Judith in London (1)

Sie hatte Mahmut nicht locken müssen; gelockt hat er sich selbst. Freunde behaupten sogar, es dringe überhaupt nur selten Wirklichkeit bis zu dem jungen Henkell durch, jedenfalls werde sie in dem Geflecht seiner enorm erfolgreichen Projektionen aufs intensivste gefiltert. Dennoch hatte Judith nur warten müssen – und das nicht einmal nicht lange. Sie saß an der Außenzeile eines Straßencafés, trank Tonic Water und ließ ein Bein wippen. Dabei blätterte sie in einem Journal, das sie nicht las, ja kaum überflog. Mahmut kam die Freßgaß entlanggeschlendert. Er ist ein hübscher, sehr hochgewachsener Mann mit einem Teint wie Milchkaffee und trug an diesem Dienstag weite, zimtfarbene Hosen, ein beiges Hemd (locker die bunte Krawatte um den Sportkragen geschlungen), handschuhweiche Mokassins und eine harte, an den Schultern ausgestellte Lederjacke. Unterm Arm trug er die dünne Aktentasche. Sein Haar dunkel, aber ein paar Strähnchen an den Schläfen, die er grau färbte, um von seinen Geschäftspartnern erstgenommen zu werden. Er war, schätzte Judith, kaum fünfundzwanzig. Kurz sah er sie an, selbstgewisser Erobererblick. Auf so etwas hatte Judith gewartet. Saß abends mit einer Freundin im Dominique. Es war keine Freundin, sondern eines jener Geschöpfe, die seit Hunderten von Jahren mit ihr durch die Zeiten wechseln. Man trifft sich von Gelegenheit zu Augenblick, wirft einander müde Blicke zu und schweigt. Dann geht man auseinander.
Mahmut trat ein.

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