Sonntag, den 14. August 2005.

Kaum ist das Compterproblem gelöscht, hab ich eben über ein neues Mailprogramm sämtliche je erhaltenen und gesendeten Emails gelöscht, darunter Rechnungen, Abrechnungen, Buchungsaufträge, Reisebestätigungen und –dokumente. Ich komm grad aus dem bittren Lachen nicht heraus.Und doch, EvL hat recht, ist es ein wenig wie ein Neuanfang. Und wer zuviel Arbeit hat, der, so mag das Sprichwort es ungekehrt sagen, macht sich noch selber welche dazu.

17.14 Uhr:
AZWSB, wieder einmal, wozu sich nun auch noch die aufgefrischte Melancholie wgen *** geschlagen hat. Eben wurde der Junge ihrem Bruder übergeben, der uns auf halbem Weg entgegenkam. Jetzt sitz ich so hier.

Morgens gemeinsam mit dem Jungen ein neues Türschild beschriftet, und er malte es aus.

Wohnungstür.

Nachmittags nun ins Kino gegangen: „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Ein leicht komisch-dämonischer Johnny Depp, der Film insgesamt ein wenig Charles Dickens und mehr USA- Süßigkeit, doch von jener durchaus traumatischen, bisweilen psychotischen Sphäre, die in die Träume gehen kann. Eine wunderbare Anspielung an „2001 – A Space Odyssee“, indes nicht für Kinder verständlich. Die moralische Auflösung schließlich von jener Art, die weder ich noch mein Junge gerade gebrauchen können: das Hohelied auf die Heile Familie. Adrian wurde denn auch unruhig; schon die märchenhaft-grausame Art, in der andere un- bzw. verzogene Kinder abgestraft wurden, nämlich jedesmal mit einer Todesdrohung verbunden, war ihm deutlich unangenehm. „Was hat dir an dem Film denn am besten gefallen?“ frage ich nachher. „Die Eichhörnchen“, antwortet er.

Jetzt schauen, ob etwas von EvL da ist, dann das Kinderzimmer aufräumen und hinüber in die Arbeitswohnung wechseln. Ich würde mich gerne betrinken.

22.46 Uhr:
[Jarrett, London Concert von 1995.]

Tatsächlich etwas gearbeitet: an einem Briefwechsel herumgefeilt, der eigentlich in Die Dschungel gehört, das Verhältnis von Privatheit und Kunst diskutiert und selbstverständlich –sofern so etwas überhaupt denkbar wäre – noch lange nicht abgeschlossen sein wird. Aber möglicherweise ergibt sich daraus ein etwas umfassenderes Forum. Freilich bedarf es nun noch der Autorisierung durch den Briefpartner. Ich werde mich an seine ‚Direktiven’ halten, allerdings das Thema selbst nach wie vor weiter in Den Dschungeln diskutieren. Der Briefwechsel rührt allerdings an Grundfragen, die weit über den Einzelfall meines verbotenen Buches hinausgehen.
Im übrigen ist darüber meine Melancholie ein wenig gewichen. Ich denke nach, fühle nach. Die nunmehr einwöchige erotische Askese tut mir nicht gut, aber ich breche deshalb nichts übers Knie. Sowieso bin ich mit meinen Gefühlen und Gedanken zu sehr bei ***, zu sehr aber auch an EvL, mit der ja ein anderer intensiver Briefwechsel immer parallelläuft. San Michele ist momentan sehr fern. Ich muß mich an die O-Ton-Protokolle setzen und dann zu dichten beginnen.

5 thoughts on “Sonntag, den 14. August 2005.

  1. Charly und die Schokoladenfabrik Einspruch! Das ist nicht ein wenig Charles Dickens, sondern 100% Roald Dahl! Tim Burton, für mich ebenso ein Meister des Schrillen und Surrealen mit leicht grausamen Touch wie Roald Dahl, hat sich sehr eng an die Romanvorlage gehalten. Ich habe dieses Buch, wie so viele, meinen Kindern vorgelesen und sie haben es so geliebt, dass sie es bis heute in allen Details kennen. Das Problem ist halt immer, dass es einen Unterschied zwischen der verbalen und bildlichen Darstellung von Grausamkeiten gibt. Wird die Geschichte gelesen oder gehört, erlaubt die Phantasie gerade so viel, wie der Geist vertragen kann. Bilder hämmern sich unerbittlich ein. So ist es eigentlich ein Erwachsenenfilm. Und was für einer! Super die Parodie auf Rockbands der Siebziger und allein das pittoreske Heim (eine statische Unmöglichkeit) der armen Familie war schon den ganzen Film wert. Klasse war auch die echt deutsche Familie aus Düsseldorf, Germany. Ich liebe den Film!

    1. Das möchte ich. Ihnen nicht nehmen. Bloß war und ist m e i n Eindruck ein anderer als Ihrer; allerdings kenne ich auch die Buchvorlage nicht. Roald Dahl las ich mit fünfzehn, danach empfand ich ihn ästhetisch als von der Stange. Mein Problem mit dem Film ist eines der Familien-Ideologie, die er vermittelt.
      Für einen Erwachsenenfilm ist er nicht anspruchsvoll genug, also nach m e i n e r Film- und Literaturkenntnis. Das Spiel mit Kubrick ist wunderbar, keine Frage; zu den Bands der Siebziger kann ich nichts sagen, weil ich musikalisch anders sozialisiert bin. Die “echt deutsche” Familie aus Düsseldorf (ich erinnere mich aber: es ist Augsburg gewesen) ist allerdings eine Diffamierung und entspricht ziemlich genau dem vorurteilsbehafteten Deutschland-Bild sehr vieler US-Amerikaner; es fehlt gänzlich die tatsächliche Gegenwart. Schon die erste Einstellung, die die Stadt zeigt – Zuckerbäckerei -, belegt das nur zu deutlich. Was nun das “pittoreske Heim” anbelangt – da möchte ich wirklich auf die Arbeiten der Monty Pythons verweisen, die Burton hier – ich nehme an: bewußt – zitiert. Und meine Dickens-Assoziation bezieht sich auf ein England des 19. Jahrhunderts, das namentlich von Disney immer wieder nachgezeichnet worden ist, um ärmliche oder arme Verhältnisse darzustellen.

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