Die letzten Tage 78

Vom ersten Juni sah die Madonna di Fatima nur den Morgen, als im Tageslicht ihre wächserne Puppigkeit erst wirklich hervortrat, und das Glanzpapier nicht mehr in den Knitterfalten mit dem Licht spielte, als habe das Bild eine Bedeutungsschicht über seine eigentliche glatte Fläche legen und somit vorgaukeln wollen. Ich nahm das Bild und zerriß es kurzerhand. Es ist eben doch etwas anderes, sich nicht von der einen Madonna in Brügge lösen zu können, von ihrem Gesichtsausdruck, von der Neigung des Kopfes, nicht weil sie Michelangelo gemacht, denn das erfuhr ich erst hinterher, sondern weil sie sprach, was natürlich ihm zu verdanken. Alles, was eine große Wirkung getan hat, kann eigentlich gar nicht mehr beurteilt werden. Goethe zu Kanzler Müller über Shakespeare. Der Bannkreis um solche Werke. Die Tage fließen so hin. An den Vormittagen Bibliographieren, dann langsam schon das Gefühl für das neue Bett, weil der Schmerz weiterhin von Paracetamol unterdrückt wird (der Versuch, darauf zu verzichten, hatte mir nicht bekommen), am frühen Nachmittag, einfach nur liegen und recht bald wegsacken. Angelus Novus (nicht wirklich konzentriert) und Una vita violenta dann. Oder gar nichts. I muri delle casette tacevano, perché i muri tacciono. Autofahren probiert. Geht. Aber zum Trasimeno-See reicht’s nicht, wo die Nichtantwortende einen (wie sie mir am Telefon sagte) Wohnwagen hat, der ihr Zuflucht vor der nahen Stadt Perugia, wo sie wohnt. Zumal ich eh’ „fuori combattimento“ bin, also kampfunfähig. Ein Begriff, der mir gestern im Supermarkt auch wieder einfiel. Herrlicher Blickwechsel. Aber hier schieben sich Ebenen mit verschiedenen Neigungs- und Abneigungsgraden in- und übereinander. Das Vordergründige ist das Triftige. Das Hintergründige der direkte Draht. O. rief an, erkundigte sich nach dem Befinden, legte mir erneut einen Check-up nahe, immer mit dem Hinweis, man werde schließlich älter. Das Gefühl, als wäre ihr diese „Katastrophe“ geradezu ein willkommener Anlaß. Sinngemäß drückte sie sich so auch aus. Sicher, S., mit ihrer umwerfenden Gentilezza. „Ma torno solo dopo il 20.“

>>> Bildquelle.

8 thoughts on “Die letzten Tage 78

  1. … und sie sann darüber nach.
    tentakeleinfühlsam.
    über schwere und leichtigkeit,
    die sie wahrnahm.
    über gefühlten irrtum
    und ebensolche wahrheit.
    sie fühlte und sann nach.
    ohne darob
    anderes ergebnis zu finden,
    als jenes,
    welches sie immer schon kannte.
    stillstand.

  2. So still geworden im Tagebuch. Herr Lampe sporadisch, Frau C. sehr selten, Herr R. nicht mehr. Was ist los? Fragt sorgenvoll: Ben

    1. Stille dürfte gerade vor allem bei den vielen unterprivilegierten und direkt Betroffenen Bürgern herrschen, welche nun offenbar für die hausgemachte Finanzkrise eines schlecht geführten Staates bezahlen sollen!

      Da pfeife ich ehrlich gesagt auf die “Stille im Tagebuch” eines Herrn XY.

    2. das ist hier ein perfektes Endspiel. Einer stenografiert irgend eine Dingsbumsopernprobe mit, der andere fragt nach Kommentaren. Endzeit. Niedergang. Leere im Text.

    3. Auf die Uhrzeit natürlich (when shadows fall and trees whisper day’s ending usf. final song in Shining), sofern die Sonne scheint (pardon, erst gestern gemerkt, daß hier weiter kommentiert wurde).

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