“Der stilisiert sich ja nur selbst!”

[Britten, The Holy Sonnets of John Donne.]

Ein Blick ins Werkverzeichnis zeigt: Das “nur” ist unangebracht. Im übrigen aber: „Ja!“

Dasselbe rief der junge Schriftsteller bereits einmal 1973/74, auf einer seiner ersten öffentlichen Lesungen, als zwei Linksbewegte den Raum protestierend mit dem Satz verließen: „Dem kommt es ja nur auf die Dichtung an!“ Einmal abgesehen davon, daß direkt-politischer Literatur, jedenfalls in Nordeuropa, immer etwas Lächerliches anhaftet, weil sie die Tragweite des Mediums grotesk verkennt, pochte auch jeder gesellschaftlich Hochengagierte beim Arzt auf dessen heilende Fähigkeit; ob der Mann mit besonderer Kraft sonst um die 40-Stunden-Woche kämpft, ist dem Kranken vergleichsweise egal. Wer ihm eine neue funktionierende Leber transplantiert, darf gern auch ArbeitgeberHoffnungen hegen.
Also: „Der stilisiert sich ja selbst!“
Der Vorwurf hat den Autor immer an den Satz erinnert „ich möchte um meiner selbst willen geliebt werden“, der in ihm spontanes Amusement verursacht. Man wird um Gesten willen geliebt, um ein Lächeln, um Schönheit, Energie oder sonstiger Ausstrahlung oder der Kraft sozialer Einfühlung wegen. Also für Fähigkeiten oder Eigenschaften. Oft wurden sie geerbt oder unbewußt erlernt, oft war es Arbeit (ja, auch wie jemand ausschaut, ist Arbeit). Manche müssen die für ihr „Ich-als-Ganzes“ leisten, das ihnen sonst auseinanderfällt. Es ist ihnen ein Material, das erst zusammengebaut werden muß, bevor aus ihm hinausgeschaut werden kann. „Lauscht du nach innen, hörst du das Außen“, notierte Ernst Bloch.
Nicht wenige Künstler, mit guten Gründen, agieren so: Ihr Werk und ihre Erscheinung sind Stufen von Ich-Werdung. „Ich“ stellt sich über Werk und Selbststilisierung erst her. Wenn überhaupt, kann man nur deshalb geliebt (und gehaßt) werden. Denn ohne das – wäre man nicht.

(Dies alles verschärft sich, wenn ein „Ich“ nicht an die Autonomie glaubt, sondern alles, was einer tut, für hinreichend und notwendig begründet hält. Dann wird „Ich“ nämlich zu einer Kette von Reaktionen, die fatalen Charakter hat, wäre da nicht die paradoxe Hoffnung, eben durch Stilisierung – ästhetische F o r m u n g – in sie wechselwirkend eingreifen zu können. Streng kausal betrachtet, ist diese „Wechselwirkung“ allerdings eine religiöse Vorstellung. Man muß sie glauben können wie andre ihr eigenes, autonomes Ich. Je älter der Schriftsteller wurde, desto fragwürdiger kam dieser Glaube ihm vor. Heute trägt er nicht einmal mehr Krawatten. Eben weil er w e i t e r f o rm t. Aber es bleibt dabei: Ich ist ein ästhetisches Konstrukt.)

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