ANH, Bombay-Rhapsodie (Auszug). Anfang.

Wir befinden uns auf der Jehangir Boman Behram Marg, ehemals Belassis Road, über dem Herzen der Stadt… was für ein Dreck, sag ich Ihnen! Was ein Gestank! Abgase! Scheiße! …und diese Menschen! Autos!! Die Mietskarren! Mopeds!! Hunde Ratten – mein Gott: Insekten! Die Bollerwagen Trucks… Ich sah die langgestreckte häßliche dickstaubige Betonbrücke über den Geleisen von Bombay Central, Ruß und Abgas… auf dem Boden zu Seiten der Bordsteine Gemüsehändler Obsthändler; Orangen vor sich, Äpfel Bananen Okra Bohnen Reis… Alle müssen sie sich teilen, die indischen Straßen: Lastwagen Personenwagen die hunderttausend schwarzgelben Miniaturtaxis Ambassadors Fahrradfahrer Mopedfahrer Fußgänger Hühner Hunde Kühe Bettlerkinder heilige Pilger, genannt Sadhus, der Businessmann im Einreiher…Hinter uns Tardeo Chowk, mit neuem Namen Vasantreo Naik Chowk, Kreisverkehr, umbrandet, auf dem bißchen Grün schlafen drei Männer und strecken ihre dürren Beine von sich. Die Häuser gesäumt von… ja, was da rattert sind Zuckerrohrpressen. Probieren Sie den süßen Saft, wenn Ihr Magen das verträgt. – Das dort? Auf den kleinen Wackelstühlen? Ach so, die da, im Schneidersitz, dort, an der Pfütze… das… also das sind Ohrenputzer… daneben saßen Schuhflicker… jaja, ganz richtig, eine heilige Kuh , die der demütige Passant für ein paar Paisee berühren darf. Was bleiben Sie da stehen? Kommen Sie! Kommen Sie mit! Und passen Sie auf, wohin Sie Ihre Füße setzen! Auf diesen Straßen gilt das Recht des Stärkeren. – Dies alles war vor dreihundert Jahren noch Wasser. Was sagen Sie? Nein, nein, erst Ende des 17. Jahrhunderts wurde begonnen, dem Arabischen Meer Land abzugewinnen. Vorher ist Bombay nichts gewesen als eine unbedeutende Gruppe aus sieben Inseln. Bitte? Hupen. He! Paß doch auf! – Kommen Sie, hier rechts um die Ecke. Wir wollten doch sehen, wie Menschen leben. Na kommen Sie schon, Sie müssen keine Angst haben. Sie doch nun wirklich nicht! 13 Millionen, 5 davon ohne Obdach. Oder 500000, darüber wird gestritten. Planen schräg an Hauswände gespannt. Das sind Zelte. Da drin w o h n e n die Leute. Was denken Sie, wie‘s ihnen auf dem Land erginge? Sehn Sie den Bettler dort? Nein, das ist keine Lepra, Sie können näher ran. Na, geben Sie ihm was! Er hat hier die Chance, etwas zu kriegen, die hat er nicht auf dem Land. Sie verstehen nicht. Da kann ich Ihnen auch nicht helfen. Kommen Sie… kommen Sie schon!

16 thoughts on “ANH, Bombay-Rhapsodie (Auszug). Anfang.

  1. ANH, Bombay-Rhapsodie (Auszug). Fortsetzung.


    Wo sind wir hier? – Grand-Road-Market. Oder, wie sie heute sagen, Guru-Nanak-Market. Nur Mut, hier geht es weiter. – Ich sehe Sie nicht. – Woher komme ich? – Das fragt ihr euch alle. Immer… Siehst du? – Dort? – Du weißt doch, Zeitlappen, wir Götter waschen uns damit. – Und wer sind Sie? – Du erkennst mich nicht…? –Die gesamte materielle Substanz, Brahman genannt, ist die Quelle der Geburt. …hast nicht gesehen, wie ich die Figurine warf? Ich leite dich. Du mußt mir nur vertrauen. – Was für ein Licht! – Weiter, weiter, trau Dich nur! Ich streue dir die Fährte… meine Blumen mein Gold werden dich leiten.

    Und hier nun einer der sehr alten Märkte Bombays. Sehen Sie? Die Fischfrauen. Wie böse sie einen anschaun, wenn man vorbeigeht… wie sie zischen! – Hören Sie das Zischen? Und schlagen mit Binsen vor sich auf den mit Fischblut gewaschenen Stein. Pomfret, kleine Calamari… ja, das sind wohl Sardinen… Gamberi, Gamberoni…. nein, weiß ich nicht, was man auf Marathi zu ihnen sagt… Marathi, das ist die Sprache Maharastras, Indien ist voller Sprachen. Im Norden Punjubi und Urdu, in Goa Konkani, hier ists Marathi… äh! Diese Krähen! Die Fliegen. Ganze Heerscharen Fliegen. Das Eis gestoßen, altes Eis, immer wieder Wasser über die Fische gekippt. Katzen räudig ausgemagert… Das ist ja furchtbar… sind Sie noch da? – Wenn du dein Glück suchst, dann sicher. Öffne deine Augen fürs Dasein. Die Poesie der Armut. – Poesie der Armut? Wer bist du, daß du so etwas sagen darfst? – Sie überleben, mein Freund… Ist Poetischeres vorstellbar? Nein, bitte… rühren Sie das Wasser nicht an. Wasser ist das gefährlichste… Europäers Verdauung…. – Soll ich davon versuchen? – Du glaubst, du verträgst es? – Wenn ich bei Ihnen damit Eindruck schinden kann… – Viele sind meinetwegen hierhergezogen… – Ihres Glückes wegen… Die Göttin Bombays ist Lakshmi… nicht weit von hier steht ihr Tempel. Mahalakshmi… Groooooße Lakshmi… ha! In meinen Armen leben sie wenigstens länger. Die umsatzstärkste Spielfilmproduktion der Welt. Nur meinetwegen fahren jeden Morgen 6 Millionen Pendler her. Bombay Central… Churchgate Terminus… …mich suchen sie… mich allein… …oder das berühmte VictoriaStationGebäude: gotische Bögen, maurische Minarette… Aber benannt ist die Stadt nicht nach der Göttin des Glücks und des Reichtums, sondern nach einer kleinen lokalen Gottheit. Ach dies orangengesichtige Götzchen… Mumba Devi. Jeder weiß, daß Bombay mir gehört! Bombay zum Ausdruck der indischen Unabhängigkeit in Mumbai umbenannt …auch die meisten Straßen heißen anders als früher. Alles ist hier Gold und leuchtet! Unweit, heute ein Vorort Greater Bombays, das biblische Ophir, nach dessen Juwelen es bereits König Salomo gelüstet hat. Dort hat ein großer Künstler, nach meinem Abbild, eine Figurine… – Die Figurine? Von allem Betrug bin ich das Glücksspiel, und von allem Prachtvollen bin Ich die Pracht. Ich bin der Sieg. Ich bin das Abenteuer, und ich bin die Stärke der Starken. Wenn Sie mir jetzt wieder folgen würden… Und du? Willst auch du ihm folgen… oder nicht doch lieber mir? Ich höre Stimmen. Immer höre ich Stimmen. Reisebusse? Was stelln Sie sich vor, wo wir sind? Wie solln die durch diesen Verkehr..?! Komm mit… komm mit… August Kranti Marg, wir folgten ihr stadteinwärts… meine Güte, kein Mensch beginnt eine Stadtführung so. Ich weiß gar nicht, weshalb diese Veranstalter… Man macht als Reisender sowieso lieber einen Bogen um Bombay… …ausgerechnet hier zu landen! Im indischen Bombay, dem nichtkolonialen. Lassen Sie uns ins Zentrum gehen… lassen sie uns in den Stadtteil, der Fort genannt ist, flüchten… Wie bitte? Malabar Hill? Ja, von dort aus geht es in die duftenden und oben in die Hängenden Gärten und dann, darunter, der Blick in die Vergangenheit… Denn ganz vorne, wir hatten die Hügel des parsischen SchweigeTempels passiert… …hinterm Banganga Tank Komplex: verdrecktes grützgrünes Wasser, heilige Reinigung. Alle die Tempel herum verrottet. Hindus halten ihre Erbschaft nur seelisch intakt, sie lassen die Gebäude verfallen. Es kommt nicht drauf an, das Karma schützt. So opfern und beten sie wie vor zweihundert Jahren, doch in Ruinen. Die Gassen der zusammengepferchten Wohnungen… Treppenschluchten Treppenschluchten… der Gestank…. der Abfall… herrlichste Schimmelreiche erblühen, wo Aborte fehlen. Und nun… Sehen Sie?, nächste Ecke: Gebetsstätte, der blaue Gott, Krishna, die Schlange… Patchouli Sandelholz Königin der Nacht. Kultur der Düfte. Die Nasen träumen fiebern fantasieren. Es begab sich aber, daß Rama hierher kam auf seiner Suche nach der entführten Frau. Als er seinen Fuß auf den Malabar Point gesetzt hatte, ergriff ihn ein unerträglicher Durst, und er ließ einen Pfeil von der Sehne. Und schaut nur! Wo die Spitze den Boden trifft, entspringt ein Quell: Nämlich ist das der heilige Ganges selbst, der seine Wasser unterirdisch hierher geschickt hat, um Rama zu laben… und der nun hervorsprudelt dort… …wie er auch meiner Schönheit wegen sein Flußbett einst verließ… Er selbst! sich in meinem Licht zu sonnen! Um dieses Wunder für alle Zeiten zu ehren, formte Rama aus dem Sand des Ufers einen Lingam der Universalen Schöpferkraft. Noch heute wird der Phallus in einem der Tempel verehrt, die das Bassin umgeben. Nicht weit von hier finden Sie den Dhobi Ghat, Waschstelle, wie im Mittelalter wird das Linnen auf Steine geschlagen und auf Steinen das Linnen gebleicht. Wozu eine Waschmaschine kaufen, wenn Arbeitskraft so viel billiger ist? Ach Bombay ach Mumbai! Du Alptraum Du Gedicht! Ach Stadt der Hunderttausend Tentakeln Geschichten Gesichter Des Todes und Der Liebe Der Anmut des Drecks Der ständig rotzenden Passanten, der Frauen im Sari, die drei Schritt hinter ihren westlich gekleideten Männern gehen. 430 Quadratkilometer Müll und Gotik, verfaulende Gliedmaßen und Teakholzfurniere, die über ganze Wände reichen… Mein Bombay mein Glück meine Nächte! Auf den Plafonds ohne Wasser. Oder nachts in den Gängen der Mietskasernen von Grant Road, die hat der letzte Monsun zu Mörtel verwaschen. Eine der dichtest besiedelten Flächen der Welt… größtes Rotlichtviertel Asiens… Kamatipura! In Käfigen hängen meine Tierchen herab! Yellama! Yellama! Siehst du, wie die Regenfront als eine dicke schwarzflache Mauer auf die Stadt zutreibt? Schauen Sie sich nur mal diese herrliche Skyline an! Nachts kannst Du meine Juwelen über den gesamten Marine Drive glitzern sehen. Bis zur Börse laß ich dich schauen! Schuppen und Häuser, nein, das sind keine Garagen… zweistöckige Aufbauten… Straßen ohne Pflaster… und jetzt, meine Damen und Herren, die See..! O universale Form, o tausendarmiger Herr, ich möchte Dich in Deiner vierarmigen Gestalt sehen, mit Helm auf dem Haupt und mit Keule, Feuerad, Muschelhorn und Lotosblume in den Händen. Was hatte ich
    gesagt..? Sieben Inseln… Husch………. (…)

    ANH, Bombay-Rhapsodie (Auszug),
    in: >>>> Ausblicke von meinem indischen Balkon, edition die horen, 2002.


    1. Das ist einem Muus doch egal, Hauptsache, der dressiert uns einfach ein bisschen wie die reaktiven Äffchen, in meinem Dschungel löschte ich nach überhaupt keinen demokratischen Prinzipien, sondern so, wie es mir in den Sinn käme, wer mir nicht passt, fliegt raus, kenn ich ja schon;-), und, völlig richtig, aber ich wusste ja, so ganz verachten tun Sie mich gar nicht, dazu sind wir uns vermutlich viel zu grün.

    2. Leuchtend grün@diadorim. Wie kommen Sie nur auf ein “so ganz… nicht”? Nicht nicht nicht! muß ich da rufen und ruf es. Ob wir gelegentlich oder selten oder nie einer Meinung sind, spielt doch gar keine Rolle; wir sind unsrer Meinung und wo nicht, drücken wir auch das aus und geben es zu und stehn dafür ein – ich finde, das ist mehr als ein guter Grund für Achtung, ja für Sympathie sogar und für die politische Haltung Voltaires: “Ich bin anderer Meinung als Sie, aber würde dafür kämpfen, daß Sie die Ihre sagen können.” (Man nagle mich nicht fest; ich habe aus dem Gedächtnis zitiert, aus dem Sinn.)

      Meine Löschkriterien, übrigens, sind auch gar nicht demokratisch, sondern faktischer Natur. Sie wissen doch, daß ich Demokratie in der Kunst für einen Irrweg halte wie in der Bildung (Schulsystem) für zumindest eine Brücke, die aus morschen Balken besteht. Brücke aber immerhin, das ist ja schon was.

      Leuchtend Ihnen grün:
      ANH

      (P.S.: Wer Tiger mit Müll bewirft, dressiert sie nicht.)

  2. Der Text schiebt die Steine des Allzubekannten beiseite und macht manches Gewimmel sichtbar. Das ist eine kaum zu unterschätzende Leistung.
    Erfrischend zu lesen, wirklich ausserordentlich.

    1. Wir wären doch sehr für einen Mindeststandard, sowohl was die Textbeiträge betrifft als auch die Beiträge der Kommentatoren und K-Innen. Es geht dabei um Intelligenz und Humor unter Ausschluss demokratischer Prinzipien, kurz: um Leistung. Das wäre erfrischend. Put the Neanderthaler back to their caves!!!!!!!!!!!

    2. 1) Wer ist “wir”? Sie beide in der unio mystica eines verstellten pluralis maiestatis?
      2) Wodurch ist dieser Mindeststandard definiert? Bitte geben Sie Rahmenwerte an.
      3) Einverstanden in der Zielsetzung.
      4) Worauf bezieht sich “Das”? Auf Leistung? Das wäre grammatisch bedenklich. Auf den Vorsatz insgesamt? Das wäre nicht mehr grammatisch, indes inhaltslogisch bedenklich, weil der Irrealis eine conditio verlangt.

    3. Eine hochtragende Zumutung.
      Das Insistieren auf einen „Mindeststandart“ setzt Kompetenzen voraus, die zunächst definiert, gar ausgewiesen werden müssten. Nur leistungsmoralisch ist das nicht zu schaffen.
      Es geht auch um Literatur, wo möglicherweise mit einem Satz mehr gesagt wird als anderswo mit einem ganzen…… Buch. Sechzig Jahre habe Goethe gebraucht um Lesen zu lernen (Dichtung und Wahrheit); da sollte man sehr vorsichtig sein.

    4. Wir sind meist nur Einer, dennoch freuen wir uns über Ihr Einverständnis betreffs der Zielsetzung (Punkt 3). Was nun den Mindeststandard angeht, so wissen Sie selbst, dass Rahmenwerte nicht zielführend sind, jeder Fachmensch aber einen guten von einem schlechten Text unterscheiden kann, jenseits aller Geschmacksfragen. Nur Laien fragen nach Kriterien, Profis wenden sie an. Leistung = Qualität sollte somit erfrischenderweise im Vordergrund stehen und als Ergebnis sichtbar sein. Für grammatische Unschärfen bitten wir um Nachsicht, wir wollten’s knackig formulieren.

    5. Natürlich gibt es schlechte Literatur, die sozusagen unterhalb der Radarschirme der Kritik fliegt. Aber die Kritik selber ist schon wieder Literatur, und Wir&Einer muss aufpassen nicht für ein Grammaticus gehalten zu werden.

    6. Unterhalb der Radarschirme der Kritik: “Die Schreie der Fledermäuse” (Günter Kunert): “Nimmt man ihnen die Stimme, finden sie keinen Weg mehr; überall anstoßend und gegen Wände fahrend fallen sie tot zu Boden. Ohne sie nimmt, was sonst sie vertilgen, überhand und großen Aufschwung: das Ungeziefer.”…

    7. Kritik ist k e i n e Literatur, sonst wäre des Journalisten Martin Walsers Geschreibsel ja auch Literatur. Schlechte Literaten aber als Ungeziefer zu bezeichnen, das vertilgt werden muss, finde ich übertrieben. Es reichte schon, schlechte Texte nicht mehr zu lesen. Stechmücken aber sollten ausgerottet werden, mit allen Mitteln.

    8. Interpreationsverfehlung II Ungeziefer=Blogkommentatoren=”wir”

      (immerhin beste Aussichten bei einem Nuklearkrieg/Fukushima – Unkraut vergeht nicht)

    9. Jetzt seien Sie doch nicht alle so humorlos! Wir sind doch nicht in der Schule. Interpretation verfehlt? Entschuldigung, Frau Lehrerin, morgen bringen wir Ihnen zwei Äpfel mit.

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