Sonnabend, der 3. September 2003.

6.09 Uhr:
[Busoni, Doktor Faust.]

Um kurz vor sechs mit dem Wecker hoch, obwohl es gestern nacht wegen des Kinos mit nach zwei Uhr schreiend spät, war. Über den einen der beiden Filme, „sin city“, schreibe ich später etwas; hab mir in der Pause Notizen gemacht, die ausformuliert werden müssen. Aus dem zweiten der beiden Filme, „Das Imperium der Wölfe“, beschäftigen mich ethische Fragen (etwa die im Interesse der Staatsräson chemisch hergestellte Persönlichkeitsveränderung, ja der Persönlichkeitsw e c h s e l), die auch und gerade in ARGO hineinspielen; ästhetisch aber gibt er nicht viel her. Will jetzt gleich an den Roman. Die Augen sind verklebt vor Müdigkeit, aber das ist egal. Ich hab heute nicht viel Zeit für die Arbeit, schon wegen des Kleinen. Und abends zu arbeiten i s t ja meine Sache nicht.

Keine Nachricht von EvL, sie wollte allein sein in Montevideo; ich wird also auch nicht hinschreiben per Email, sondern abwarten, ob und bis sie sich dann aus New Orleans meldet. Wenn sie dort überhaupt Zeit findet, um etwas so Belangloses zu tun, wie ins Netz zu schauen. Und sofern dort sowas wie ein Internetzugang überhaupt noch funktioniert. Lese über den T-online-Nachrichtenticker bei Arbeitsbeginn gleich die neuesten Nachrichten von dort.

Hab eben einen Moment lang verwirrt zu fühlen versucht, welche Musik ich zur Arbeit hören möchte; mir war nach Stockhausen und Nono zugleich, aber auch noch einmal nach dem Busoni, den ich jetzt, glaub ich, nur deshalb höre, weil die CD noch im Player lag. Und da ist es jetzt die beklemmende, sehnsuchtsvolle Begegnung Fausts mit Helena: “Der Mensch ist dem Vollkommenen nicht gewachsen; er strebe denn nach seinem eigenen Maße und streue Gutes aus, wie es ihm gegeben”, singt soeben Dietrich Henschel in dieser großen Aufnahme unter dem jungen genialischen Kent Nagano; ich tippe den Satz, während der Mann singt, mit.

10.55 Uhr:
Nahezu drei Seiten ARGO-Rohling in einem Zug. Völlig beruhigt kann ich da aufhören jetzt: weil ich einfach weiterschreiben könnte, ohne Zögern, ohne Szenen-Not; es fließt einfach so zum Text. Selbst formulierte Bosheiten springen mir aus den Fingern, ich betrachte sie, forme sie um: da erweisen sie sich als die Beschreibung von Tragik. Aber mein Kleiner sollte abgeholt werden. Also den Laptop runterfahren, alles zusammenpacken und ab.

0.29 Uhr:
[Mugwort, Buenos Aires at Dusk.]

Die junge sehr gute Dichterin Ricarda Junge kam abends zu Besuch; wir haben eine Zeit lang die WG geteilt. Langes schönes Gespräch; man kennt sich gut: sie, die junge Frau, den älteren Kämpen und der die junge Frau. Obendrein ist der kleine Junge sehr glücklich, sie wiederzusehen. Viel Wein für mich, etwas für sie, Eistee für den Kleinen. Und eine Menge Spaghetti. Als Ricarda weg ist, checke ich noch einmal die Mails: Intensiv, sag ich Ihnen. Intensiv, denn da war nur diese eine aus der Ferne hergeschickte Musik. Ich antwortete. Und fand ein Wort, das – meinen, vielleicht auch unser beider Zustand beschreibend – nun nur i h r gehört. Und enthalte es Ihnen deshalb vor.

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