Arbeitsjournal. Donnerstag, der 22. Juli 2010. Für eine Freundin. Mit einer Bemerkung zu Untertanen à la Löbichau. (Sechs Tage vor Rom).

17.36 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Ich habe im Krankenhaus eine enge Freundin besucht, die, wie ich >>>> gestern schrieb, ihre Zeit weiß. Das Ungefähre unseres Lebens und seiner Dauer ist aufgehoben worden; mit einem solchen Menschen gibt es nur das klare Gespräch. Diese Klarheit spiegelt sich in einen selbst zurück, obwohl man selbst im Ungefähren b l e i b t; es nimmt einem das Ungefähre nicht, aber relativiert es. Was täte ich selbst? Die Frage ist hypothetisch, ich weiß, aber ist da.
So verging der Vormittag, vierzig Kilometer mit dem Rad waren das, mein Schädel und meine Schultern glühn von der Sonne. Die Frage wird mich weiterbeschäftigen; wir Freunde werden den Weg, soweit wir dürfen, begleiten. Das ist nicht fern. Das verantwortet auch. (Sie wird dies lesen; das verantwortet gleichfalls).

Eine Schüssel voll geschnittenen Obstes gegessen, über das ich süßen, mit Milch verlängerten Joghurt gegossen habe. Dann geschlafen. Dann mit den >>>> Kulturmaschinen telefoniert: der Satz für „Azreds Buch” liegt jetzt vor und kam als pdf, die ich ausdrucken und während des Italien-Aufenthaltes korrekturlesen werde. Den Dielmann-Komplex durchgesprochen. Die Bamberger Elegien durchgesprochen, die >>>> bei Elfenbein erscheinen werden; wir wollen dafür hinten in „Azreds Buch” eine Anzeige schalten. Auch über die Freundin gesprochen, ohne Namen, nur diese Frage: Was tätest d u? Auch da dann, was denn Verantwortung bedeute.

Mein Junge rief eben an, er ist von der Ostsee zurück. In einer Stunde wird er herüberkommen, wir werden etwas essen gehen und ein Eis essen danach noch. Bis dahin versuche ich, mich wieder auf >>>> Die Fenster von Sainte Chapelle zu konzentrieren.

Was >>>> Leute wie Löbichau so abfällig und großmäulig macht, ist allein, daß mein Werk nicht von einem kapitalstarken und bekannten Verlag vertreten wird. UF formulierte das gestern so: ist klar, und diese hunderte leser muß man, wie dr. NO, einfach dazu bringen, z.b. den wolpertinger zu lesen. besser noch: vorher zu kaufen. so zu kaufen, daß du tantiemen kriegst. ich werde ja nicht der einzelfall sein, daß dieses buch mein leseverhalten und literaturverständnis verändert hat. weil ich in der saumißlichen situation war, als ddr-mensch, dem man entweder nur regimetreuen dreck oder hochliteratur wohlkommentiert gegeben hat, nun entscheiden zu müssen: ist das literatur, ist das dreck? warum, zum deibel, wenn es literatur ist, erscheint es in so einem pipi-verlag? und nicht bei suhrkamphanserrowohlt. ichseh mich im sandweg aufm balkon sitzen, den ziegel in der hand, immer tiefer reinfallend, und mit meinem ossiverständnis von westlichem verlagswesen daran zu verzweifeln: eigentlich kann es ja doch keine literatur sein, wenns nicht in einem RICHTIGEN verlag kommt? DAS sind zweifel, mein lieber. wie’s ausgegangen ist, weißte ja.Leute wie Löbichau wissen selbstverständlich sehr genau, welche Kriterien, vor allem persönlichen Ausschlußkriterien im Betrieb wirken, sie w i s s e n, daß längst ein restloses Angepaßtsein gefordert wird, Lakaientum gefordert wird, und sie wollen das. Möglicherweise ist Löbichau selbst ein, aber wahrscheinlich belangloser Mitspieler oder hat sich längst selbst korrumpiert, ohne dafür wahrscheinlich überhaupt einen „Lohn” bekommen zu haben – und dann steht da einer wie ich und sagt einfach „Nein”, sagt es gegen jedes Schmiergeld, das man ihm bietet und irgendwann halt nicht mehr bietet, weil jeder weiß: den kriegen wir nicht klein. Das tut weh, das wurmt. Seit es Die Dschungel gibt, kann man mich nicht einmal mehr verschweigen. Das macht sogar Haß. Und ständig erscheinen neue Bücher, für die es auch sehr kluge Leser gibt. Rezensenten gibt. Also versucht man, nunmehr auch die zu diskreditieren. So, nicht anders, funktioniert der Betrieb. Es sei denn, man steht für ein Tabu-Thema, etwa Auschwitz; bei solchen wagt man es nicht, sondern feilt an den Tabus mit, egal, ob man sie damit fetischisiert und ökonomisch zurichtet. Jedenfalls haben die Löbichaus allen Grund, anonym zu bleiben. Es ist eine kluge Feigheit: widerlich, aber klug.
Mehr will ich zu dem ganzen Zeug eigentlich nicht mehr sagen.

7 thoughts on “Arbeitsjournal. Donnerstag, der 22. Juli 2010. Für eine Freundin. Mit einer Bemerkung zu Untertanen à la Löbichau. (Sechs Tage vor Rom).

  1. Arthur Schnitzler konnte in die Zukunft sehen und hat deshalb diesen schönen, zitierbaren Satz geschaffen:

    Wer deine bittersten Feinde sind? Unbekannte, die ahnen, wie sehr du sie verachten würdest, wenn du sie kenntest. – Arthur Schnitzler

  2. Ich habe mich, lieber Alban, lange nicht gemeldet. Ich war beschäftigt. Mit mir selbst. Mit dem, was ich dafür gehalten habe. Und auch noch immer halte. Ich bin also keinen Schritt weitergekommen.

    Der erste Abschnitt deines Arbeitsjournals hat mich seltsam berührt. Aber deswegen melde ich mich nicht. Du hast dafür gesorgt, dass auf meiner Sommerlektüreliste Wolf von Niebelschütz steht („Es lag ein Bischof tot in einer Mur“). Auf dieser Liste steht auch der Benjamin Stein. Da ich aber, wenn ich im September nach Rumänien fahre, ein Buch von dir mitnehmen möchte, und nicht nur mitnehmen, brauche ich deinen Rat. Ich habe den Briefwechsel zwischen dir und NO zum “Wolpertinger” gelesen, fürchte aber, dass gerade dieses Buch für mich schwer verständlich sein wird, durch die vielen Anspielungen. Was also soll ich lesen: “Meere” gibt’s nicht. “Thetis”? Oder doch das zuerst ins Auge gefasste?

    Wenn ich etwas von dir hier lese, frage ich mich immer, wo du gerade bist. Das tue ich bei Blogs generell, ich frage mich, ob die Leute zu Hause sind oder unterwegs. Ich weiß nicht warum, ich glaube, ich misstraue dem Zustand des Unterwegsseins. Ich weiß, Reisen sind modern, da macht man Erfahrungen. Vielleicht bin ich beunruhigt, wenn ich nicht weiß, wo die Leute sind. Wenn ich den Punkt, von dem aus sie sprechen, nicht erkennen kann. Oder meine, nicht erkennen zu können. Ich jedenfalls bin zu Hause. Aber das finde ich auch beunruhigend.

    Aléa

    1. Liebe Aléa Torik, danke für diese Meldung.
      Vom >>>> Wolpertinger mag ich Dir nicht abraten, aber auf Reisen, während derer man möglichst viel riechen und schmecken möchte, nämlich von Erde, und zwar direkt, gehört das Buch eher nicht. Nicht wegen der Anspielungen – ich kenne Leser, die das Ding einfach so runterlasen, ohne sich um die semiotischen Wegweiser zu kümmern (ähnlich wurde ja auch Eco rezipiert, und zwar auch ökonomisch erfolgreich) -, sondern weil der Roman in seiner ganzen Länge die Aufmerksamkeit will. Es paßt ihm nicht, wenn man seine Lektüre unterbricht. Da rächt er sich, und man kapiert dann d o c h nichts. (Übrigens habe ich von Dielmann endlich eine Art Abrechnung erhalten: von der mit Fadenheftung gebundenen Hardcover-Ausgabe gibt es der Exemplare tatsächlich noch 5 ((in Worten: fünf) – das läßt sich nur schlecht einen Mißerfolg nennen). Aber wie auch immer: Herbstleser lesen den Wolpertinger irgendwann i m m e r; denn irgendwann, viele meiner Bücher sind ja ein Netzwerk, betreten sie ihn und fühlen sich seltsam daheim. Weil immer mal jemand um eine Ecke schaut und grüßt, den sie aus anderen Büchern schon kennen.
      Also “Meere” – wie kommst Du drauf, daß es nicht lieferbar sei? Schau allein einmal >>>> hier. Nicht lieferbar, bzw. nur noch gelegentlich übers Moderne Antiquariat, ist tatsächlich “Thetis”. Aber von der Erstausgabe habe ich noch einige Stücke bei mir, die gebe ich auch zum Ladenpreis ab. Wenn Du ein Exemplar haben möchtest, gib mir Bescheid.

      Herzlich

      ANH
      Herbst & Deters Fiktionäre

    2. Hinter deinem Rücken, aber vielleicht sogar mit deinem Wissen, habe ich mich heute in der Mittagspause mit deinem Freund getroffen. Er hat mich zu Kaffee und Wasser eingeladen und wollte mein Knie tätscheln, was ich aber, also kein Grund zur Eifersucht, im letzten Moment zu Seite gezogen habe, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als den Sattel meines Rades zu befühlen. Ich habe Bücher von ihm bekommen, eins in Zeitungsform, die Volltextausgabe von „Meere“ und dann das Buch, was eigentlich nicht greifbar ist „Thetis. Anderswelt“. Das Foto hinten auf dem Klappenumschlag ist sehr treffend, und ein bisschen dandyhaft. Da ich die Zeitung nicht mitnehmen will nach Rumänien, wird’s wohl dieses tausend Seiten dicke Buch. Mein Gott, wie kann man so etwas schreiben? Ich bin stolz auf mich, wenn ich mein 400 Seiten Buch lenken und leiten kann. Das darf man nicht vergessen: man muss das ja auch alles, bevor man es aufschreibt, erst einmal erfinden. Selbst wenn es die reine Wahrheit wäre, erfunden werden muss es dennoch. Und dann muss es aufgeschrieben werden.

      Was ich sagen wollte: ich bedanke mich für das Buch. Meine Gedanken dazu wirst du aber sicher erst im Herbst lesen können. Einen schönen Urlaub und gute Erholung.
      Herzlich
      Aléa

  3. das muss man doch eigentlich entspannter sehen. Es herrscht das Leistungsprinzip als Prinzip der Auslese. Das gilt auch für Verlage. Es gewinnt wer stark ist und der Schwache wird eben geopfert. Wir leben eben im Kapitalismus. Da Sie offenbar im richtigen Leben keine Kämpfernatur sind, kommen Sie eben nicht an die großen Töpfe. Es ist also normal, dass man dann einem Leistungsprinzip zum Opfer fällt. Es gibt ja ganz viele Leute, die menschlich sicher viel weniger nett sind als Sie, aber trotzdem gehypt werden. Denken Sie nur an Stukkrad Barre Helmut Krausser. Die veröffentliche in großen Verlagen, weil sie Kämpfernaturen sind

    1. @biker Unfug, biker. Einfach Unfug. Das Problem, das einige mit mir zu haben scheinen, i s t gerade, daß ich Kämpfer bin – nämlich nicht nur Kämpfer”natur”. Wobei “Es gewinnt wer stark ist und der Schwache wird eben geopfert” – da biegen sich mir die Fußnägel rauf, weil dieser Satz so anpassungshübsch nach Hitler klingt. Definieren Sie “Stärke”, definieren Sie “Schwäche” – in den meisten Fällen geht es um sehr vorübergehende Zustände und Hinsichten. Stark also in Hinsicht worauf? Es gibt ausgesprochen starke Korruptionscharactere, da bin ich Ihrer Meinung. Sie scheinen diese Charactere zu lieben. Weshalb auch nicht… Sie wissen schon, gleich zu gleich und die Gesellung. Auch, Stuckrad-Barre und Krausser in einem Atemzug niederzuschreiben, zeugt von erschütterndem Unverstand, was poetische Valenzen anbelangt, geschweige das Vermögen, sie zu beurteilen.
      An sich sollte man Ihren Kommentar löschen – er ist wiederum von einer solch ausgezeichneten Dummheit-der-Affirmation, daß ich ihn gerne stehen ließe. So, ja, wird von der Generation Pop gedacht, wobei ich bitte, im Worte “gedacht” das Dach nebst dem t, das es abstützt, in Häkchen zu setzen.

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