Kein DTs. Mittwoch. 16. März 2005.

5.47 Uhr:
[Jarrett/Garbarek, Nude Ants.]

Um 4. 30 aufgewacht, unruhig, wie fast schon gewohnt jetzt, aber müde. Deshalb noch eine Stunde liegengeblieben dann auf, latte macchiato bereitet. Jetzt an den Schreibtisch; SMS-Antwort an den Verlag geschickt: Ich wisse noch nicht, wann ich da sei; es hängedavon ab, für wann ich eine Übernachtungsmöglichkeit mit Bett fände. – Freilich plane ich die Fahrt schon für heute, zusammen mit Eisenhauer, der mir sein Hotelbett für die Nacht zur Verfügung stellen und bei einer Freundin übernachten will.
Jetzt erst einmal wieder





MF.




Mittags wahrscheinlich dann: Leipzig-Fahrt. Oder Joggen, Mittagsschlaf und MF ff.





6.10 Uhr:
Ein gutes Gefühl: Ich lasse den Ofen ausgehen und lese und korrigiere die MF-Exzerpte bei gekippt-offenem Fenster, ich muß nicht einmal einen Schal umbinden; dabei denkt es sich in mir den A n s a t z des Hörstücks, erste Zeilen, die Mitte, Leitmotive. Die Heizperiode geht jedenfalls zuende, ‘s wird Frühling (aber heute machen die Vögel keinen Krawall, und wenn ich, den Kopf nach links drehend, hinter mich hinaus- und hochschaue, seh ich fettfinstre Regenwolken: Paßt auf die Fritz-Arbeit). Ah, doch, jetzt, eben: Ein kurzes Gezwitscher, wie ein Zuruf.Und das Knattern einer Elster. Dann wieder vom fernen Grollen der S-Bahn durchzogene Stille.

12.25 Uhr:
Gelaufen. 14 ½ Runden Aschebahn, 5 ½ km; nicht länger wegen des Zeitdrucks. Jetzt duschen, packen und fort zur Buchmesse Leipzig. Der Zug geht um 14.32 Uhr ab Berlin Ost. Mit Eisenhauer im Speisewagen verabredet.

Kaum schau ich in meine Mails, Nachricht von Ana: Sie verabschiede sich aus dieser Inszenierung. Und ihr guter Freund @ yahoo-Messenger:

bjoern_vanlaar : aber des weiteren will ich sie nicht kennen noch je wieder mit ihnen zu tun haben. sie beleidigen mein geschlecht. bvl

Mir liegt eine spitze Antwort auf der Zunge, aber ich lasse sie meine Finger nicht tippen, sondern bloß eine milde Replik. Das hat nun wirklich Formen angenommen, die nicht mehr kultiviert sind. Schade.

NACHTRAG:

Weidermann von der FAZ-Sonntagszeitung und Petersenn von Kiwi, der gerade ARGO liest, gehen auf dem Bahnsteig an mir vorbei und erkennen mich nicht; Unsicherheit: soll ich ihn jetzt ansprechen? Ich laß es bleiben. Im Speisewagen setzt sich dann auch gleich Eisenhauer zu mir mit der hübschen Autorin Nina Benz, deren Aussehen zu einer Art Maske erstarrte, wie Eisenhauer das formuliert. Kaum rollen wirin Leipzig ein und stehen bereits an der Zugtür, entdeck ich im Raucherabteil Daniel Böhmer. Schönes “Hallo”, “Ricarda holt mich gleich ab”, Ricarda Junge. Also zieh ich mit Benz und Eisenhauer noch bis ans Ende des Bahnsteigs, warte RJ’s Kommen ab, wir trinken Kaffee, ich esse ein Eis, die Schenkel schmerzen noch leicht vom Laufen. Danach Verständigung mit dem Verlag, der erste Kaffee auf der Straße, es ist sehr warm, abends Essen mit Benz und Eisenhauer, Verständigung übers Mobilchen mit Ulrich Faure, der zum Messe-Empfang will, “aber man kommt nur mit Einladung hinein”. Wir versuchen es dennoch gegen halb zehn. Mit Eisenhauers Presseausweis ist das auch gar kein Problem; die meisten Reden sind schon gehalten, noch spricht die neu Geehrte des diesjährigen Leipziger Buchpreises, Slavenka Drakulić, wir flutschen während der Applauses hinein, die Musiker des Gewandhausorchesters betreten das Podium der wicklich schönen Saals, und Herbert Blomstedt dirigiert dann ziemlich schlampig (wahrscheinlich: zu routiniert) die beiden letzten Sätz aus Mendelssohns Dritte. Dann ab ans Buffet, den Wein und das Bier. Beim Gespräch mit Faure: “Was ist nun mit B.vom Verlag ***?” “Der will dich unbedingt sprechen, sagt er, ABER: Was er da in Deinem Tagebuch lese, schrecke ihn ab. Du bist ihm derzeit zu depressiv. – Vielleicht, hab ich ihm gesagt, könnte gerade ein Verlag das doch ändern?”
Man kann sich bei so etwas nur einen kippen: Schein ist ersehnt. Der Versuch einer offenen, nicht-verstellten Selbstbetrachtung, die auch den Zweifel und ge/bedrückte Stimmungen transferiert, den Die Dschungel eben a u c h, nämlich in diesem TAGEBUCH, repräsentieren, könnte sich als zusätzliches berufliches Hemmnis erweisen. Ich will es dennoch weiterführen; sich nunmehr anders zu verhalten, wäre korrupt.

A u c h nett:
“Der Mann hat einen schlechten Ruf in der Szene.”
“Ah ja. Und weshalb?”
“Er gilt als exzentrisch.”
(Wer verlegt noch Bücher wegen des Textes?)
[Berlin Prenzlauer Berg, vorm Schmeling-Stadion; ziemlich weit hinten liegt aufder Aschenbahn ein Papiertaschentuch, schön vollig plattgetreten von den Läufern, mit dunklen Profilspuren; keiner hebt es auf, die Jogger joggen drüber, es verläßt sich jeder auf die säubernde Hand des Platzwarts, der sich irgendann bücken wird. Ein Läufer aber m a g sich nicht verlassen, er mäßigt seinen Lauf in der letzten Runde, bückt sich, hebt den Taschentuchflatschen auf, läuft mit ihm die Runde zu Ende und dann zum Papierkorb. Exzentrisch.]