Frauen zählen. Email an eine junge Verehrerin. Lieben.

Dies waren mit die schönsten Komplimente, die mir bislang gemacht worden sind. Auch wenn, glaube ich, sie nicht das beschreiben, was manche Frauen an mir mögen (andre lehnen mich durchaus scharf ab). Sondern ich lebe sehr gerne, rasend gerne, ich beklage die Welt nicht, sondern bin mit ganzem Herzen in ihr. Und weil, ob sie nun Kinder wollen oder nicht, in allen Frauen ein genetischer Wille zur körperlichen Fortpflanzung wirkt, bin ich für sie ein potentieller Vater ihrer Kinder: sie lassen lieber ein Spermium an ihr Ei, das den Lebenswillen glückhaft bejaht, als eines, dessen Herkunft sich pessimistisch beschattet. Zumal ich die Lust sehr teile, Kinder zu haben. Noch jetzt würde es mich nicht schrecken, neuerlich Vater zu werden, eher im Gegenteil. Mich interessiert kein beruhigtes, sich mit Bequemlichkleid kleidendes Leben; dazu bin ich zu wenig pragmatisch. Außerdem halte ich Kampf für einen positiven Begriff.

„Meine” Frauen aber z ä h l e n… – wozu? Dennoch habe ich das tatsächlich einmal getan, es jedenfalls versucht. Ich wollte eine Liste aller Frauen zusammenstellen, mit denen ich je geschlafen habe, von meinen ersten (für meine Generation sehr späten) Versuchen an. Manche Namen fielen mir erst nicht mehr ein. Aber ich ließ nicht ab. Nach und nach formten sich vor allem Gesichter in die Erinnerung zurück. Das war ganz erstaunlich für mich, daß es eben Gesichter sind, nicht Name und Körper, was bleibt. Ich nenne die Zahl nicht, bei der ich das eigenartige Unternehmen abbrach, es kommt auf Zahlen nicht an. Sondern ich hätte auch Frauen, die ich geliebt habe und immer noch liebe, mit auf die Liste setzen müssen. Das kam mir wie eine Lästerung vor. Nein, mein Versuch ekelte mich nicht, gar nicht, ich nahm das ganz nüchtern; aber ich spürte, wie ungerecht es wäre, dies zu vollenden, wie falsch auch, weil ich zusammenschob, was zusammen nicht gehörte… und ließ die Sache dann sein. Das Papier liegt hier bestimmt noch irgendwo rum; ich neige, schon berufshalber, zum Dokumentieren: mein Leben ist ein zunehmend riesiges Reservoir für meine Arbeit geworden. Das geht erst, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat und zugleich vorurteilsfrei unsere Seelenzustände betrachtet und dennoch weiter, und leidenschaftlich, in ihnen lebt. Wenn man gelernt hat, auch Lüste und Nöte zu leben, die gemeinhin, aus Furcht wohl, verleugnet werden; wenn man Moral nicht fixiert, sondern sie und sich selbst flüssig hält. Indes, erotisch wirklich erfüllt lebe ich erst, seit ich meine Dominanz verstand und sie akzeptierte. Das war ein langer Prozeß. Aber auch das war gut so. Man muß durch einiges hindurchgeschwitzt sein, um frei zu werden. Wenn etwas zu leicht und zu schnell ging, fehlt irgendwann die Tiefe.

Ich möchte gern 124 Jahre alt werden. Mal sehn, ob’s mir gelingt. Dies sei, las ich einmal, das biologisch dem Menschen mögliche Alter. Sehr gut kann’s aber sein, daß mich irgendwas plötzlich, jäh, aus dem Leben reißt, ein Unfall, eine heftige Krankheit, wer weiß. Aber so dann wollt ich’s auch haben.

6 thoughts on “Frauen zählen. Email an eine junge Verehrerin. Lieben.

  1. Wie echt kann man sein, wenn man wahr sein will? Nett. Zahlen spielen ja keine Rolle. Als Mann ist man ja schon glücklich, wenn man überhaupt etwas zu zählen hat. Wie Nicholson mit seinen über 3000, manchmal Mutter und Tochter (nacheinander).
    Egal, was mich stört ist dieser … Unterton von innerem Theater. Dieses leicht Geschauspielerte im Ausdruck. Z. B. der letzte Satz: “Aber so dann wollt ich’s auch haben.” Uuii. Wie künstlich rhythmisiert ist das denn? Und wozu? Klingt wie ein circa 140 Jahre alter Sprecher auf der Bühne. Das wirkt so merkwürdig auf mich – auf der einen Seite “ganz ehrlich”, auf der anderen Seite “posierend”.
    Ist keine Kritik! Mir fällt daran nur wieder auf, dass wohl die höchste Schwierigkeitsstufe beim Schreiben ist, dieses ganze “Eitelkleid” komplett fallen zu lassen, wenn man sich der eigenen inneren “Wahrheit” nähert.
    Gelingt übrigens Frauen meist besser als Männern. Wir ziehen uns zwar schlampig an, aber intellektuell sind wir ja das eitle Geschlecht 😉

    1. Lieber Herr Iversen, was Sie gekünstelt, gar eine Pose nennen, weil Sie’s möglicher- wie dann traurigerweise so empfinden, ist inniger Ausdruck. Daß er thythmisiert ist, spricht nicht für Gekünsteltheit, sondern stammt aus derArbeit am Ausdruck. Ich schreibe hier kein “normales” Tagebuch, bei dem es nicht drauf ankäme, sondern Literatur, also Kunst. Eine von Ihnen gewünschte Natürlichkeit ist deren Antipode. Kunst, jedenfalls meine – und große Bereiche meines Lebens zähle ich zu ihr -, soll ehrlich sein, ja, aber sie stellt gleichzeitig eine Verpflichtung zur Form dar, und zwar stets. Ich suche, etwa durch Rhythmisierung, einem Gefühl und/oder Seinzustand den mir nahsten Ausdruck. Daß mir das nicht immer gelingt, sei dahingestellt. Hier aber, gerade hier, i s t es gelungen.
      Daß Sie den Ausdruck nun “eitel” finden, oder gar mich insgesamt, mag daran liegen, daß ich es tatsächlich bin. Ich bin es mit vollem Bewußtsein und verstecke das um so weniger, als es ja wirklich, wie Sie fordern, um “innere Wahrheit” geht. Das Problem ist insofern das Ihre: weil Sie der Meinung sind, Eitelkeit müsse abgelegt werden, denn sie schließe Wahrheit aus. Ich halte diese so sehr verbreitete, weil wohlfeile Meinung für falsch. Hinter ihr steht eine Demut vor Gott (oder jedenfalls einer über dem Einzelnen stehenden Autorität, der gegenüber wir abhängig Kind seien); sie ist, wie immer säkularisiert, letztlich von religiösem, nicht von emanzipiertem Character. Schon deshalb teile ich sie nicht.
      Nur, woher nehmen Sie Ihr “wir”? Ich ziehe mich höchst selten schlampig an, und zwar aus gleichem Grund, aus dem es auch Frauen nicht tun: um, wie der Sprache, auch meinem Körper eine ihm mögliche, in meinem Fall männliche, Schönheit zu geben. Darauf haben meine Frauen ein Recht.Wer sich nicht selbst liebt, hat nichts zu geben. Und wenn man sich selbst liebt, was eine Voraussetzung für die Liebe anderer ist, muß man’s nicht verstecken; daß dabei Selbstironie etwas mitwürzt, allerdings, gibt dem Tanz die von mir angestrebte Leichtigkeit.

    2. Da haben Sie Recht: Die offene Eitelkeit steht der offenen Aussprache weniger entgegen als die versteckte, zurückgehaltene Eitelkeit. Schöner Beweis: Die Tagebücher von Raddatz. Eitle Menschen sind daher oft weniger langweilig als diejenigen, die bloß nicht auffallen wollen. Und sie sprechen nicht unbedingt eitel, sondern sehr rückhaltlos und direkt (siehe z. B. Karlchen Lagerfeld). Insofern habe ich gegen die Eitelkeit als Charakterzug eigentlich gar nichts. Zumal in der Mode das Ausschmücken der eigenen Person auch etwas mit Ehrerbietung gegenüber anderen zu tun hat.
      Aber wenn die Eitelkeit in die Sprache einzieht, kann es fatal werden. Da beginnt sich die verteufelte Dialektik aufzuspannen zwischen Was und Wie, “wahr” und “schön”. Bei den einen führt es zu Krampf (der ganze akademische Slang und alle seine Derivate in Wirtschaft und Gesellschaft), bei anderen zu Murks bis zum restlosen Aufopfern des Verstands.
      Die Schriftsteller oder mit dem schöneren Wort gesagt: die Dichter, die man ernst nehmen kann, suchen dafür alle ihren eigenen Weg. Das ist der Kern ihrer Arbeit. Brecht hat sich auf die Klarheit von Bibel und Volksmund besonnen, Joyce ist tief in die Sprache hineingekrochen, Proust ist seinen Gedanken bis in die letzten Verästelungen gefolgt, B. Strauß findet es am ehesten in unbestimmten Bildern etc. Die meisten sehen das Problem aber gar nicht. Thomas Bernhard halte ich z.B. für einen Schriftsteller, der nur ein Schausteller von sprachlichem Ausdruck war. Hauptsache, es kling gut …
      Das ist der Punkt, wo Sie hoffentlich auf der Hut sind.
      Bei Ihrer “E-Mail” hatte ich den seltsamen Eindruck, dass bei dem Thema Ihre Wahrheit noch längst nicht ausgeschöpft ist und Sie hier vor weiterem Nachdenken in die Stilisierung “fliehen”.
      Kann ja meinerseits eine Täuschung sein.
      Auf keinen Fall ging es mir aber um Persönliches, nur um Ästhetisches.

    3. @Iversen. Die Email war nicht erschöpfend, ganz sicher nicht. Einen anderen Eindruck kann sie auch gar nicht gemacht haben. Es ist ein Brief, mehr nicht. Flucht aber ist, zumal nach vier Jahren Analyse, ganz gewiß nicht mein Ding. Übrigens war es Joyce, der, als er sein Portrait von Freund sah ausrief: “Meine Güte, wie eitel!” Leider ist nicht nachgetragen, ob er da dann gelacht hat.

      Ich bin einverstanden, daß es nicht reicht, wenn etwas gut klingt. Gut klingen aber, will ich, soll es. Lesen Sie “Meere”, wenn Sie über diesen Komplex mehr wissen wollen. Danach können wir weitersprechen.

  2. Leben[s]lang Dieser Eintrag gefällt mir besonders. Ein hoffnungsvoller Gegenentwurf.
    Bestätigung einerseits und meinerseits, Selbsterkenntnisse verlangten Zeit zum reifen, aber auch den Mut der Umsetzung.

    Auf einer anderen Seite, eine Kampfansage gegen ein Abfinden, das vor allem unseren Ängsten entspringt. Damit kann ich etwas anfangen. Sogar viel. Danke.

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