Freitag, den 3. Juni 2005.

9.09 Uhr:
[Isang Yun, Erste Sinfonie.]

Jetzt überschlafe ich bereits den für die Musikschule meines Jungen gestellten Wecker. Der Fortschritt bekommt etwas Verantwortungsloses. Der Analytiker gestern: “Zur Therapie gehört a u ch, daß man nachher möglicherweise nicht mehr in allem so gut funktioniert…” – …und das auch ganz richtig findet muß ich jetzt wohl hinzusetzen. Es richtig zu finden, fällt mir allerdings schwer, zumal wenn jetzt andere mit hineingezogen werden, für die ich Sorgfaltspflicht habe. Um ein paar verhaltenstherapeutische, also zeitstrukturierende Maßnahmen komme ich wohl nicht herum. Ab Montag gilt wieder mein strikter Zeit- und Arbeitsplan. (Psychoanalytischer Prozess. Zur Regression.)

G. vorgestern abend: “Vielleicht wird das alles für dich vorbei sein, wenn deine Mutter gestorben ist.” Ich: “Du ahnst nicht, wie ich diesen Tag herbeisehne. Auf dieses Begräbnis f a h r e ich.” Und er, ganz innig, ganz mein engster Freund: “Dann komme ich mit.”

[Wiederum zum Analytiker gestern: “Wissen Sie, auf diese Beerdigung, will ich nicht fahren, um zu trauern. Sondern um dazustehen und zu sagen: ‘Siehst du, alte Frau, ich habe es g e s c h a f f t. Und dich überlebt.”]

Jedenfalls holt die Analyse die ganzen Haß- und Hilflosigkeitsgefühle herauf, die sonst immer ‘nur’ anfallsweise und völlig irrational-cholerisch aus mir herausgeschossen sind. Es ist insofern eine sehr fragwürdige Idee, sie abzubrechen; die Bearbeitung kann ja jetzt erst erfolgen. Nur was nutzt mir das, wenn ich in meinen übrigen Lebensumständen so handlungsunfähig werde, daß mich der Literaturbetrieb widerstandslos ausscheiden kann? Andererseits: Sich von der Mutter zu lösen (sie beerdigen), bedeutet in meinem Fall, sich vom Literaturbetrieb zu lösen, den ich mir zum Familienersatz machen wollte. Deshalb brauche ich ja seine Anerkennung so. Die er mir aber wie die frühe Mutter versagt – das ist eine ziemlich genaue, freilich verschobene Wiederholung der als Kind erlebten Familiensituation. Theoretisch ist mir das völlig klar. Aber wie damit umgehen, wenn ich andererseits existentiell (ökonomisch) auf den Literaturbetrieb angewiesen bin? Ich habe mich, fällt mir jetzt auf, da so ausschließlich hineinbegeben, daß ich unterdessen ganz objektiv so etwas wie eine frühkindliche Duade zur Mutter wiederhergestellt habe, in der ich genau so hilflos bin wie es einst das Kleinkind gewesen sein muß, dem sich die Mutter als Mutter versagte. Das hat schon etwas Schauriges in seiner ganzen unerbittlich kausalen Dynamik.



Tagesplanung.

vormittags:

Ensemble-Modern-Poem.
DIE DSCHUNGEL-
ARGO. ANDERSWELT.

mittags:

Wohnungswechsel. Vorbereitungen für die Hamburg-Fahrt zu Annika.

nachmittags:

Den Kleinen von der Kita abholen. Sein Spielzeug zusammenpacken. Gemeinsam nach Moabit zu Julietta und mit ihrem Wagen ab nach Hamburg.

Vielleicht ARGO-Notate im Wagen.

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