Montag, den 22. August 2005.

5.48 Uhr:

Der Mailwasher blinkt und annonciert eine nächste Nachricht; wahrscheinlich stammt sie von EvL. Aber ich will das nicht lesen jetzt. Hab schon gestern kurz vor 24 Uhr nicht mehr gewollt und möchte auch jetzt nicht mehr. Korespondenzen, gerade so innige, sollten einander guttun und nicht schlimme Träume und Nöte bringen.
Der Kontakt ist intensiv gewesen. EvL, Sie haben das gelesen, fragte sich (und, indem sie es mir schrieb, also auch mich), ob ich überhaupt lieben könne. Ich war in keiner Weise böse darüber, sondern getroffen und nachdenklich. Den ganzen Tag sann ich darüber nach, mich fragend, abklopfend – und tue das noch immer. Abends indes holte sie noch aus in ihrer Korrespondenz und nannte mich einen, dessen Liebe sich in der Behauptung gefällt. Als ich die Legitimität dieser Charakterisierung bezweifelte, schon, weil es eben alle Menschen meines Umgangs, weil es auch und gerade meinen Sohn betrifft, nahm sie das nicht etwa zurück, sondern beharrte. Vielleicht meint sie oder stört sie u. a. meine Art, die mich öffentlich in einem Tagebuch schildert; das mag alles sein. Es ist dies aber eine schlechte, wahrscheinlich sogar miese Basis. Ich habe folgendermßen reagiert:




“Liebe, die sich in der Behauptung gefällt” ist eine sehr böse und sehr traurige Verletzung. Sie tut mir weh. Und ich gebe das zu. Sie tut mir weh, obwohl sie ungerecht und wahrscheinlich auch nicht gerechtfertigt ist. Aber wenn Sie das so meinen, kann ich dagegen nichts tun. Es hilt ja nichts zu sagen “Das stimmt nicht”, wenn die andere sagt “Es stimmt d o c h”. Hier gibt es keine Beweise, allenfalls Belege. Und wollen wir die wirklich – Sie g e g e n mich, ich f ü r mich – sammeln?
Wozu also sprechen Sie überhaupt noch zu mir? Hierüber allerdings denk ich jetzt nach. Hätte ich jemanden in meinem Umgang, von dem ich derartiges glaubte, ich unterbräche die Verbindung und miede ihn. Oder sie. Aber dazu bedürfte es nicht eines solchen Aufwandes.

Etwas später, nach einzwei weiteren Mails, die hin- und hergingen, brach ich die Korrespondenz, jedenfalls für den Abend, ab und ging off. Jetzt, am Morgen, möchte ich nicht in die sehr trauernde Stimmung zurückkehren, die ich ihr noch zu einem Ausdruck brachte, auf den sie dann mit einem Satz voller quasi-esoterischer Banalität reagierte, flappsig könnte man das nennen, steckte dahinter nicht eine Gefühlsabwehr, hinter die mehrere Ausrufezeichen gesetzt sind. Egal, meine argentinische Freundin hat neuerdings eh anderes, sagen wir: hoch Gesellschaftliches zu tun, als daß es sich noch verlohnte oder geraten wäre, mit einem unbeliebten Dichter zu sprechen. Auch das hat eine ihrer Mails, freilich scherzhaft, durchblicken lassen. So fand sie denn nun einen Grund und ist hinaus aus der Misere. Vielleicht irre ich mich, dann würde ich mich gerne entschuldigen, aber zu parallel scheinen mir momentan diese Vorgänge verlaufen zu sein. Alledies nimmt selbstverständlich meinem eigenen mich-Befragenmüssens nichts. Ich werd nachher in der Analyse darüber sprechen.

Es ist sehr eigenartig und auch sehr bezeichnend für vieles in meiner Korrespondenz und in meinem Umgang mit Frauen: Ich gehe stets sehr weit, ich öffne mich immer sehr, mache mich wie in meinen Büchern ihnen gegenüber durchweg verwundbar, schere mich den Teufel um einen ‚mich persönlich sichernden Rest’ – ich will ja N ä h e. Aber irgendwann kippt das um, und aus dem, was ich erzählte, wird ein Vorwurf oder es wird zum Anlaß genommen,mich zu sanktionieren, etwa durch Entzug (dessen unverletzliche Spielart ein Rückzug ist). Ich werde mich dennoch, obwohl ich das oft genug erfahren habe, nicht auf die ‚kluge private Gepflogenheit’ zurückziehen, werde mich n i c h t mit auf die Seite derer stellen, die sich nicht zugeben, sondern in einer anderen, glatteren, scheinautonom lächelnden Maske darstellen wollen, als Pirandello sie meinte.

Habe schwer geträumt. Als ich um kurz vor vier davon wach wurde, wußte ich den Traum noch. Jetzt ist er weg, nur noch ein Gefühl. Aber er war wichtig. Ich hätte aufstehen sollen und ihn sofort notieren. Aber ich fürchtete mich vor dem blinkenden Mail-Programm, war ohnedies zu müde, blieb liegen. Und neben mir der Kleine nahm meinen Arm in seine Arme und hielt ihn fest. Dann sagte er, wie aus dem Traum: „Kuscheln, Papa.“ (Das von ihm seit ein paar Wochen verwendete Wort „Paps“ scheint er offenbar nur dann zu gebrauchen, wenn er bewußt ist. Ich weiß jetzt übrigens auch, woher er es hat: aus unserer gemeinsamen Lektüre von „Lola, der Bär“. Da nennt ein Mädchen ihren Vater so, das so alt wie Adrian ist und – wie er unsere 3 ½ Tage pro Woche – bei ihrem Vater lebt; die Mutter ist fortgegangen nach Australien.)
Vielleicht fällt ermir noch ein, vielleicht schaff ich’s in der Analyse, ihn mir wieder aus dem Kopf zu ziehen. Ich selbst spielte eine Rolle, mein Junge, meine Mutter, EvL (glaube ich) und noch eine andere Frau. Die sozusagen Pointe des unbewußten Stücks war, erinner ich mich, daß mich etwas zutiefst überraschte – eine Erkenntnis. Die sich dem Wachsein nun wieder verschloß.
Es ist 6.28 Uhr, ich muß den Kleinen wecken.

[Der Mailwasher blinkt und blinkt. Nein, ich öffne die Post noch nicht. Vielleicht am Abend, wenn die Arbeit getan ist, die so dringend getan werden muß.]

7.59 Uhr, Arbeitswohnung:
[Stockhausen, Michaels Reise um die Erde aus „Donnerstag auf Licht“; ein Stück, das ich – wiewohl dazu unfähig – sehr liebe.]

Und noch eine andere Begebenheit bereitet mir derzeit das, was man wohl eine ‚menschliche Enttäuschung’ nennt; ich will aber keinen auch nur angedeuteten oder fingierten Namen nennen, weil sich d a s nicht zwischen Buenos Aires und Berlin, sondern zur Gänze in Deutschland abspielt und deshalb recherchierbar wäre. Es scheint aber offensichtlich so zu sein, als griffe ein als prominent geltender Betrieb, der jemanden auserkoren hat, unmittelbar in des Auserwählten auch psychisches Verhalten gegenüber anderen ein, selbst gegenüber Freunden oder sehr vertrauten Gesprächspartnern. Er checkt dann, höchstwahrscheinlich unbewußt, Marktwert und Bedeutung ab und siebt. Ich kann allerdings nicht sagen, ob ich selbst davon freiwäre; hab ja nie diese Erfahrung gemacht. Aber die Dynamik läßt sich an den meisten, sagen wir: ‚Sternchen’ gut – also schlecht – beobachten. Auch einer meiner Lektoren gehört, sogar nachdrücklich, in diese Kategorie. Nicht Delf Schmidt, nein, gewiß nicht; der besitzt Grandezza und Größe, sich von so etwas nicht beeinflussen zu lassen. Sollte der gemeinte Lektor lesen, was ich hier schreibe, wird er schon wissen, daß er gemeint ist. Das genügt. Mir sind Menschen wie >>>> Buschheuer näher: die tun, was ihr Gewissen ihnen eingibt, und nicht, was ein Betrieb von ihnen erwartet. Und so s c h r e i b e n sie auch. Unkorrumpierbar.

Jetzt an die Arbeit. Und um nicht n e b e n ihr zu fühlen: die Kopfhörer auf!

[Hab den Mailwasher nach dem Wohnungswechsel erst gar nicht wieder eingeschaltet. Aber ein weiteres Fragment der „Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens“ ist mir auf dem Radweg eingefallen; ich werde es heute abend ausformulieren.]

15.18 Uhr:
[Stockhausen, Donnerstag aus Licht, immer wieder.]

ARGO ging wieder gut voran. Dann, nachdem ich aus der Analyse kam, meldete sich abermals EvL, ihrerseits betrübt klingend, aber in der Sache entschieden bleibend; es war das z w e i t e Blinken des Mailwashers, nun k o n n t e ich mich nicht mehr beherrschen und sah nach. Ich stellte mich, so im groben die Argumentation, nicht ihren Eindrücken, sondern zöge mich, wann immer sie meine Psyche träfen, stets verletzt zurück und schriebe statt dessen in Den Dschungeln von meiner Trauer und wie mißverstanden ich doch sei und daß ich selbst, sagen wir, ‚rein’ von menschlichen Makeln sei. Ich meinerseits hätte sie, EvL, bereits einige Male, ohne das zu bemerken, verletzt.
Das kann nun gut sein, ich weiß es ja nicht. Und ganz gewiß b i n ich nicht ohne Makel, es wäre absurd, das zu bestreiten. So antwortete ich vorhin zurück; es kam aber noch keine Antwort. In B.A. ist’s jetzt 9.26 Uhr vormittags, und ich weiß ja, wie lange die Freundin arbeitet nachts. Also wird sie jetzt noch schlafen. (Ertappe mich immer wieder dabei, auf den Mailwasher-Ticker und auf die bei mir eingestellte Weltzeit-Uhr zu schauen: jetzt ist es soundso spät in B.A., jetzt ist es soundso spät, jetzt soundso spät….)
Nein, ohne Makel bin ich nicht. Wovon ich aber restlos frei bin, sind korrupte Elemente. Nicht umsonst ist das Thema Korruption und wie (manchmal vielleicht vor)schnell ich sie wittere, unterdessen eines der Hauptthemen meiner Psychoanalyse. Die mir bewußten Makel zähle ich nicht gerne, aber eingeständig jederzeit auch öffentlich auf: Erotische Untreue, Jähzorn, bisweilen Hochnäsigkeit, meine (allerdings aus ökonomischer Not geborene) schlechte finanzielle Zahlungsmoral gegenüber Firmen, die ungerechte Neigung, alles über einen Kamm zu scheren, Eitelkeit und Haltungslosigkeit im Umgang mit Genußmitteln (Suchtcharacter). Allerdings muß ich jetzt schon, *kichert*, überlegen.

Und Freund G. ruft an, ob ich nicht mit ihm für den Abend und nächsten Morgen in sein Wochenendhaus an den See fahren wolle; ich könne auch d o r t arbeiten, und es gebe da keine Frauen im Netz, die mich ablenkten. Tatsächlich führe ich gerne, aber ich bin gerade wieder drin in der Arbeit und möchte das nicht gefährden. Dennoch, ganz ‚reinen’ Herzens, danke.

Also, etwas verspätet für heute: SAN MICHELE.

17.57 Uhr:

Jetzt d o c h Anwort von EvL, bzw. k e i n e Antwort, aber ikonografisch ein Lächeln. Und „ich gehe jetzt schwimmen“, schreibt sie. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Da mußte ich eben, sehr erlöst, auflachen. Sture Feuerköpfe. Beide. Sie geht das löschen, ich kanalisiere es ausnahmsweise mal wieder u m. Damit ein schönes Hörstück entsteht.

NACHTRAG

„Du kommst deshalb nicht mit, weil du internet-süchtig bist“, sagte G. gestern spätnachmittags noch, bevor er an den Döllnsee fuhr. Als er das sagte, hatte er noch Unrecht, da arbeitete ich tatsächlich sehr. Als ich ins Bett ging aber, da hatte er recht b e k om m e n. Und d o c h nicht. Im langen Gespräch mit der Wienerin (wie sie ergriffen ihre schönen Hände vor das Gesicht legt, als wir von neuen Kindern sprechen, nein: von einem), in der Freude über eine weitere Meldung EvLs („S i n d wir nun noch zerstritten?“ und setzte sich, seh ich vor mir, die Badekappe ab – hat die Frau eigentlich langes oder kurzes Haar, blondes, brünettes, schwarzes? nein, ich werde nicht fragen), im philosophisch-sophistischen Wechsel der postings mit Source, die ja nun doch vergeben ist, sind es immer kluge Frauen, die mich im Internet bewegen. Ohne solche Frauen wär ich nicht hier oder allenfalls für google-Recherchen. Weil ich indessen bislang keiner von diesen dreien real begegnet bin, wirkt durch sie d i e Frau: Eine Erscheinung der inneren Anima, deren Wirklichkeit chemisch ganz anders sein kann, wenn sie in die reale Person zu schlüpfen versuchen sollte. Wahrscheinlich ganz anders sein w i r d. Doch ich merke, wobei ich gleichzeitig zu lieben meine, wie schon jetzt dieses, objektiv gesehen, Verfahren in die Gestaltung der Frauenpersonen in meinen Texten eingeht: es wird jene ungleich reicher machen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .