DTs. 15. Juni 2005. Mittwoch.

8.17 Uhr:
[Sibelius, 4. Sinfonie “Borkenbrod”.]

Seit um fünf der Wecker klingelte, mich immer wieder herumgedreht und versucht aufzustehen. Bis eben war das wie unmöglich, nämlich als zöge mich ein körperschweres Blei immer wieder zurück und etwas anderes flößte mir dauernd dieses W o r t ein. Dazu saßen Männer um ein Lager, immer wieder murmelte jemand das Wort, es war dämmrig, wir hatten die Mäntel – Wildwestmäntel – um uns und ihre Krägen aufgeschlagen. Zugleich lag ich deutlich auf der Couch meines Arbeitszimmers. Immer wieder drehte ich mich, nahm den Wecker vom Boden, sah mir die Uhrzeit an. Das ist die genaue Formulierung: Ich sah sie mir an. Die neu über mich hereingebrochene Raucherei spielt dabei eine Rolle, physiologisch: als verstärkte sie die psychische Regression, indem sie dem Körper Widerstandskraft nimmt.
Endlich hoch und die CD-Reihen übersehen, wußte ich anfangs nicht recht, was ich einlegen sollte. Dann nahm ich die Sibelius-Sinfonien, stellte die Gesamtaufnahme zurück und entschied mich für die gesonderte Aufnahme der Vierten, mit welcher der THETIS-Anfang strukturiert ist und nach der ich Chill, ‘meinen’Achilles, benannt habe. Soll dies also nun sein, wie mir es die Götter entbieten,/Sei es! Gedenken wir nun des Nötigen, was noch zu thun ist. (Goethe, Achilleis) Aber genau anders herum: M e i n Achill ist der an seinen Kämpfen triumphierend leidende Heros und das Denkmal, das er aufrichten will, eines, das man nur sieht, wenn man es hört, also liest. S e i n Troja ist eine Kunst, die, indem sie erobert=zerstört wird, überhaupt erst entsteht. Eine n e u e Kunst also. Bei mir, nun in ARGO, nimmt auch er sie nicht ein, sondern sein Sohn. Eine Konstellation, wie mir jetzt eben erst auffällt, die abermals auf meine persönliche Vatergeschichte verweist – und auf die seine: er hatte ja immer Künstler sein wollen, hat aber kaum je etwas zustandegebracht. Wie ich mich da also täuschte! Mein Roman-Plan hat immer gedacht, das Motiv sei an Moses Aus- und eben n i c h t Einzug ins Gelobte Land gedacht. Zumindest verschwimmen hier die von mir eigentlich konturscharf gedachten Wirkmotive. Jetzt indessen bekommt die Namensgebung „Achilles Borkenbrod“, also die Charakterisierung durch eine sehr spezielle Musik, eine völlig andere und imgrunde erst schlüssige Farbe.)

Latte macchiato.
Der Bildschirm, von dem ich sehr froh und was mich überaus nervös macht: daß er kein Papier ist.



Tagesplanung.

9 Uhr:

Newsletter schreiben und hinausschicken.

JUBELKIND (Dichtung für das Ensemble Modern).

DIE DSCHUNGEL.

14 Uhr:

Analyse.

15.30 Uhr:

DIE DSCHUNGEL.

JUBELKIND. (Und das dann weiter bis in den, so ich die Konzentration aufbringe, späten Abend.)

Abends:

K e i n e Frau treffen heute. Arbeiten.


12.41 Uhr:
[Sibelius, 2. Sinfonie.]

In d i e s e r Diskussion, die mich sowohl von der Ensemble-Modern-Geschichte abhält wie zugleich meine Gedanken so richtig in Fahrt bringt. stellt sich mir unvermittelt die Frage, weshalb ich mir vor zweieinhalb Jahren einen männlichen Analytiker gesucht habe und nicht etwa eine Mutter? – Hilfe vom Vater?

13.07 Uhr:

Und noch etwas fällt mir ein, während ich weiterdiskutiere: Ich akzeptiere ganz fraglos bei meinem kleinen Sohn, was ich bei keiner Frau je akzptierte: mich künstlerisch einschränken zu lassen. Genau das läßt ihn aber, wie an ARGO abzulesen ist, zu einer direkten Kraft der künstlerischen Imagination werden, und zwar sogar da, wo er eigentlich nicht hingehört. Mit der Nebelkammer hat er sogar eine der Grundfesten dieses dritten ANDERSWELT-Bandes in den poetologischen Boden gerammt.

13.21 Uhr:

Als die Sinfonie in meinem Arbeitszimmer endet, soeben, erklingt direkt nach dem Schlußakkord aus den entfernten Probenräumen in der Schule seitlich meines Hauses ein für schweres Blech gesetzter BACH. H ö r e, was die Welt ist. Zugleich.
Die Gedanken r a s e n. Aber ich muß gleich los. Und vorher für den Analytiker noch diese Diskussion ausdrucken. Er sollte davon wissen.
Auflachend: Und pötzlich ist es Tschaikowski, b-moll. Das muß ausgedrückt werden, das muß in die Dichtung hinein!

17.52 Uhr:
[Stockhausen, In Freundschaft für Cello solo.]

Es g e l i n g t. Es erzählt sich wie aus einem Guß. In so klaren einfachen Sätzen, daß sie fast traurig sind. Wie vor Güte. Und wieder ist es die Musik.

20.31 Uhr:
[B.A.Zimmermann, Cellokonzert.]

“Jubelkind”, das jetzt “Clara Grosz” heißt, in der Rohfassung in einem Stück fertig. Sag mir noch mal wer etwas von Schreibblockade!

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