Freitag, den 1. Juli 2005.

Kinderwohnung.
[Stille, Verkehrsrauschen.]
Um 6 auf. Ganz ruhig in die Küche, Kaffee gekocht, an das DSCHUNGELBUCH gesetzt. Dann den Jungen wecken usf. Und in die Arbeitswohnung hinüber.

Arbeitswohnung. 8.34 Uhr:
[Pettersson, Zweite Sinfonie.]

ARGO: Erstaunlich, wieviel ich von der Arbeit zwischen Oktober und Januar bereits vergessen habe. Das führte gestern nacht zu einem Konstruktionsfehler, den ich dann, als ich ihn bemerkte (Segen über die Computer!), in ein poetisches Prinzip umwandelte: Den Irrtum als eine Möglichkeit begreifen und ihn nicht korrigieren, sondern m i t ihm weitererzählen, so daß auch er sich ins Gewebe fügt. Das Schöne daran: Es hat einen hochgradigen Witz, auch wenn dem, für die Figuren – in diesem Falle für Herbst – etwas Katastrophales eignet. Dennoch: Ich muß das bisherige Textkonvolut ganz dringend noch einmal durchlesen (und dabei vielleicht gleich Faures Korrekturvorschläge berücksichtigen).

Die neue Visa-Card ist gekommen; das beruhigt. Also wegen Italien und dem evtl. Mietwagen.

10.03 Uhr:
[Pettersson, Sechzehnte Sinfonie.]

Auch s o etwas gibt es, ich war momentlang ganz aus dem Häuschen:

Ich habe ausserdem Ihren Tagebucheintrag von gestern gelesen und so auch von Ihrer Reise nach Italien erfahren. Ich würde sehr gerne etwas an den Mietwagen zahlen und Ihnen so die Ferien ermöglichen, die Sie sich ja hart verdient haben (…) ich erhalte ja tagtäglich eine Gegenleistung dafür, ich begleiche somit nur eine Schuld.[Die Person möchte öffentlich nicht namentlich genannt werden, deshalb laß ich sie hier signieren mit:]

Azul del Sud



Das mit den “Ferien” mußte ich richtigstellen, insofern es nur zum Teil welche sind; der Wagen ist, da der Junge mitkommt, vor allem für die O-Töne bei Neapel und auf Capri nötig. – Dann habe ich gebucht.

17.41 Uhr:
[Kinderwohnung.]

D a s hätte mir mein Verleger heute n i c h t unbedingt antun müssen: mir zu erzählen, die FAZ habe für morgen eine Rezension der NIEDERTRACHT DER MUSIK angekündigt. Nun sitz ich da und bin hochnervös. Sie könnte so sehr vieles wenden. Sie könnte es aber auch zementieren. Wie, etwa, reagiert der Betrieb auf Die Dschungel und darauf, daß sie Namen nennen, Position beziehen, sich wehren? Es könnte eine “Heimzahlung” sein für, betrieblich gesehen, ungebührliches Verhalten. Es könnte ein Racheakt sein. Es könnte aber auch das völlige Gegenteil sein, ein klares deutliches “Ja”, eine Eloge, oder skeptisches Abwägen; es könnte tatsächlich um Ästhetik gehen oder die Frage nach einem “klassizistischen” Erzählen, nach Modernität, nach Tradition. Es könnte eine, sagen wir, grammatische Abrechnung werden. – All das ist drin, all das macht das Feuilleton der FAZ immer noch, auch in meinem Fall, zu einem Abenteuer.
Mir wäre es wirklich lieber gewesen, hätte der Verleger darüber geschwiegen und mir nicht auch noch aufgetragen, morgen früh eine FAZ zu besorgen. Hätte er’s nämlich n i c h t getan, hätte ich irgendwann in den nächsten Tagen erfahren “Da hat jemand dein Buch verrissen”, ich hätte einen solchen Text zum ersten Mal in meinem Leben nicht gelesen. So aber hab ich nun einen harten Abend.

Und “Deutschland entschrödert”, las ich gerade, ohne mich weiter um das Abstimmungsergebnis zu bekümmern; und so wenig ich den Mann ertrug, so sehr schauert mich doch der Gedanke an einen Außenminister Stoiber. (Übrigens wäre das d i e Gelegenheit, daß Schily noch einmal erfolgreich die Parteifronten wechselt und Innenminister – bleibt. Er paßte ja; vielleicht besser als Beckstein, von dem Katanga soeben prophezeite, daß er’s werde.)

21.34 Uhr:

Jetzt ist sie also da, die FAZ-Kritik auf die NIEDERTRACHT. Mehrere Telefonate mit Freunden geführt, einer gab mir das login für die online-Ausgabe, worin der Text jetzt schon steht. Kollegin **, der ich den Text vorlas: “Also wenn es ein M a n n ist, der das geschrieben hat, dann, Verzeihung, hatte er Probleme zu kommen, weil ihm die Frau zu unmoralisch war.” Die Zielrichtung ist sowas von klar: ANH ist ein Meister, aber so unmoralisch und so narzißtisch, daß “wir” das nicht hinnehmen, sondern abstrafen werden: die Meisterschaft nämlich. “Wir” mögen diese Stoffe nicht!

Jedenfalls hatte ich noch nie einen derart v e r r ä t e r i s c h e n Verriß; ich bin geradezu glücklich. Auch wenn es natürlich schöner gewesen wäre, es wäre anders – nicht so verlogen – gekommen. Gekommen halt. Danke, liebe **.

P.S: Wie werden sie es hassen, daß ich mich – wehre. So hämisch zumal. Es ist nur ein Jammer, daß nun die Psychoanalyse Pause hat – für fast vier Wochen. Meiner und der Ferien des Analytikers halber. Weil so klar, so furchtbar offensichtlich ist, daß der FAZ-Kritiker mit dem “Ribbentrop”-an-mir derartige Probleme hat – und mit dem Bürger in sich. (Wenn er wüßte, daß ich eigenhändig eine Frau piercen konnte, ja, richtig, durch die Brustwarzen, es waren Sicherheitsnadeln, mein Herr oder meine Frau… ich war, ich geb es zu, selber erschreckt über diese in mir waltende Professionalität… Sterilisation, Vorbereitung usw. …er wäre noch ganz anders über meinen Narzissmus hergezogen. Nur: Sie b a t darum. Sie tropfte, als ich es tat. Und wenn er begriffe, daß ich das bei einer jungen Frau niem a l s getan hätte, weil ein solcher Akt die Milchdrüsen gefährdet… dieser Rezensent wäre umgekommen vor lauter NichtmehrbegreifenderWelt.)



Arbeitsfortschritt:
ARGO, bis TS roh S. 235.
DSCHUNGELBUCH, bis TS roh S. 100 (korrigiert).

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