Dienstag, der 30. August 2005.

5.10 Uhr:
[Wellesz, Die Bacchantinnen.]

Kurz vor fünf hoch, ein wenig benommen allerdings. Denn es war ein langer Billard-Abend mit Eisenhauer, David und Sebastian. David, den ich erstmals kennenlernte, spielt, jedenfalls gemessen an mir, exzellent. Mir macht so etwas Freude; ich liebe Perfektion an anderen, ganz egal, worin sie perfekt sind. Es ist einfach ein Genuß, das mitanzusehen, auch dann, wenn man selbst dabei dauernd verliert. Ich merke an mir deutlich, wie so etwas die eigenen Fähigkeiten anspornt, reizt; man wird selbst mit der Zeit besser. Eisenhauer und ich sind ungefähr gleich starke Spieler – oder schwache, wie man nun will. Daran stagniert dann irgendwann die Entwicklung. So ist David eine überaus hilfreiche und auch komische Ergänzung: wie Eisenhauer und ich letztlich im Teamspiel immer unterlagen und wir stur nicht mehr die Partei wechseln wollten, einfach weil es doch wohl möglich sein mußte, (so ‚wollten’ wir) mal einen anderen Ausgang hinzukriegen. Aber nix da. Und dann kurz noch an der Theke: Wieso ein Künstler eigentlich weder SPD noch Grüne wählen kann. (Was soll er aber s o n s t wählen, wenn man einmal davon ausgeht, daß jemand nicht im Interesse seiner Ökonomie wählt sondern aus, sagen wir, Menschenliebe.)
Jedenfalls wurde es spät. Von EvL lag der erhoffte Brief nicht da, dafür meldete sich Source, und wir führten noch ein kleines Lektorats-Gespräch im Messenger. Sie hat das Außenlektorat für ARGO übernommen. Außerdem über Mythologie, Namen in Texten usw. diskutiert. Gegen eins erst ins Bett. Wenigstens habe ich nach den Bieren beim Billard hier keinen Wein mehr angefaßt. Deshalb funktioniert das frühe Aufstehen.
Nachmittags noch ein Telefonat mit einer Verlegerin, auch wegen des DSCHUNGELBUCHs. „Wir können von dir sowieso nur alle zwei/drei Jahre ein Buch machen.“ Klare Ansage. Stört mich mittlerweile aber nicht mehr. Ein freundliches Gespräch war das; sie will an dem öffentlichen großen Köln-Projekt en suite fürs nächste Jahr weiterwerken, das durchzuführen mir das dortige Literaturhaus angeboten hat. Es hängt allerdings alles an einem Sponsor. Na, wollen mal sehen.

Jetzt kurz nach EvL-Post schauen, dann gleich an ARGO.

8.54 Uhr:
[Ich höre mich gerade durch alle seinerzeit in New York City erstandenen Ives-Sinfonien]
Mühsame, aber gewinnbringende >>>> Textpfriemelei. Mit sowas verbringe ich, um Struktur in einen Roman zu bekommen, oft Stunden, wenn nicht Tage, ohne daß sich diese Arbeit direkt in einem nach Seiten bemessenen „Arbeitsfortschritt“ dokumentieren ließe, den man sichtbar Schwarz auf Weiß sich selber zu Beruhigung und Stolz vorzeigen kann. Aber es geht mir gut dabei, denn ich merke – die Musik läßt mich merken -, wie ich in ARGO zunehmend wieder hineingesogen werde und endlich wieder schwimmen kann.

12 Uhr:
Gut bis eben durchgearbeitet; tatsächlich an ARGO ganze zwei roh-TS-Seiten geschafft, obwohl ich mit dem Spurenlegen so beschäftigt war. Und eben die zweite O-Ton-CD für San Michele hergestellt und die Töne – bereits mit Regie-Ideen – protokolliert. Jetzt eine Stunde schlafen. W i e d e r ein guter Tag bislang und soweit.

14.58 Uhr
[Vaughan Williams, Sir John in Love.]
Ach, meine arme Elisabeth. Nun hat sie sich in der Kinderwohnung festgeputzt und ruft an, ob es schlimm sei, wenn sie diesmal nicht in die Arbeitswohnung komme… sie hat sich drüben die Fenster vorgenommen, und ich kann mir gut vorstellen… *lacht. Immerhin hab ich jetzt die Arbeitswohnung für sie aufgeräumt und finde meine Sachen alle wieder. Unnötig war das also nicht. Und ich kann in Ruhe an die dritte O-Ton-CD für San Michele gehen. Den Schreibtisch putz ich halt heute mal selbst.
Habe in meinem Musiktip für >>>> Frau Buschheuer heute ein Stück von Vaughan Williams eingestellt und dann angefangen, eben noch andere Musik von ihm zu hören –jetzt „Sir John in Love“, sozusagen eine „Paralleloper“ zu Verdis „Falstaff“ und ebenfalls nach Shakespeares Komödie. Sicher fällt Vaughan Williams gegen Verdis Spätwerk ab, aber diese, ich möchte mal sagen, bürgerlich-ausgelassen-lyrische Musik wird bisweilen höchst komisch, wenn sie nach Seefahrt und einem Medley aus unzähligen Shanteys klingt. Mußte eben sehr lachen, weil mir das nie zuvor aufgefallen ist. Das höre ich jetzt also noch zuende, dann geht’s wieder an die O-Töne. Und häßliche Briefe hab ich nach dem Mittagsschlaf noch geschrieben. Furchtbar häßliche Briefe, die alle irgendwie mit dem Anwalt fuchteln.
Klasse, so ein einigermaßen übersichtlicher Schreibtisch…
14.58 Uhr
[Vaughan Williams, Sir John in Love.]
Ach, meine arme Elisabeth. Nun hat sie sich in der Kinderwohnung festgeputzt und ruft an, ob es schlimm sei, wenn sie diesmal nicht in die Arbeitswohnung komme… sie hat sich drüben die Fenster vorgenommen, und ich kann mir gut vorstellen… *lacht. Immerhin hab ich jetzt die Arbeitswohnung für sie aufgeräumt und finde meine Sachen alle wieder. Unnötig war das also nicht. Und ich kann in Ruhe an die dritte O-Ton-CD für San Michele gehen. Den Schreibtisch putz ich halt heute mal selbst.
Habe in meinem Musiktip für Buschheuer heute ein Stück von Vaughan Williams eingestellt und dann angefangen, eben noch andere Musik von ihm zu hören –jetzt „Sir John in Love“, sozusagen eine „Paralleloper“ zu Verdis „Falstaff“ und ebenfalls nach Shakespeares Komödie. Sicher fällt Vaughan Williams gegen Verdis Spätwerk ab, aber diese, ich möchte mal sagen, bürgerlich-ausgelassene Musik wird immer dann höchst komisch, wenn sie nach Seefahrt und einem Medley aus unzähligen Shanteys klingt. Mußte eben sehr lachen, weil mir das nie zuvor aufgefallen ist. Das höre ich jetzt also noch zuende, dann geht’s wieder an die O-Töne. Und häßliche Briefe hab ich nach dem Mittagsschlaf noch geschrieben. Furchtbar häßliche Briefe, die alle irgendwie mit dem Anwalt fuchteln.
Klasse, so ein einigermaßen übersichtlicher Schreibtisch…

20.18 Uhr:
[Vaughan Williams,English Folk Songs Arrangement.]
So, das war wohl der Tag. Nach morgens Egon Wellesz hat mich Vaughan Williams durch den Tag begleitet. Ein Vaughan-Williams-Tag, könnte man sagen, wären da nicht die Stunden auf Anacapri gewesen. Upps, die Schallplatte hakt…
Eigentlich wollte ich jetzt schon weg sein, aber meine Verabredung SMS’te grad, sie komme leider schon wieder zwanzig Minuten zu spät; es hat insofern seinen Sinn, daß ich mich meistens nur hier in der Nähe aufhalte und dann eben erst etwas später aufbrechen, d.h. jetzt eben noch diese Notiz verfertigen kann. Ich habe ein Problem mit Unpünktlichkeit, sitze da und warte, und meine Stimmung bewölkt sich; bisweilen bin ich dann nicht mehr recht kommunikabel. Etwas anderes ist es, wenn ich vorher w e i ß, daß jemand immer zu spät kommt, G. etwa; dann macht mir das nichts aus, denn wenn ich selbst pünktlich bin, hab ich schließlich selber schuld. Witzigerweise habe ich bislang fast n u r mit Frauen zu tun gehabt, denen sagen wir: ein orientalisches Verhältnis zur Zeit im Blut liegt. Ich kann sowas irgendwann, auch wenn es mich nervt, richtig lieben. Nur bei den ersten Malen, auf die ich mich nicht einstellen kann, reagiere ich grantig. Aber gut, in diesem Fall kam ja diese SMS.

Von den O-Tönen sind nun genau vier Stunden protokolliert und auf CDs gebrannt. Das ist mehr als fein. Morgen stell ich noch die vierte CD her, dann ist imgrunde alles für die Produktion bereit, – also wenn der DLF das Typoskript so abnimmt. Der Rest ist Zuordnen, Ausprobieren, viel viel Hören. Ich schätze mal, daß Ende September, Anfang Oktober produziert werden wird. Auf die Regiearbeit freue ich mich riesig.

Hier liegen noch ungeöffnete Mahnungen. Aber das Wildeste hab ich, glaube ich, in den Griff gekriegt. Es geht immer alles Kante über Kante in den letzten drei Jahren und wird imgrunde zunehmend schlimmer; sowas wie mich nennt man, glaub ich, einen Tagelöhner. Manchmal guck ich mir die abgerissenen Jungs am Straßenrand an und denk mir dann meinen sehr speziellen Zukunftsteil. Komisch allerdings, daß ich unterdessen anfange, ganz zufrieden damit zu sein. Was geschehen soll, geschieht. (Manchmal laß ich meine Blicke über die Bücher streifen und überleg mir, was ich davon verhökern kann. Aber die Zeit der Bücher – als Fetische und Totems – ist vorbei, machen wir uns nichts vor.)

… und über die Staatsoper hab ich mich geärgert. Es ist nun das bereits dritte oder vierte Mal, daß mir die dortige Pressestelle keine Pressekarte geben will, weil angeblich „das Kontingent ausgeschöpft“ sei. Nicholas Isherwood schrieb mir aus Paris eine Email, die mich neben der privaten Lust auf einen gemeinsamen Abend an die Uraufführung erinnerte, die er mitsingen wird. Also erinnerte ich die Staatsoper, von der ich obendrein neuerdings auch keine A n t w o r t e n auf meine Pressekarten-Mails bekomme. Nun antworteten sie schnell, aber abschlägig. Ich hab da ein ziemlich komisches Gefühl… Ich wird über Isherwood sicherlich eine Einreichkarte erhalten; aber die Sache an sich ist schon seltsam. Als wäre http://opernnetz.de eine Adresse zweiten Ranges und die dortigen Mitarbeiter wären… sagen wir: nachgeordnet. Ich könne doch auf eine Anschlußaufführung ausweichen, schrieb mir die freundliche Dame aus dem Pressebüro. (Möglicherweise hängt das a u c h wieder mit dem abwehrenden Ärger zusammen, den Die Dschungel offenbar in einigen Lesern aufblubbern lassen. Dabei ist doch niemand gezwungen, sie zu lesen. Nichts läge mir ferner, als so etwas zu verlangen.)

Und in Argentinien ist es ganz ganz ruhig.

23.33 Uhr:
Soeben zurückgekommen. Ich hatte absolut keine Lust auf ein Abenteuer; so wurde es eine halbsachliche, halb freundliche Begegnung, bei der ich über mehr als eine Stunde lang Gedichte lektorierte, Hinweise gab usw. Aber alles eher müde; ein bißchen abgeklärt saß ich der hübschen jungen Frau gegenüber, versuchte sogar, so etwas wie Erregung zu finden, aber da war keine Chance. Meine emotionalen Gedanken, ja das gibt es, waren ganz anderswo. Deshalb fehlte mir denn auch ganz sicher der poetische Furor, den erotische Spannung in mir auslöst. Ich begeisterte nicht, wie sonst oft, wenn ich mit jungen Autorinnen spreche, begeisterte auch nicht für Sprache, sondern war distanziert, präzise, offen zwar, aber es mangelte mir an den sinnlichen Ideen, die Semantik, Grammatik und Syntax sonst so auf die Sprünge hilft; sprich: ich rührte diese Lyrik imgrunde nicht an, ließ sie infrieden und gab Hinweise, mehr nicht. Das ist sonst nicht meine Art. Aber, ja, ich war anderswo. B i n anderswo. Und das ist gut so.
Jetzt noch das DTs komplettieren, diesen Tagebucheintrag beenden, nach Post von EvL schauen und schlafen gehen. Ich sollte vier bis viereinhalb Stunden Nachtschlaf nicht unterschreiten, wenn ich mein Pensum schaffen will. Und das habe ich vor.
Allora: un altra volta:: Buona notte insieme!

NACHTRAG:
Ähm… bevor mich hier der Anti-Testosteron-Hammer trifft, also wegen meiner letzten Ergänzungen: Es kann sehr gut sein, daß auch s i e nicht wollte. Das Erstaunliche ist: Ich habe keine Ahnung. Denn, um es s o auszudrücken: Ich sah nicht nach. (Das lag nicht an ihr, sie ist wirklich reizvoll. Ich war bloß für so etwas zu. „Ich war woanders“, ich möchte es wiederholen, denn so schön ist der Satz.)

4 thoughts on “Dienstag, der 30. August 2005.

  1. puenktlichkeit leiden ihre freunde und kollegen auch so unter ihrer puenktlichkeit, lieber herbst?
    bei mir versteht immer keiner, wenn ich fuenf stunden vorher am flughafen sein will.
    ganz schlimm, da halte ich’s mit woody allen, sind leute, die zu kinovorstellungen auf den letzten druecker oder gar einige minuen zu spaet kommen.
    kuerzlich war ich zu einer dachterrassenparty eingeladen, die “ab drei” beginnen sollte. punkt drei drueckte ich – ich war bereits eine halbe stunde um den block gelaufen – den klingelknopf. der gastgeber erschien erst gar nicht und dann halbnackt. er hatte gerade unter der dusche gestanden. da er auch das essen noch nicht vorbereitet hatte und keine hilfe wollte, sass ich von 3 bis 5 mutterseelenallein in gluehender hitze auf dem schattenlosen dach.
    nojo.

    1. Auch S i e, liebe Buschheuer, haben diesen Pünktlichkeitswahn? Die tollste Lehre erteilte mir meine langjährige, geliebte Gefährtin Do. Es gab die Schubert-Sonaten, von Brendel in der Alten Oper Frankfurtmain an mehreren Abenden hintereinander gespielt. Ich stand an einem davon wie immer bereits Viertel vor acht da, um acht sollte es losgehen. Um zehn vor acht: keine Do.Um fünf vor acht: keine Do. (Damals gab es noch keine Handys). Um acht: keine Do. Nun geh ich nie und nimmer einfach alleine rein, wenn eine Frau, mit der ich verabredet bin, nicht erscheint. Es könnte ja was passiert sein. Ich könnte ja Hilfe bringen müssen und wollen. Um fünf n a c h acht: keine Do. Um zehn nach acht erscheint sie dann, zugegeben, sie eilt ein wenig, erscheint und lächelt und sagt: “Sei doch nicht so nervös, der fängt eh später an.”
      Wollen Sie die Pointe wirklich hören?

  2. leute, die zu früh sind, sind rasend unpünktlich. und machen rasend nervös. ich lernte einmal einen mann aus frankfurt kennen, der mich einige tage später in wiesbaden besuchte. „ich bin schon da!“, rief er um halb sieben statt um sieben (also „eigentlich“ viertel nach) durch die gegensprechanlage. er war auf sicherheit auf der autobahn gefahren, „man kann ja nie wissen, stau und so!“ ich stellte meinen bailey`s, den ich mir ruhig für mich eingegossen hatte – kontemplativ den gast erwarten – seufzend hin und machte ihm auf. fand das rasend unerotisch und habe diese geschichte nie weiterverfolgt.
    am flughafen tauche ich erst auf, wenn sie bereits boarden und gehe als letzte rein, weil ich noch besorgungen gemacht habe.
    *ist genervt, wenn leute zu früh sind

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