III, 440 – Che sarà della neve, che sarà di noi?

Daß “oca” sich im Delirium zu “drago” wandelt, mag, Gans hin und Drachen her, an der Vertauschung der Vokale liegen. Und daß dann davon die Rede ist, daß die Stimme, die man gehört, einem Seehund entstammt, hat seinen Grund ganz einfach darin, daß “foca” (Seehund, Robbe) sich auf “oca” (Gans) reimt. Hinzu kommt daß der Drache (“drago”) sich leicht mit See (“lago”) reimen läßt. Eine offensichtliche Spielerei des Autors von “Re orso”, Arrigo Boito.
Immerhin gestern zwei-drei Stunden Händeringen, um Reime herbeizuflehen. Und hab’ dann selber gespielt: Gans wird Imme, Drache wird Geier, so hatt’ ich dann Seehunds Stimme (der immerhin ist geblieben) und statt See einen Weiher.
Aber so ganz unrecht hat Katharina Schultens nicht, wenn sie in “Untoter Schwan” schreibt:

mein reim jagt mich, mein reim beißt mich in den arsch

Daß dasselbe Gedicht auch noch so beginnt: “in den schlimmen filmen greift eins dem andern zielgerichtet / in den knochenkorb, holt seinen zuckenden muskel mit allen verbindungen / als vorspeise” macht es noch tagebuchrelevanter, jenseits aller sonstigen Interpretationen, denn gestern gab’s als sozusagen At-Random-Entscheidung “Apocalypto” von Mel Gibson.
Zwar wußte ich natürlich von den Azteken, daß sie Herzen ausrissen, um sie der unersättlichen Sonne zu opfern, so wie heute Bolsonaro dem unersättlichen Kapital Wälder opfert mit derselben Entropie-Logik: wenn niemand bzw. nichts mehr da ist zum Opfern, fällt alles zusammen, nur, das Ende sieht man nicht, solange die scheinbar Energie zunimmt. Aber die Beschäftigung damit liegt reichlich lange zurück und gehört in die Zeit meiner Neuköllner Herzneurose (neues Akronym: NHN (Medikation damals: Beta-Blocker; dann Absetzen der Beta-Blocker nach einer erfolgreichen sexuellen Therapie)) und deren Aufarbeitung: wie viele unnütze Bücher in der Bibliothek, die im Titel das Wort “Herz” haben! Manchmal fische ich noch eins davon heraus, wie etwa neulich “In the Heart of the Heart of the Country” von William Gass.
Die erste Erzählung hatte es in sich: “The Pederson Kid”. Schnee, viel viel Schnee (fast wie in “Fargo”): “Let me make a snowman and see what comes of it.”
Und so unwillkürlich und unausweichlich ein Schnee wie bei Grünbein und seinem Descartes oder bei Zanzotto (“Che sarà della neve, che sarà di noi?”) oder wie neulich, als ein Schnee tatsächlich vorbeikam, mit dem ich dann an einem heißen Nachmittag beim Rundgang in der Oberstadt in einem Gemüse-, Obst- und Weingarten landete. Den Gärtner kannte ich, hatte uns zufällig gesehen und winkte uns von seiner Gartenterrasse herab, wir sollten doch heraufkommen. Gärtnerstolz. ALLES zeigte und erklärte er uns. Die verschiedenen Reb- und Pfirsichsorten, die verschiedenen Rosmarinqualitäten, die Gerätschaften und Wasserauffangbehältnisse. Alles selber gemacht.
Dieser Schnee wird gewiß noch ein weiteres Mal hereinschneien. Und nicht nur deswegen.
Dieweil das angenehme Gefühl, zumindest ein Wochenende ohne Brotarbeit verbringen zu können. Zwar liegt eine längere Arbeit vor (Jahresabschlüsse einer mährischen Firma aus den Jahren 1943/44 auf Deutsch, zu übersetzen ins Italienische, aber die in Rom lebende tschechische Gewährsfrau versicherte, es habe keine Eile… verhalte ich mich entsprechend (scheinbar irgendeine Erbschafts- oder Wiedergutmachungsangelegenheit, ich hatte vor Jahren schon damit zu tun, wo es um andere Dokumente ging)).
Gut, Fenster zu wie jetzt, da auf dem Platz gleich wieder gekokelt werden und Fleisch seinen Geruch in den Äther verbreiten wird.

III, 439 – Vereins-Amt

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