Merlin im Versehrtenheim. Zu „King Arthur“ von Henry Purcell an der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

[Geschrieben für und erschienen >>>> bei Faustkultur.de.]



Kann man – Unfug, können lässt sich alles —- soll man also solch ein Stück – in unseren neurestaurativen Zeiten noch auf die Bühne bringen? Denn bei aller kritischen Ironisierung, die Sven-Eric Bechtolf und der Bühnenbildner Julian Crouch diesem gleichsam Selbstweihestück des britischen Empires szenisch haben angedeihen lassen, bleibt es doch die heroische Glorifizierung einer sich über andere erhebenden Nationalfetischisierung – bis hin zum Opfertod fürs Vaterland, der hier einem achtjährigen Jungen aufs schaudrigste eingeimpft wird. Woraufhin er den Kampfflieger besteigt, in dem schon sein Vater umgekommen.

Über den unguten Zusammenhang können weder der in der Tat teils wunderbare quasibarocke Bühnenzauber, den des Bühnenbildners und Mitregisseurs Crouchs Bilder versprühen, noch gar Purcells teils grandiose, eben aber auch sinnlich-erdhafte Musik hinwegtäuschen. Die „Gloria Britannica“ bleibt allezeit gegenwärtig, besonders schon in der Grunderzählung von einem König Artus, der mitnichten märchenhaft, sondern von allem Anfang an brutal machtgetrieben und flankiert von eine Kirche ist, die in sich weniger, bzw. gar nicht den Mitleids- und Erbarmensgeist des Nazareners trägt, sondern vor sich her den Gott des Alten Testamentes, dem der Rache und Vernichtung – mithin des Feuers und Schwertes, der denn bis in die Neuzeit auf das brutalste gewütet und sich sogar in fast jüngster Vergangenheit, mit dem Reichskonkordats von 1933, am Völkermord mitschuldig gemacht hat. So schon ruft gleich zu Anfang der Priester, der an Arthurs Seite steht, zur Gewalt auf.
Rein faktisch, historisch also, ging es freilich um die Verteidigung der in England lebenden römisch-christianisierten Bevölkerung gegen die vom nördlichen Kontinent aus ins Land drängenden Angelsachsen, die ihren eigenen, heidnisch genannten Glauben mitbrachten – einen nicht der Naturunterwerfung, sondern Natur-quasiSymbiose, vielleicht sogar -mimesis, die noch das Tieropfer kennt. In der Staatsoperninszenierung wird daraus ein Menschenopfer; in ziemlicher Verdrehung der mythischen Gegebenheiten sterben vier junge Frauen den Opfertod, denen allerdings vor dem Kehlschnitt Pferdeköpfe aufgesetzt werden. Sinnvoll auflösen tut sich dies nicht; in jedem Fall bleibt der kirchenzentralistische, kirchenimperialistische Blick erhalten und wird auch von der Darstellung der Artusgegner, die selbstverständlich entweder böse (der Zauberer Osmond, Merlins Gegenspieler) oder weichlich (Oswald, Arthurs von Osmond schließlich selbst hintergangene Gegenspieler) sind. Entsprechend wird die sich gerade im vierten Akt auf das bühnenzaubrigste und -zauberhafteste gestaltete Zauberwelt der Natur, in den entsprechenden Verführungsszenen, als unheilvoll, verderblich gezeigt – obwohl gerade in dieser Inszenierung, was tatsächlich gezeigt wird, alles andere als dieses ist: „’tis Love that has warm’d us“ singt denn auch der Chor auf Cupidos Erwärmung des Frostes – und „Liebe“ ist hier mit aller Sinnlichkeit gemeint, die zur körperlichen Vereinigung gehört. Sie mit einem Hampelmann-Phallus lächerlich zu machen, wie die beiden Regisseure tun, und die Schauspielerszene klamaukt dazu rum, ist ins Horn genau desjenigen Unheils gestoßen, das Arthur den märchenhaften Zauberwald schließlich niedermachen lässt. Was autokrate Machthaber halt tun, um ihre Macht zu betonieren. Dabei hat Purcell gerade für diese Szenen Musiken geschrieben, deren wir uns bis heute entsinnen, etwa das herrliche manierierte Lied des Cold Genius, also des Frostes, das, wer es einmal gehört hat, niemals wieder vergisst. Für den Zauberwald gar und seine Märchen hat er eine wahrhaft geniale Passacaglia gezaubert. Nehmen wir aber die Semi-Oper und ihre beiden modernen Regisseure ernst, wird auch sie unter den Bulldozern fallen – woran der achtjährige Junge zynischerweise mitwirken soll und es auch tut. Es gibt ein Wort dafür: Indoktrination.
In dieses Unglück gehört auch der besonders von den Schauspielern immer mal wieder veranstaltete grobe Klamauk. Mag er sich auch auf die traditionelle Jig zurückführen lassen, also zu einer britischen Spielart der Comedia dell’arte wurde, es bleibt bei erschreckender Regression, die sich nur ein einziges Mal – als Betrunkene das Festbankett der bürgerlichen Gesellschaft stürmen – zur Utopie gesellschaftlicher Gleichheit aufschwingt, zumindest in der Aktion.

Nun haben die beiden Regisseure dies alles sicherlich gewusst, und auch René Jacobs gesteht im Programmheft ein, daß sich der King Arthur ohne moderierende Modernisierung kaum mehr werde aufführen lassen. Was aber mit der herrlichen Musik tun?
Es ist der Inszenierung peinsam anzuspüren, wie sie wider politisch besseres Wissen den Genuss an ihr nicht stören möchte. Man hätte ja durchaus die Schrecken der Kriege heftig inszenieren können, als bisweilen nur mal die englische Realität etwa vorm Ersten Weltkrieg vermittels kurz einprojizierter, sagen wir mal, Charles-Dickens-Kulissen anzudeuten oder einen abgestürzten, bzw. abgeschossenen Erstweltkriegsflieger nasunter auf die Bühne zu stellen. Nicht nur die „modernen“, auch die Schlachten des 6. Jahrhunderts waren grauenvoll. Es spritzten Hektatonnen Blut, es quollen Gedärme, es flogen weggeschlagene Arme und Beine. Schädel wurden eingeschlagen, Gehirnmasse explodierte heraus. Augen wurden durchbohrt. Es stank nach Kot, nach Pisse —- – ich weiß, ich weiß! Dem Staatsopernpublikum wäre, solches vor Augen gebracht zu bekommen, nicht recht gewesen. Es hätte der Musik alle Freude genommen. Aber es wäre wahr gewesen und nicht, wie jetzt, eine falsche, weil beschönigende Botschaft – über deren eigentliche Wahrheit auch all der „volkstümliche“, eher wohl volkstümelnde Klamauk so wenig hinwegtäuschen kann wie der schließlich dann glanzvoll Witze reißende Osmond, wenn er in der zweiten Hälfte des Abends zu einer Art Conférencier mutiert, der sich pfiffigst des Wohlwollens seiner Zuschauer versichert. Was der Applaus ihm deutlich dankt.

Zugleich funktioniert Bechtolfs und Crouchs Parallelführung der Anfang des letzten Jahrhunderts spielenden „großbürgerlichen“ Schauspielszenen mit der Artus-Erzählung selbst hervorragend; die Übergänge sind teils atemberaubend schlüssig – gerade auch, wenn des kleinen Arthurs Großvater in dessen Imagination zu Merlin wird. Beklemmend, dass der in einem Veteranenheim lebt, noch beklemmender, wie starrsinnig er an der Ideologie von Krieg und Nation festhält und dies dem kleinen Neffen einimpft. Statt um den gefallenen Sohn zu trauern, ist er auf dessen Heldentod so stolz, als wünschte er dem kleinen Jungen ganz dasselbe Schicksal. Hier, in diesen Momenten, wird die Inszenierung groß. Aber er will sich drüber eben nicht vergrübeln und – wie zu ihrer Zeit bereits Purcell und John Dryden, der Textdichter – keines Gunst verspielen: Breitenwirkung steht aller Wahrheit, und Wahrhaftigkeit, voran. So wird denn die Schönheit der Musik zwar zelebriert, zugleich aber verraten.

Dennoch, musikalisch ist das zwittrige – eine „Semi-Opera“ eben – Stück auf allerhöchstem Niveau, was bei René Jacobs nicht Wunder nimmt, der für die Aufführung und Wiederentdeckung barocker und vorbarocker Stücke gerade auch an diesem Haus Maßstäbe gesetzt hat. Dass die Lindenoper unterdessen eines der führenden weltweit ist, und mit Recht, ist neben Daniel Barenboim besonders auch ihm zu verdanken. Aficionados werden weder die „Semele“ von 1996, noch die mit dem Combattimento kombinierte Marienvesper von 2007 jemals wieder aus dem Gedächtnis verlieren.
Gesprochen hingegen wird auf nicht ganz so hohem Niveau, oft allzu outriert – vielleicht, weil die Musikkraft gefürchtet wird. Mit um so entschiednerem Juppheidi! wirft man sich dann in die Krawallszenen, keift, spektakelt, zetert, albert, zappelt herum usw. Wirklich mal leise, nach innen gewendete Töne, die im, nicht über dem Geschehen sind, kommen kaum vor. Bisweilen klingen die gesprochenen Sätze auch einfach nur auswendig gelernt und fast (absichtlich) amateurhaft-ausgestellt. So wird die Sprache selbst zum Tableau, der Schauspielanteil des Stücks zur Behauptung. Man kehrt auf den Jahrmarkt der Volksbelustigung zurück.
Bei den Sängern ist das sogar da anders, wo für den erkrankten Stephan Rügamer, der aber spielte, James Way, erhoben aus dem Graben singend, die Sangpartie – und auf das einfühlsamste – übernahm. Dem höchst kultivierten, vortags eigens aus London eingeflogenen Sänger kann gar nicht genug gedankt werden. Es war ausgesprochen erstaunlich, wie organisch er mit der Szene legierte. Doch auch die anderen Sängerinnen und Sänger waren nahezu makellos. Vielleicht musizierte die Berliner Akademie für Alte Musik ein wenig zu glatt; ich hätte mir ein wenig harnoncourtsche Ruppigkeit gewünscht. Doch das ist schlichtweg Geschmackssache; es ernsthaft zu monieren, wäre gebeckmessert. Ein Ungenügen aber, insgesamt, bleibt – und dies liegt nicht daran, dass die Aufführung die im vergangenen Jahr noch für das Schillertheater – der Lindenoper langjährige Provisoriumsstätte – konzipierte Inszenierung wiederaufnimmt und bisweilen schon zu merken ist, wie sie auf das alte, nunmehr neue Haus sich ganz übertragen nicht lässt.

2 thoughts on “Merlin im Versehrtenheim. Zu „King Arthur“ von Henry Purcell an der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

  1. gerade komme ich aus dem king arthur der staatsoper und muss sagen: anh hat völlig recht mit seinen einwänden gegen die inszenierung. am ende wünschte ich, man hätte differenziert nur für die musik klatschen können. denn rené jacobs und orchester brillierten.
    doch das, was ich an der inszenierung klug durchdacht fand und bis zur pause noch als bewusstseinsaufnahme des kleinen jungen in der rahmenhandlung deutete (deuten wollte?), der eben seine nachkriegs-umwelt mit der arturischen legende verwebt, wie auch anders, eben das spitzte sich zum ende in eine krude mischung aus schlechtem humor für berliner (osmund!) und tatsächlich ungebrochenem pro-imperialismus zu. weder ironische brechung noch wendung ins tragische (beides wäre möglich gewesen), sondern nur die profund ungute Kontinuität zwischen dem abstürzenden kampfflugzeug des ersten zum steigenden Kampfflugzeug des zweiten teils. am ende schauten meine begleiter und ich uns ein, selbdritt fassungslos, dass 2018 so ein auf-die-bühne-bringen noch (oder wieder) möglich sei.

    A.

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