Sonnabend, der 27. August 2005.

8.43 Uhr:

Erst um acht hoch, DTs’e komplettiert, bzw. geschrieben. Dann gesehen: Zwei Opern-Uraufführungen, je an http://www.deutscheoperberlin.de/premieren/odyssee.htm” target=_blank” onmouseover=”status=’Die Riesen zupften sich die Bäfrte; pflanzten Hanfnessel, Löwenmaul und Bilsenkraut.’;return true;”>>>>> Deutscher Oper und >>>> Staatsoper Unter den Linden; über beide möchte ich schreiben. Eben gleich die Pressekarten per Mail bestellt; hoffentlich bin ich nicht wieder – wie bisweilen geschehen – zu spät damit. Und schon ist mein kleiner Junge auf, splitternackt kuschelt er sich auf meinen Schoß, sein wirklich schönes, sehr schlichtes „Milleniums-Puzzle“-Amulett (nach Yugi-O!)um den Hals: „Papa, heut gehen wir eine Ratte kaufen!“ Das nämlich hab ich ihm seit Wochen versprochen; es soll ein Haustier sein, das er immer mit sich herumtragen, das also von Zuhause-bei-Papa nach Zuhause-bei-Mama und zurück wechseln kann. Ich muß grinsen, weil ich mir grad das Gesicht seiner Lehrerin vorstelle, wenn er das pfiffige Tier mit in die Schule bringen sollte (was er ganz ganz gewiß versuchen wird).

Ich will heute morgen dennoch wenigstens einen Lesedurchgang SAN MICHELE hinbekommen und ein paar Sätze an ARGO tun. Danach, das ist den Kindern versprochen, geht’s schwimmen, ob nun ein letztes Mal ins Freibad Pankow (kühl ist’s leider draußen… ein s e h r früher Herbst) oder ob nun ins Hallenbad Landsberger Allee. Wenn die beiden Jungens tollen, lese ich ein zweites Mal SAN MICHELE, dort, am Beckenrand. Ich bin, als ich noch in Frankfurtmain lebte, bisweilen sogar in die Sauna mit Typoskripten gegangen, die hinterher entsprechend aussahen. Das störte aber nicht. Und eine Zeit lang bin ich nachmittags mit dem Manuskriptbuch in den Palmengarten gezogen und hab mich da in den Regenwald gesetzt, um zu schreiben. Innerhalb einer halben Stunde quollen die Seiten auf, aber auch das störte mich nicht; ich hatte immer einen wasserfesten Stift dabei. Es war ein … wie soll ich sagen?: weiches Schreibgefühl. Das stimmte den in mir so vorherrschenden Gegenkraft-Impuls ganz milde und gab vielem im WOLPERTINGER eine Leichtigkeit, die dem brachialen ANDERSWELT-Unternehmen bisweilen abgeht. Source sprach gestern von einem Akt des Stemmens; ich wehrte mich dagegen, aber sie hat ja nicht unrecht. ANDERSWELT wird gegen Widerstände (objektive, subjektive, auch soziale) in eine Kybernetik gemeißelt, die wie Granit ist; WOLPERTINGER hingegen wurde erschwommen. Abermals der Gedanke: Lebte ich in den Tropen, mir ginge vieles leichter von der Hand: gut schwitzen, ‚ozeanisch’, wie es im verbotenen Buch heißt, gut schwitzen & schreiben.




21.19 Uhr:
[Händel, Giulio Cesare in Egitto. Im Bayern4-Netzradio. Ein wunderschöner Gesamtmitschnitt von vor vier Tagen aus London unter der Leitung von William Christie. – Mich bindet etwas sehr Privates an diese Oper, zugleich aber begriff ich mit ihr, welch ein Riese Händel gewesen ist. Ich ziehe ihn seither sogar Bach vor, was sehr viel heißt – aber es ist diese seine Weltlichkeit, an der ich so hänge und die mich gerade in seinen italienischen Opern so tief befriedigt, wie ich es kaum ausdrücken kann. Diese weltsichtartige Bindung wurde dann später von der Interpretation seines Characters in „Farinelli“ noch einmal geerdet. – Ich lebte, als ich Händels Cäsar zum ersten Mal hörte, 1998, in Rom, welches ja nun kein sonderlich berühmtes Opernhaus hat. Aber mit dem, was damals musikalisch zustande kam – nicht inszenatorisch, das war Rampensang und Pappe -, konnte nicht einmal die New Yorker MET mithalten, in der ich das Stück fast genau ein Jahr später wiedersah – übrigens unter dem gleichen Dirigenten, Woldemar Nelsson. Die Atmosphäre in Rom war derart dicht, der Gesang dermaßen – ja, erschütternd, daß neben mir ***, die damals ihre erste Barockoper hörte, in unentwegte Tränen ausbrach. Ich habe das große Glück, damals schwarz mitgeschnitten zu haben. Und auf diesem Schatz werde ich bis an mein Lebensende wie Fafnir hocken.]


Nichts getan, nicht über den Vormittag, nicht über den Nachmittag. Es ging ja ins Freibad. Kalt war’s, sagen wir: kühl. Aber ein Abschied. Welch ein kurzer Sommer! Dennoch hat mein Junge wiederum seine 50-m-Bahn im großen Becken durchschwommen; er wird allmählich sicher, taucht sogar zwischendurch,um seinen Vater dabei zu fangen. Es ist ein Genuß, dem Kerlchen dabei zuzusehen, wie es seinen Körper zu verstehen lernt. Und mit einiger, durchaus nicht unverkniffener Melancholie denke ich an den ungelenken Jungen zurück, der ich selbst dagegen gewesen bin. Am Abend haben wir dann seine Hausaufgaben gemacht, das heißt (so hab ich es mir für ‚meine’ Tage mit ihm jetzt angewöhnt): wir sitzen übereck am Küchentisch, und während er seine Aufgaben löst, übersetze ich neben ihm den Pinocchio. „Ich arbeite dann a u c h, Adrian, so ist das dann auch sonnabends gerecht.“ Das sieht er ein. Und nunmehr will ich, wenn der Kleine ins Bett gebracht ist und Pinocchio vorgelesen bekommen hat (das entsprechende Kapitel je erst segmentweise italienisch und deutsch, dann noch einmal n u r italienisch), vielleicht d o c h noch ein paar Zeilen zuwege bringen, und sei’s ‚nur’ in Der Dschungel. EvL, übrigens, schrieb einen langen schönen Brief, auf den ich ebenfalls noch antworten möchte. Es ist jetzt kaum 17 Uhr in B.A.; da wird sie vermutlich hinterm Computer sitzen.Also wenn sie nicht wieder schwimmt. Komische Bindungen stellen sich im Netz her, selbst über solche Entfernungen. Entgegen meiner sonst oft etwas spöttischen Haltung dem gegenüber, laß ich mich hier ganz offen darauf ein.
SAN MICHELE geh ich morgen an, in einem Rutsch, und abends maile ich es hinaus; dann geht das Stück noch früher an den Funk, als geplant war.

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