Freitag, der 26. August 2005.

8.26 Uhr:
[Frederic Delius, The Magic Fountain. Durchhören furs San-Michele-Stück. Ich mag Delius eigentlich nicht, ist zu kitschig oft, sagt zu wenig sowieso; aber ich habe so einen Instinkt jetzt…]

Es war ein Lehrstück in Sachen Zuckerbrot & Peitsche, dieses Gespräch mit der Lehrerin meines Jungen eine Viertelstunde vor dem Unterricht. Adrians Mama hatte sehr geweint vor Sorge um den Jungen gestern abend am Telefon; schon seit zwei Tagen habe sie Herzschmerzen deshalb. So wurde mir klar, i c h muß ran. Was ich eigentlich in der Schule vermeiden wollte, weil ich immer derart polarisiere, trete ich irgendwo auf; und hier bekommt die Folgen ja zumindest indirekt der Junge und nicht ich selbst zu spüren. Aber es ging halt nicht anders. Also den imaginären Turnierhelm unterm Arm, aber noch nicht aufgesetzt. Versuchen, freundlich zu sein. Schaffte ich dann aber nicht. Ging auch nicht, da sie darauf bestand, Adrian weiterhin alleinsitzen zu lassen. „Das ist inakzeptabel. Er bekommt einen Nachbarn. Falls nicht, sprechen wir uns vorm Direktor wieder.“ Sie zitterte, ich zitterte auch. „Ich akzetiere auch nicht den von Ihnen gegenüber meiner Frau angeschlagenen Ton, allein die Ausrufezeichen sprechen Bände. Frau *, mein Kind ist kein Rekrut, sondern ein kleiner ABC-Schütze. Er hat von seinen Eltern beigebracht bekommen: Das Leben ist Erkenntnis und Wissen und Lernen und viel Arbeit, aber Arbeit ist etwas Gutes. Und er hat vor allem beigebracht bekommen: Das Leben ist Schönheit.“ Da wurden ihre fernen, sehr blauen Augen hinter den tiefen Zylindergläsern mit einem Mal ganz weich. Und auch mich hatte mein letzter Satz und das, was er bedeutet und, ja, predigt, plötzlich weich gemacht. So standen wir da und begannen zu lächeln. „Gut, ich versuche es noch einmal“, sagte sie. Und erzählte ihr wirklich einsichtiges Problem: „Adrian ist ein sehr aufgeweckter Junge, aber nicht alle in der Klasse sind so. Er kann zwischendurch stören und kommt dennoch mit. Aber die anderen nicht. Darauf muß ich achten.“ „Das verstehe ich, Frau *, aber ich möchte keine soziale Deklassierung für meinen Sohn.“ Und ich erzählte von mir selbst: „Wissen Sie, als i c h in die Schule kam, war ich ebenso hochaktiv wie Adrian.Man versuchte das einzudämmen. Vergeblich. Schließlich wollte man mich auf die Sonderschule geben, als geistig nicht genug entwickelte Kind. Das hat mich später nicht davon abgehalten, mit einem NC von 1,1 abzuschließen.“ Das war Angeberei, ich weiß, es war hier aber notwendig. Die Frau muß wissen, mit wem sie da spricht. „Und ich konnte das, weil ganz andere Lehrer an einer ganz anderen Schule mich und meine Aktivität zu n e h m e n wußten. Bis dahin aber waren es ganz furchtbare Jahre. Ich will nicht, daß mein Junge etwas auch nur Ähnliches durchmachen muß. Er kann jetzt bereits Brocken Italienischs und Englischs, er ist seit zwei Jahren in der Musikschule und lernt Noten, er hört bereits den Kammerton a aus anderen Tönen heraus… er hat sich auf die Schule gefreut, und ich möchte nicht, daß er schon zwei Wochen nach der Einschulung Angst vor ihr bekommt.“ Es war seltsam, wie sie mich mit einem Mal verstand. Ich zog noch etwas nach und teilte ihr meine Begeisterung über das in der Tat sehr schöne Lehrmaterial mit, nach dem die Kinder lernen. Wir trennten uns mit Handschlag und einem beiderseitigen, glaube ich, wirklich herzlichen „Ein schönes Wochenende.“ S i e hat vielleicht etwas gelernt, ich aber auch: wie sehr sich hinter der unentwegt auf Disziplin klopfenden Härte Wünsche und Hoffnungen, weil es vielleicht so vergebliche sind, eingegittert haben. Und pötzlich m a g ich diese Frau.

Nun aber SAN MICHELE. Ich bin seit fünf Uhr auf, eine Stunde und eine Seite ist bereits an ARGO getan. Und: Nein, diese Musik g e h t nicht. Oder, halt, jetzt doch…. wo es instrumental ist. Hm. – Und die Musik für eb ist noch herauszusuchen. Es soll etwas Schönes, Feierliches sein für heute. Aber ja N e u e Musik. So muß ich auch da ein wenig meditieren.

11.32 Uhr:

Sitze am Schreibtisch und bin irgendwie ratlos. SAN MICHELE ist ja eigentlich getan, das Ding muß jetzt abhängen. Aber ich weiß immer noch nicht mit den Musiken weiter. Stocher noch mal in den beiden Typoskripten herum, von SAN MICHELE zu ARGO wechselnd und zurück und wieder hin, aus den Boxen tönt weiter der Delius. Eigentlich müßte ich Überweisungen tätigen, schon seit Tagen, will aber nicht wissen, was (nicht) auf dem Konto ist, ob das überhaupt geht. Obendrein liegt vermutlich böse Verlagspost in meinem elektronischen Brieffach, fraglos die geharnischte Antwort auf meine Auseinandersetzung mit dem Verleger neulich über opportune, bzw.nicht-opportune Usancen im Betrieb. Komische Lähmung; bisweilen h a b ich das nach Abschluß einer Arbeit. Ich starre auf den Screen und warte auf eine Nachricht von EvL, aber es ist ja erst 6.32 Uhr in Buenos Aires, und ich weiß, daß die Freundin nachts lange arbeitet; also wird sie jetzt schlafen. Und der Delius spült mich da in eine Stimmung, die überhaupt nicht gut ist. Vielleicht ziehe ich einfach den Mittagsschlaf vor.

23.31 Uhr:
[Renaissance-Musik im Dänen-Netzradio.]

Der Nachmittag war mies. Ständig am Sprachcomputer scheiternde Überweisungsversuche bei der Postbank. Man kann den Eindruck bekommen, die POSTBANK AG („Huhu! G o o g l e !“) hat einen Beratervertrag für die DEUTSCHE TELEKOM, um für diese Gebühren zu schinden und am daraus resultierenden Gewinn prozentual beteiligt zu werden. Wird man endlich zum Berater durchgestellt, so darf der Überweisungen selbst nicht mehr entgegennehmen, und man wird abermals in die Sprachcomputer-Schlaufe zurückgestellt. Der Sprachcomputer der POSTBANK AG („G O O G L E !!!“) funktioniert aber nicht oder läuft permanent fehl. Und wieder landet man beim Berater, der doch nichts tun kann, schon gar nicht beraten. Das geht so unentwegt, bis man das Konto bei der POSTBANK AG am liebsten auflösen möchte. Und vielleicht auch sollte.
Dann Auseinandersetzung wegen der unangekündigten Zwangsräumung meines Kellers durch die Hausverwaltung. Wenn das so weitergeht, stell ich deren Namen („GOOGLE!“) a u c h noch hier herein. Jedenfalls will ich meinen und Katangas Verlust ersetzt bekommen. Und mußte deshalb bei der Bank noch die Einzugsermächtigung für die Miete zurückziehen. Lauter solch einen Blödsinn habe ich heute nachmittag getan. S t u n d e n vergehen über sowas, ich kann Ihnen sagen!
Schließlich ein… nein, „schönes“ läßt sich nicht schreiben, aber: g u t e s Gespräch mit Source. Zum Beispiel – nämlich – über >>>> „Zigeuner“. Und daß einen (mich) dieses Wort, das von jemandem anderen als Abqualifizierung gesagt wird, eigentlich ganz besonders erregt. Ich sehe (fühle) in dem, was andere abwertend meinen, eine erotische Kraft, die die anderen vielleicht genau deshalb abzuwerten versuchen. Das ist so spannend wie mein Gespräch mit der Frühjahrsliebe, das jetzt auf der Hauptseite Der Dschungel steht (nein, w i e d e r einmal keine Lust auf einen Link; Sie haben die Suchfunktion, also nutzen Sie sie auch, verdammich).

Wichtiger Satz eben, an Source getippt, in einer Diskussion um die Radikalität des Privaten, mit der ich unterdessen vorgehe… ja, wichtiger Satz… furchtbar relativistisch:




M e i n Weg hängt auch an meiner Position in der Deutschen Literatur. Da war viel vorweg.Täte ich, was ich jetzt tue, o h n e das, es bekäme nie und nimmer diese Valenz – wie gut formuliert es immer auch s e i.
Und ich warte auf eine Meldung von EvL. Sie ist in die Pampa gefahren für den Tag, schrieb sie zuletzt. Und verspottete mich mit einer Borges-Travestie um Messer und äonenweites Land. Und die Wienerin will heute unbedingt fernsehgucken, wobei ich mangels hardware nicht einmal mithalten kann. Immerhin ist die Stimmung unversehens und erheblich besser. Ich scheine ein bißchen Zeit zu brauchen, um zu begreifen: SAN MICHELE ist wirklich geschafft, und das Stück s t e h t liegt egalwas. Dabei hab ich sogar an ARGO heut früh was getan. Und hab obendrein noch 300 Euro vom Konto runtergekriegt, so kann ich am Sonntag mit meinem Kleinen in eine Kindervorstellung der Komischen Oper gehen (hab in dem ganzen Wust nicht mal mehr für wenigstens mich eine Pressekarte bestellen können – schreiben werd ich trotzdem drüber). Und wen unter den Voyeuren meiner Leser auch d a s noch interessiert („Produktionsbedingungen“, no jo, Dank an eb): Seit heute trinke ich Weißwein aus Tetrapacks:: Und seien Sie versichert::: Nach dem dritten Glas… na gut, nach dem fünften… s c h m e c k t er.

NACHTRAG:

Ein schönes, so mutmachendes wie trauriges Zitat:

Weißt Du – mal ganz sentimental gesprochen -, eines Tages f a l l e ich, aber dann kommen selbst die Gegner an mein Begräbnis gepilgert und – vereinnahmen mich.

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