Und abermals: “Skandaaaaal! Auuufhööören!“

Jetzt in der Komischen Oper: Mozarts Entführung aus dem Serail, das bei Bieito ein Bordell ist, in dem es nun – wie in der Realität – überhaupt nicht milde zugeht. Wie immer man zu dieser Inszenierung stehen mag: Offenbar holt sich Das Kunstwerk der Zukunft seine gesellschaftspolitische Relevanz zurück. Endlich. Das kann kein Zufall sein, daß sowohl die Staatsoper als nun auch d i e s e s Haus sich wieder einmischen, und zwar dort, wo das Publikum es weder erwartet noch eigentlich will. Die auf Kritik und Geist angelegten Stücke etwa Henzes, Bergs, selbst Brittens wurden ja gemieden; kaum 20 Karten am Abend, so heißt es, konnte die Komische Oper für ihren enormen Wozzeck mehr verkaufen.

1 thought on “Und abermals: “Skandaaaaal! Auuufhööören!“

  1. Sexualität Gewalt Klamauk. „Die Entführung aus dem Serail“ an der Komischen Oper Berlin. Der nächste Skandal… nun ja, ein Skandälchen. Man sieht Brüste und Schwänze (die auch für den makierten Sexualakt das Problem eines ungeeigneten Aggregatzustands haben), die Bühne ist mit Glaskästen zugestellt, die als Separés dienen und außen mit Edelwerbung plakatiert sind; zugleich wirken sie wie eine Stadt. Links und rechts der Bühne, je über dem Orchester, laufen Monitore mit der permanenten Selbst-Schminkung einer trauernden, suizidalen Frau zur erotischen Schaufensterpuppe (dieses Video wäre einer eigenen Interpretation wert).
    Bassa Selim leitet ein Öffentliches Haus, Osmin sorgt für reibungslosen Ablauf: mit der gesamten Brutalität eines Frauen-Schleppers aus dem Osten. Pedrillo verteilt Kondome und pflückt die benutzten Tempos vom Boden. Kurz: Das Serail ist bei Calixto Bieito ein Puff. Was für Mozarts auf ersten Blick harmloses, auf den zweiten zugleich rassistisches wie machistisches Singspiel eine so naheliegende wie großartige Idee ist. Sie funktioniert tatsächlich ziemlich lange. Allerdings wird sie anfangs von einer geradezu ansteckenden Komik getragen, und wir wissen ja: Sex und Witz werden zotig, hinter Zoten indes versteckt sich pure Gewalt. Bieito macht sie auch sichtbar, anspielungs- und kenntnisreich, was die diversen SM-Szenen anbelangt, bisweilen ein wenig vouyeurhaft, oft aber in einer angemessen kritischen Näherung, die wirklich versucht, etwas zu begreifen. Die hochambivalente Haltung Konstanzes etwa bei ihrer Befreiung ist ganz großartig inszeniert, dieses sich-nicht-mehr-berühren-lassen-Wollen, das zugleich kuscheln und wegstoßen muß, und sogar die Identifizierung des Opfers mit dem Täter findet hier einen darstellerisch beklemmenden Reflex. Doch die sehr großen (nicht etwa nur groben) Mittel dieser Inszenierung unterliegen der Eskalationsschraube: Was soll denn auf die sicher heftigste Szene, in der eine Prostituierte zu Tode „gecuttet“ wird, an Steigerung noch folgen? Anstelle sich, darauf gestützt, auf den Konflikt zu konzentrieren, den Konflikt aus der Perspektive Konstanzes, knallt die Inszenierung Bieitos alles unter Krawall und Klamauk zusammen. Am Schluß bringt sich Konstanze auch noch um, klar, mit Knall. Da war >>>> nebenan, an der Staatsoper, Himmelmann klüger, als er sich für die zweite Hälfte seines „Don Carlo“ weitere Provokation im Interesse einer unerbittlich grabenden Dramaturgie verbat. Bieito aber ist die Hast anzumerken, immer weiterprovozieren zu wollen/zu müssen. Doch läuft sich das tot, da kann man hundertmal auf der Bühne duschen. Ein herrlicher Einfall, zweifelsfrei; als Darsteller hätte auch ich mich da dauernd gewaschen. Der Spaßcharakter ist ganz enorm; er ist aber auch der Stein, über den Bieito so sehr stolpert, daß er die dramaturgische Übersicht verliert. Andererseits ist das auch wieder egal. Denn mit Inszenierungen wie diesen, auch wenn sie letztlich mißlingen, holt sich die Oper ihren politischen Einspruch zurück, und zwar eben dort, wo ihn keiner (mehr) erwartete. Zumal dieses Mozartgetändel o h n e den inszenierenden Durchgriff sowieso nur noch langweilig wäre.
    Petrenko leitet denn auch sein Orchester – man darf im Doppelsinn hier sagen: spritzig. Wunderbar die Gesangsleistungen, wunderbar vor allem, wie die Darsteller spielen. Holen Sie sich die Namen aus dem Link zur Komischen Oper, ich muß ja Redundanzen nicht wiederholen. Jedenfalls habe ich selten so viel S p r e c h -Theater-Kultur bei inszenierten Sängern erlebt. Allein dafür lohnte sich der Besuch, der mich in seinen guten Momenten an den Mozartgeist Peter Sellars denken ließ und in seinen schlechten… nun ja: an den Berliner Kitkat-Club.

    Juni 2004.

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