Die verschwundene Windin. Das Arbeitsjournal des Freitags, den 10. November 2017.


[Arbeitswohnung, 6.53 Uhr]

Meine Lektorin sucht ihre Ausgabe der Aeolia, die ich ihr vor drei Jahren im Herbst, fast genau vor drei Jahren, nach Wien mitgebracht und mit einer Widmung versehen hatte. Nun rätselt sie, die Lektorin, über des Buches Verbleib.
Normalerweise verschwinden Bücher, wenn man sie verleiht („Verleihe nie ein Buch, denn du weißt, wie deine eigene Bibliothek entstanden ist”); in diesem neuen Fall ist das aber ausgeschlossen; persönlich gewidmete Bände verleiht nicht frau noch man.
Nun lag ein Umzug allerdings zwischen seinerzeit und heute, und manch ein Ding macht ihn nicht mit, sei es, daß es an Türmen hängt, sei es auch sonst an der Aussicht. Über den Willen der Dinge ward längst anderswo geschrieben – eine Seele der Dinge, die nur auf ersten Blick sich mitbestimmen läßt und aber sich in Wahrheit verliert, wenn wir – ihre, wofür wir uns halten, „Eigner” – anders handeln, als ihnen entspricht.
Ich beginne eine neue phantastische Erzählung, merken Sie‛s, Freundin? Das Geschehen anders zu sehen, nämlich „nüchtern”, wie gerne, verdächtig gerne gesagt wird, oder gar „analytisch”, würde profan und brutal. Wobei Einbrecher, die Bücher stehlen, durchaus schon wieder etwas Poetisches haben, aber natürlich auch Irres, weil man sie – etwa über amazons Modernes Antiquariat – oft schon für Pfennige, ich meine natürlich: Cents, fast nachgeschmissen kriegt. Etwa bekommen Sie dort meinen kleinen, schon lange vergriffenen New-York-Roman >>>> für 69 cents:

ANH In New York


Da schluckt man als Autor denn s c h o n. Allerdings Thetis kostet unterdessen >>>> nahezu das Fünffache seines ehemaligen Ladenpreises. Wenn es stimmt, daß auf dem freien Markt Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen, hätte mein erstes Andersweltbuch tatsächlich Bedeutung.
Der höchste Preis, den ich – vor der >>>> Wiederfreigabe – für >>>> die Originalfassung von Meere sah, lag bei 650 Euro; vielleicht ist ein ähnliches Schicksal auch der >>>> Galerieausgabe meiner Stromboligedichte vergönnt, wenn sie nächstes Jahr neu >>>> bei Arco herausgekommen sein werden, neu auch durchgesehen von meiner Lektorin und mir. Denn wenn es irgend geht, halte ich es mit zweiten Auflagen ganz wie Jean Paul – ein, für Verlage, nicht angenehmer Kostenfaktor, weil sich die alten Druckvorlagen nicht mehr verwenden lassen, seien es wie ehemals Platten, seien es Dateien, sondern neu gesetzt werden muß, zumindest partiell.

Erster Morgencigarillo, zweiter Latte macchiato.

Gestern der Tag lief aus dem Gerück, dennoch habe ich meine Arbeitsvorhaben erfüllt. Dies freilich „nur”, weil US das abendliche Treffen absagen mußte, heftiger Schmerzen offenbar wegen. Wir haben jetzt auf die nächste Woche oder den Anfang des Dezembers verschoben. Ich fand es dennoch schade. Andererseits wird er auch geahnt oder hier gelesen haben, daß ich noch immer nicht heize, was sich im Dezember sicher geändert haben wird. Denn लक्ष्मी, als sie gestern vormittag ganz unvermutet vorbeikam, hat doch ziemlich gefroren. Aber sie mußte mit jemandem sprechen, der ihr vertraut ist und dem sie vertraut, der sie vor allem versteht.
Das ließ das DTs schon mal wanken. Gleich hernach kam wieder ein Telefonat mit dem leidenden Freund. Ich weiß, was Liebeskummer ist, der ihm zu rasender Not geworden.

Ui, guck an: Soeben hat mir >>>> Maxim Biller die Anfrage einer Facebook-„Freundschaft” herübergefunkt. Normalerweise guck ich mir sowas gleich an und entscheide. In diesem Falle zögere ich. Als ich seinerzeit die Persische Fassung von Meere erst anbot, dann herauskommen ließ, warf er mir vor, in die Knie gegangen zu sein. Daß es mir nie darauf ankam, unbedingt, zumal so persönlich, recht zu behalten, hat er wahrscheinlich bis heut nicht begriffen – daß es mir alleine auf poetische Wahrheit ankommt und ich nicht das allergeringste Interesse habe, eine überdies mir Nahe und Liebe zu verletzen.
Mit den >>>> Triestbriefen ist es geradezu dasselbe, deren geplanter Fortgang aus Gründen ganz besonders heikel werden wird, eventuell, über die ich öffentlich nicht sprechen mag. Es sei denn, ich schiebe noch einen ganz anderen, völlig neuen, Roman dazwischen. Ich hatte ja neulich eine Idee.
Doch insgesamt bin ich zur Zeit vor allem damit befaßt, die „alten” vergriffenen Bücher wieder neu auflegen zu lassen. Das hat etwas von Nestpflege. Die Väter werden, solange sie leben, für ihre Kinder da sein, auch wenn die längst über dreißig sind. Wirklich allein in der Welt stehen wir erst nach dem Tod unsrer Eltern; vorher kann niemand davon sprechen, erwachsen geworden zu sein.

Um sechs bin ich auf, zum ersten Mal wieder seit längerer Zeit ohne Wecker, allein aufgrund meiner inneren Uhr. Ich verstand es gar nicht, als ich erwachte, dachte, das ist wieder diese häßliche Juckerei. Doch da | sah ich auf mein Ifönchen.
Der November ist gräßlich; es sang nicht ein einziger Vogel und, wie auf dem zweiten Hinterhof sonst immer, zeterte auch keiner.

Die Muscheln hatte ich nachts alleine verspeist. Dann rief der Freund an, wollte eventuell gleich noch hierher, bei mir übernachten, eine völlig bizarre Idee, weil seine Eltern ihn vom Flughafen abholen würden. Dann erst zu denen, danach zu mir, er wäre vor Mitternacht nicht hiergewesen. „Schlaf dich dort aus”, sagte ich. „Verdammt nochmal, nimm eine der Tabletten.”
Jetzt rechne ich damit, daß es jeden Moment klingelt. Na gut, zehn wird es wohl schon werden. Also schnell an die Arbeit. Die ich heute „umdrehen” will: Zuerst jene für die Contessa und erst am Nachmittag die Thetis-Überarbeitung. So habe ich‛s >>>> im DTs auch vermerkt. Wenn der Freund erscheint, wird viel, sehr viel gesprochen werden; die Contessa, deshalb, geht vor. Denn ihr verdanke ich meine ökonomische Ruhe. Außerdem will mein Wiener Arco-Verleger hereinschauen, der zur Zeit ebenfalls in Berlin ist. Da geht es um die Windin dann auch – indessen uns >>>> Christopher Ecker heute sein Rezept zur Zubereitung eines weiblichen Unterarmes verrät (ein junger muß es sein, damit nicht zu zäh); nur eines: Den anderen friert er nämlich ein.

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