er, merkte ich gestern abend, aus dem Reich abgeschrieben), sowie Ernst Blochs Hoffnungsprinzip I, zum Wiederlesen: Kapitel um wunderschöne Sprache für Kapitel, woraus ich mir auch >>>> für Gurre einiges erhoffe. „Kein Trieb ohne Leib dahinter”, las ich eben. Gegen halb acht werde ich, zusammen mit meinem Jungen, aufbrechen; wir haben bis zur Arbeitswohnung denselben Weg, danach muß er alleine noch einhundert Meter weiter. Auf dem Schreibtisch aufgeschlagen, drüben, liegt, für ein nächstes Gurre-Exzerpt bereit, das >>>> Handbuch des Deutschen Aberglaubens, das bereits für den >>>> Wolpertinger eine Quelle gewesen ist. À propos hat MelusineB, der ich auch in anderem Zusammenhang noch antworten möchte, >>>> einen ausgesprochen guten Kommentar unter der dritten Probe hinterlassen: mit Milton zu kommen, ist mehr als nur geschickt. Es bringt die Gurre-Überlegungen in einer n o c h weiteren Richtung voran.

Abends dann, der Dramaturg lud mich ein, >>>> Dittrichs Musiktheater nach Kafka, über das ich dann nachts oder morgen früh schreiben werde. Das Private ist unauflösbar mit dem Künstlerischen verbunden. Guten Morgen: Ich werde, wenigstens >>>> bis zur Premiere, eine neue Rubrik für GURRE einrichten, damit sich die Texte auch dann schnell finden lassen, wenn ich sie, ihrer Ausdehnung halber, von der Hauptsite je wieder herunternehme.

8.25 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Morgencigarillo, Latte macchiato. Ich >>>> konnte es mir nun d o c h nicht verkneifen; sehn Sie’s einfach als Schwäche. Man ist ja Mensch, hier darf man’s sein.
Gleich geht’s an Gurre-5, danach ist Post zu sichten und ein wenig Ordnung herzustellen. Indes ich >>>> an die Putzfrau nun doch die Frage habe, ob sie nicht bei mir putzen möchte; ich brauch so dringend eine. Vielleicht daß sie dabei gleich meine Zerrissenheit mit wegputzt; ich meine: weshalb gibt es immer nur Nacktputzer? Frauen scheinen – vielleicht aus geschichtlicher Erfahrung? – solche Neigung weniger zu spüren, was an sich schade ist. Wahrscheinlich hat >>>> der da genau deshalb sein Problem mit mir. Ich aber mag es ihm nicht nehmen. – Sò: arbeiten. Ich habe gar keine Zeit, mich drüber zu wundern, wie schnell Herr Seldor hier immer wieder mitliest. Der Mann ist nach Der Dschungel süchtig. Das möchten wir auch gar nicht ändern.

11.05 Uhr:Ordnung wieder auf dem Schreibtisch, das tut schon mal gut. Jetzt die Küche, a u c h dringend, dann der zweite Arbeitstisch, dann die Ablage: Post, Rechnungen usw. Damit etwas Übersicht wird. Um halb drei muß ich zur Schule rüber.

11.31 Uhr:
Meine Güte! >>>> Als bestünde Die Dschungel allein aus dem Arbeitsjournal und als bestünde dieses allein aus einer vorgeblich indiskreten Erzählung von Privatheiten!

16.41 Uhr:
[Schönberg, Gurrelieder (Abbado).]
Abgebrochener Mittagsschlaf, weil in der Schule meines Jungen was umgewuchtet wurde; er kam dann direkt hierher, ich aus dem Schlaf hoch und direkt mit ihm wieder rüber. Anfangs schwieriges Gespräch. Ich habe einen, was mich nicht unstolz macht, widerständigen Sohn, auch die Lehrerin und ich gerieten anfangs scharf aneinander; sie stand klugerweise sofort auf und holte eine dritte erwachsene Person hinzu, die tatsächlich ausgesprochen ausgleichend wirkte; jetzt wurde mir auch nicht mehr das Wort abgeschnitten – auf was ich „traditionellerweise” mit scharfem Ton reagiere… wobei ich ihn nicht mal hob; aber es wird oft so empfunden, weil die Leute nicht ahnen, was es bei mir heißt, wenn ich wirklich schreie. Ich tu erstmal nix anderes, als von der Brust- ganz hoch in die Kopfstimme zu wechseln und da ein wenig zu drücken; das leert dann immer schon den Raum wie ein Brett, das kraftvoll hindurchgeschoben wird. Wenn ich schreie… das ist tatsächlich etwas ganz anderes. Jedenfalls hatten wir dann eine Art Mediatorin dabei, was ich selbst als angenehm empfand. Hilft ja auch nichts: rein inhaltslogisch hatte mein Bub recht, versicherungstechnisch die Lehrerin, die sich überdies schon ins Risiko begeben hatte. Was ihr sehr hoch anzurechnen ist. Nur daß mein Junge auf Verbote und allgemein auf „onfait”s genau so widerborstig reagiert wie ich. Das ist durchaus nicht immer klug, und ich fragte mich: m u ß er denn unbedingt meinen Weg gehen? Jedenfalls kamen wir zu einem Einverständnis, es gab da noch ein paar mehr Klagen, berechtigte, sehr berechtigte. Ich denke, das wurde ihm klar. Und es ist ja wirklich nicht schwer, mal „Entschuldigung” zu sagen. Nur muß er d a s dann ohne mich tun, denn solche Wege geht man allein. Das ist ein Prinzip, da ist man zu stolz, um einen Händchenhalter mitzunehmen.
Gut. Das war dann erst einmal geklärt. Bei dreißig Kindern m u ß sich eine Lehrerin drauf verlassen können, daß die Kinder, jedenfalls außerhalb der Schule, auf sie hören; andernfalls wird das ein Höchstseilakt ohne Netz.
Danach hierher und auf Lesungsjagd gegangen. Ich habe wieder Blut geleckt, will mehr. Eine Einladung aus der >>>> römischen Massimo kam; wenn ich ihr folgen sollte – das hängt davon ab, wer die Kosten trägt -, werde ich gleich meinen Besuch bei der >>>> fondazione Scelsi dranhängen. Die „Sache” ist freilich ein bißchen irre, weil ich am 24. Juli mit dem Jungen eh nach Rom fliegen wollte, dieses Treffen aber bereits am 17. stattfinden soll. Also hin nach Rom und wieder zurück nach Berlin und wieder hin nach Rom. Hm.

[Robert HP Platz/ANH, Anderswo.]

Espresso nach der Dusche. Pfeifenrauch. Mit der Ablage begonnen.

2 thoughts on “Das Private abermals und das Politische: Arbeitsjournal des 21. Mais 2010. Sowie Dittrichs Verwandlung nach Kafka.

  1. Leider Lieber ANH,
    DieDschungel bestehen aus Ihnen. Und anderem, anderen. Sie schrieben, Sie würden Beruf und Privates nicht trennen, denn das sei bourgeois. Wie ernst ist es Ihnen denn nun damit? Wie ernst nehmen Sie sich, die anderen, Ihre Arbeit, Ihr Privatleben?

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