Notate von 1994.

Die Perle, die mir meine Mutter schenkte und die ich immer wie ein Abzeichen trug, verloren.

Gute Städte sprechen für sich, ohne ihre Bewohner: Sie abstrahieren von ihnen.

Es ist, als hätte die Stadt für so viel Schönheit mit miesen Bewohnern zu büßen.

Sehens-Würdigkeiten/Merk-Würdigkeiten.

Werbung funktioniert, eben weil man das Dupin-Wort beherzigt: Sieh also deine Geliebte niemals direkt an!

20.3. – Entwurf für ein Ballett für Marie schreiben. Und Text zur Installation durch Diana Obinja. Für Marie schon eine Idee, aber eigentlich nicht begrifflich:
Sie: Er träumt.
Er geht über die Bühne. Ab. Zweiter Mann auf.
Sie: Er träumt.
Dieses geradezu zwanghaft durchspielen. Keine Musik, nur mitunter metrisch. Traumreihe. Schließlich Mann ab, bleibt stehen, dreht sich um.
Mann: Sie liebt.
Licht weg. „Erste Szene!“

Gestern abend mit Eigner/Schreiner auf dem LCB-Fest. Meine Wolpertinger-Tour hat hohe Aufmerksamkeit gemacht. Pforte zu Eigner: “Den Jungen muß man mal bremsen. Er bestimmt hier schon die Regeln.” Später Pforte zu Janetzki: Mein Schicksal sei, daß alle mich mögen.
Ich hab nur gelacht.

23.3.:
Prenzlauer Berg: Die Qualität einer Stadt bemißt sich an der Beschaffenheit der Gehsteige und Fahrbahnen…
Zeitenwechsel:Ein Spaziergang vom Volkspark Friedrichshain zu Prenzlauer Berg.

26.3. – Schloß Rheinsberg.
Kamin mit Fernheizungsringen.

27.3.
Oper (Kultische Räume): Kaum ein größerer Unterschied zwischen Ost und West als zwischen Linden- und Deutscher Oper. Sachlichkeit ./. Tradition mit Verstaubung. Im Osten gleich ein paar Häuser weiter die Volksoper (Komische Oper), wo man im schlechtesten und besten Sinne Volksschwankniveau spielt. Alles hat Recht, das macht die Differenz so interessant… ETC. (ausführen!)

Tannhäuser: Wiewohl kein Zweifel daran bestehen kann, daß dieses Orchester (Deutsche Oper) perfekt spielen kann, ist doch bei Barenboim alles durchglühter, leidenschaftlicher. Man müßte mal eine kurze Reflektion einfügen über Qualität in Perfektion und Anspruch (Ausdruckswille).
Aber zur Oper selbst: Eigentlich ist ja Venus und beim Sängerkrieg Tannhäuser völlig im Recht. Elisabeth ist imgrunde Opfer; Tannhäuser dann auch; beide sterben am Ideal der Fleischlosigkeit. Das ist dämlich und Elisabeth eigentlich eine dumme Kuh. Dies wäre zu inszenieren, und erst dann käme ein fürwahr christliches Mitleid mit Elisabeth/Tannhäuser zum Tragen, wenn es auch eines für die Venus ist. Ansonsten siegte das kapitalistische Moment der Äquivalenz, d.h. Eindeutigkeit. – Die Anrufung Marias durch Tannhäuser ist insofern Flucht vor der Wahrheit. Pedanterie Zoës und diese verflixte Niederbüglung des Lustprinzips, aus dem sich doch erst Leben fortpflanzen kann. Aus dem „rein“-Geistigen stammt letztlich nur die Ökonomie.
Hierzu paßt freilich, daß Venus eigentlich das irdische (Mutter-)Recht vertritt.

Interessante Assoziation: Das Schwert als Krawatte, Krawatte als Schwert.
Seltsamerweise wird ein Werk – also seine Aufführung -, wenn es nicht g a n z-groß ist, immer etwas kleiner, kindlicher. Große Aufführungen, die keinen Ausdruck haben, sind zwar groß, aber nicht so sehr wie die kleineren und haben nicht, wie diese, die Chance, wahr zu werden. (ausführen?) Hierbei an die Perfektion der Deutschen Oper Tannhäusers gegen die ruppige Leidenschaft der Lindenopern Walküre gedacht.
Problematisieren: Grenze zwischen Dilettantismus und Leidenschafts-Ausdruck bei nicht ganz vollendeter Perfektion. Ich denke, ganz dasselbe gilt für Literatur, für möglicherweise jede Kunstform. Ein gewisses Stilniveau muß freilich dasein: Das hört sich in Musik. Literatur ist da sperrig: hier entsteht dieser Eindruck eigentlich erst hinterher, später. Zum Beispiel: denken, was von einer Stadt, nachdem man sie durchschritten hat, Wochen später in der Erinnerung geblieben ist.

3 thoughts on “Notate von 1994.

  1. Werbung funktioniert, eben weil man das Dupin-Wort beherzigt: Sieh also deine Geliebte niemals direkt an! … schau ihr in die augen, kleiner,
    dann siehst du dich, statt sie, als püppchen im spiegel ihrer pupillen

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .