Und dann erinnert sich der Vater wieder.

Auf dem Fahrrad, man radelt von der Post zurück. Und sieht, kaum war der kleine Junge gereinigt, wie die Hebamme alle Fingerchen und Zehen zählt, jeweils „fünf“ sagt, und eine Schwester kritzelt kleine Haken in eine Liste. Wie ein Flashback ist das, die Sonne knallt noch immer auf den Schädel, das T-Shirt klebt am Rücken, unter den Achseln lösen sich Tropfen und rollen schräg seitlich den vorgebeugten Rippenkasten entlang. Und wenn man absteigt, klebt sich das T-Shirt auch an die Brust.
Sofort der nächste Flashback: Das Vorhaben mit dem Mutterkuchen, die frischen Eltern hatten ihn eingefordert. In einer Plastiktüte brachte der Vater ihn heim. Er wollte ihn in die Erde des Tiergartens pflanzen und darauf, er ist ja Abendländer, einen Baum. Die Mutter hingegen hatte eine andere, eine grandiose Idee, sie ist prall von grausamem Eros und wirft mehr als nur Flutlicht auf das, was er liebt und was beide zusammen so schäumen ließ. Es waren zur gleichen Zeit kleine Panther im Zoo geboren. Nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus schlug die Mutter dem Vater vor, mit der Planzenta diese Katzen zu füttern.
Beides geschah nicht, die Plazenta blieb, bis heute vielleicht, im häuslichen Eisfach.

11 thoughts on “Und dann erinnert sich der Vater wieder.

  1. es drängen sich, beim/wie nach dem lesen, ungeheuerliche bilder auf.
    und manch erschreckende ahnung.
    diese zu dokumentieren wäre scham-/geschmack- und im höchsten maße respektlos. so bleiben die berührendsten ihrer erzählungen zwar, wie immer von meiner seite aus, unkommentiert –
    doch nicht unbesprochen…
    haben sie eine gute nacht, L.

    1. @Titania Carthaga Mir ist sehr… unwohl ?… das Wort ” schön ” in diesem Zusammenhang zu lesen , das möchte und muß ich Ihnen , bevor ich von hier verschwinde , und zu schlafen versuche , unbedingt sagen.
      Die Frage ist , und das sage ich jetzt nicht ” einfach nur so dahin ” , das i s t eine offene Frage : Wäre es ” schön ” zu sehen , wie Adolf Hitler in einer Gaskammer erstickt ?
      Daß ich diesen Kommentar geschrieben habe – : ich wollte s o f o r t verhindern , daß der Schmerz , die Wut in mir zu einer Bedrücktheit , Trauer wird , die mich lähmt , zu starr macht , um zu arbeiten , zu zeichnen.
      Auch : wie mir , von Seiten meiner Mutter insbesondere , in den lebendigen Glückslauf der ersten Jahre getreten wurde.
      Und Erlebtes in einem Internat , wo gelegentlich gesagt wurde , ohne daß ich wirklich weiß , ob das stimmt , die Kinder , oder Verwandte des ehemaligen Außenministers von Ribbentrop seien ” hier gewesen ” , nach Kriegsende… – das hat sich dann auch noch dazugemischt…
      Freundliche Grüße , T.

    2. Verzeihen Sie… …. diesen….. faux pas.Der NACHsatz war als in Klammern gesetzt gedacht – ich hätte es auch t u n sollen. Aber es war schon spät.

    3. Sie müssen sich nicht entschuldigen , ich habe es , Sie schon verstanden. Dennoch hat mich ” schön ” zusätzlich verstimmt. Zusätzlich zu Herrn Herbsts Eintrag und meinen Erinnerungen , und der Brutalität meines ersten Kommentars , die mir , h i n s i c h t l i c h Herrn Herbsts Sätze nicht zusteht , die ich aber nicht verhindern konnte und wollte. / Grüße Sie ! , T.

      Lassen Sie mich , Herr Herbst , diesen Kommentar jetzt hier , zum Anlaß nehmen S i e zu fragen : Erhalte ich ab sofort keine ( vollständigen ) E-mail-Benachrichtigungen mehr , gleichsam als Verweis von Ihrer Seite ?
      Über Ihre aktuellen Einträge kam keine Nachricht mehr. Die letzte Mail informierte über Titania Carthagas Antwort , siehe oben , an mich , 16:47.
      Ich k a n n es unterlassen , falls von Ihnen gewünscht , hier Kommentare zu schreiben.
      Ich möchte es dann aber nur gerne wissen , und bitte um Antwort.
      Freundliche Grüße , T.

    4. Aber nein, machen Sie sich deshalb keinen Kopf. Man muß Leidenschaften ja nicht teilen. Ich werde selbst von einigen Sites nicht mehr über Kommentare informiert, etwa bei Desideria. Was dazu führt, daß ich halt von mir aus immer wieder mal rüberspaziere. Dazu seien Sie auch hierher herzlich eingeladen. Wahrscheinlich gibt es bisweilen bei twoday Serverprobleme, die verständlicherweise aufgrund von Überlastungen entstehen können. Aber ich hatte und habe durchaus keinen Grund, Sie von irgend etwas auszuschließen, schon gar nicht aus Den Dschungeln.
      Was Ihren Kommentar anbelangt, so bekam ich einfach die “demokratischen Hakenkreuze” mit meiner Erinnerung nicht zusammen, weder mit der Szene direkt nach der Geburt, noch auch wegen der Vorhaben bezüglich des Mutterkuchens. Letztes zeugte von L i e b e, nicht von Politik, für die im übrigen gilt, daß in ihr nichts zu suchen habe, was für die Kunst etwa wesentlich ist: zum Beispiel Unabdingbarkeit. Und ich habe das Gefühl, dasselbe gilt für obsessive Leidenschaften. Und zwar ganz im Geist der großen Camille Paglia:

      Das Dionysische ist kein Frühstück im Freien; es geht vielmehr um die chthonischen Realitäten, denen Apollon ausweicht: das blinde Mahlen der unterirdischen Gewalten, dem endlosen, langsamen Sog, Schlamm und Morast.
      Eine Obsession, wie sie sich auch in dem Vorhaben, die Plazenta zu verfüttern, ausdrückt, m ac h t eben nicht Halt. Auf die Politik gespiegelt, wäre das entsetzlich. In der Liebe ist es – Atem.

    5. Atem. Die grandiose Idee Ihrer Mutter , die weniger grandiose Ihres Vaters – w a n n sind diese Ideen Ihnen grandios geworden , Ihnen in ihrer Grandiosität ins Unverborgene gelangt ? Haben Sie als Kind schon im Atem dieser obsessiven Liebe als der Bejahte mitgeatmet , bekräftigt durch das Vorhaben die Ihnen ehedem zukommende , aber unnütz gewordene Nahrung zu teilen , weiterzugeben an Baum und Katze(n) ?
      Mir ( als Kind , als Jugendlicher wohl auch noch ) wäre diese Geschichte , damals , kunstabseits ! , von meiner Mutter erzählt , das Messer am Hals gewesen ,bzw. die ” Plazenta ” im Eisfach , und Paglias “Sexual Personae” hätte sie “postwendend” in die Fresse gekriegt. Zumindest , wenn sie mir diese grandiose Idee um 1990 herum erzählt hätte…Selbstverständlich hätte ich Paglias Buch nicht etwa zurückgelassen , nach Vollzug. Freundliche Grüße !

    6. Lacht laut auf. Sie mißverstehen die von mir oben erzählte Geschichte völlig, wozu Sie möglicherweise mein Geburtsname anleitet. Sie hat, wenn überhaupt, in der unmittelbaren Gegenwart stattgefunden, und zwar zwischen einem, sagen wir, Franzosen – einem Abendländer in jedem Fall – und einer sehr jungen Iranerin, von der der ebenfalls hinreißende Satz stammt, sie esse nur das Fleisch von schönen Tieren. All das sind Motive eines Romanes, der über die Liebe spricht, – von einer, die sich, wie jede tun sollte, nicht um politische Bedenklichkeiten, sehr wohl aber um Kunst kümmert.
      Aber einmal entre nous gefragt: Weshalb hätten Sie, wäre Ihnen das aus Ihrer Kindheit erzählt worden, derart aggressiv reagiert? Ich meinerseits hätte, privat gesprochen, wären m e i n e Eltern so versessen auf- und übereinander gewesen, ihnen heute einiges abzubitten. – Leider waren sie es n i ch t. So daß ich nicht abbitten d a r f.
      (Übrigens ist die abgestoßene Plazenta tatsächlich nicht die dem Kind zukommende, sondern eine überschüssige Nahrung, die von gesunden (Eltern-)Tieren selbst gegessen wird, nachdem sie ausgestoßen ist. Das Säugetier-Kind, da auf Muttermilch angewiesen, könnte sie gar nicht verdauen. Es gibt eine Szene in T H E T I S, die ebenfalls schon mit diesem Motiv spielt. P a g l i a s Buch wiederum gehört zu den großen spekulativen Büchern über Erotik; ich wüßte ihm außer Negts & Kluges “Geschichte und Eigensinn” und Hofstaedters “Gödel, Escher, Bach” kein zweites von ähnlich gedankenstarker und überdies sinnlicher spekulativer Präsenz zur Seite zu stellen. Es ist, damit wir uns recht verstehen, eines über Kunstgeschichte.

    7. Kurze Nachricht. Guten Abend , Herr Herbst,
      ich werde dem Internet gleich wieder entschlüpfen. Das ” Entre-Nous”… muß sich heute auf Godards Film ” Die Geschichte der Nana S. ” beschränken , den ich mir stattdessen nachher ansehe. Ich melde mich zu obiger Antwort noch , jetzt möchte ich es mir nur nicht verkneifen den ” Analytiker ” mit einem “öffentlichen” Satz gleichsam zu grüßen , freilich ohne Paßphoto und Adresse und Telephonnummer… – so : Wenn Du i n die Mutter gehst , vergiß das Messer nicht.
      (Ach , ” Mutter Internet ” ist mir grade noch eingefallen…)
      Avec mes salutations distinguées! , T.-

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