Sonntag, der 11. September 2005.

4.48 Uhr:
[B.A.Zimmermann, Trompetenkonzert „Nobody sees the troube I see“.]
Viertel vor fünf hoch, nur einen ganz kleinen Moment gezögert, ob nicht weiterschlafen. Von draußen fließt durchs Fenster ein deutlicher Witterungswechsel herein: kühl, leicht böig, wie auf Herbstregen gestellt. Ich hab noch etwas mehr als eine Schachtel Zigaretten und fürchte mich vor dem Aufhören, das ich zugleich herbeisehne, also das Aufgehört-haben: Nicht mehr stinken. Nikotin-Sucht ist ein imgrunde absurd-ambivalenter Zustand; oft schmeckt das Rauchen gar nicht, ja bekommt bisweilen etwas selbst-Widerliches, und dennoch sehnt man sich nach dem nächsten „Schuß“.
Egal jetzt, der mail washer blinkt. Dann ARGO. Ich sollte mal für die >>>> Kleine Theorie des Literarischen Bloggens etwas sowohl über das Verhältnis des Autors zu seinem imaginären Leser schreiben, als auch zur Funktion einer eigengewählten imaginären Kontroll-Instanz, derer man sich bedient, um die Arbeitsstruktur zu sichern; es ginge in dem Beitrag um eine Aufsicht über die Disziplin der Ausführung, nicht um den Erzähldruck: die vielen Ideen kanalisieren lassen. Aber ich fange schon wieder an, flirrend zu denken – für die Initiation von Idee und Form ist das hervorragend, für die der alltäglichen Chronologie unterworfene und stets auf sie bezogene Praxis dagegen nicht. Dieses Verhältnis ist zu balanzieren.

22.02 Uhr:
[Keine Musik. Mit ist nicht danach. Sie kann m e i n e Wundschmerzen lindern, aber nicht ersatzhalber die meines Jungen, zumal solche, die er erst zu spüren bekommen wird, von denen er noch nichts weiß. Ich erklär es Ihnen gleich.]
ARGO lief sehr gut; trotz der Unternehmungen mit dem Jungen zwei Roh-Typoskriptseiten geschafft; imgrunde muß ich gar nicht aufhören, könnte immer weiterschreiben. Um halb acht war der Kleine aber dann wach, wir frühstückten, bereiteten uns darauf vor, seine kleinen Ratten zu sehen, die ich für ihn hatte reservieren lassen: zwei Wochen alt sind sie jetzt. Wir waren dann da, ganz weit draußen in Hellersdorf, der Junge gab den Kleinen, die er in seinen Händchen hielt, bereits Namen: Felix und Jonathan. Ich lud Bilder von den beiden herunter, wollte sie einstellen; die weitere Entwicklung heute macht das unmöglich.
Also ich bring den Jungen zur Mama um fünf, er erzählt von seinen beiden Jungtieren; da sagt sie zu mir: Die bleiben aber bei Dir, ich hab schon genug Zoo hier bei mir mit den Fischen und den Skinks. Damit war der ganze Plan hinfällig: Adrian sollte, wünschte ich mir und er sich auch, Kleintiere haben, die sich zum einen an den Menschen gewöhnen, ja an ihm hängen, die man zum anderen streicheln und mit denen man kuscheln kann und die zum Dritten nicht ortsabhängig wie Katzen sind. (Ich hatte viele Katzen in meinem Leben, reisen taten sie alle nicht gern; sie wären auch nicht gern zweimal wöchentlich von Kinder/Papa-Wohnung zur Mamawohnung gewechselt.) Ich habe zudem eine heftige Katzenallergie, die bis zu Asthmaanfällen führt.
Jedenfalls versuche ich zu intervenieren: Aber es sei doch nur ein Käfig, den man hin- und hertragen könne – oder meinethalben z w e i Käfige, im übrigen schmiegten sich die Tiere ihren Menschen sehr an, man könne sie mit sich tragen. Sie seien obendrein ziemlich intelligent. „Nein, die Ratten bleiben bei dir.“ Und zu dem Kleinen: „Ich bin sowieso eher ein Katzentyp.“
Nun steh ich vor dem Problem, daß ich zu oft unterwegs bin, um die Ratten wirklich versorgen zu können, daß ich obendrein ab April nächsten Jahres ein Jahr lang wenigstens die Woche über in Bamberg sein werde, wegen des Stipendiums, und der Junge sollte etwas f ü r s i c h haben; für meinen Beruf sind Haustiere gar nicht geeignet – wohl aber, wenn er sie mit sich hin- und hernehmen kann.
Die Mama und ich gehen morgen früh gemeinsam zu einer anderen Schule, um zu eruieren, ob diese besser für den Jungen sein wird. Ich werde mit *** noch einmal reden. Bleibt sie aber hart, werd ich am nächsten Wochenende meinem Sohn einen großen Schmerz zufügen müssen. Und fühle mich jetzt schon scheiße, weil ich ihn heute die Tierchen anschauen, weil ich ihn heute sich in sie verlieben ließ. Und weil ich ihm das nun wieder aus dem Herz reißen muß.

Und dann noch eine g a n z dunkle Nachricht, freilich relativiert sie den Schmerz des Kleinen nicht, verstärkt aber den meinen: Die Gefährtin eines Freundes ist nach kurzer, schwerer, zu spät erkannter Krankheit gestorben. Ich erhielt nichts als die Nachricht: „F.ist gestorben.“ Die Signatur des Freundes noch, das schon, aber sonst nichts.

8 thoughts on “Sonntag, der 11. September 2005.

    1. Gehen Sie einfach auf die DschungelRubrik “Oper”. Da finden Sie ihn gleich, auch die Besprechung selbst. Sie müssen also nicht nach opernnetz .de hinübersurfen, obwohl Sie dort natürlich weitere Rezensionen finden, die zum größten Teil nicht von mir stammen. Es ist ohnedies für Musikliebhaber eine interessante Site, deren Beiträge von poetisch-theoretischen bis zu knappen, einfach gehaltenen Kitiken sowie auch allgemeinen Hintergrundinformationen zum Musiktheater reichen. Man verschafft sich dort in jedem Fall einen allgemeineren Überblick, als irgend ein Printmedium das auch nur vergleichsweise leisten könnte.

  1. Aufhören Lieber ANH,
    Aufhören mit dem Rauchen? Das heißt eben Aufhören – mehr doch nicht. Also los, es ist wie mit den Anfangen. Seit Wochen lese ich, dass das Aufhören losgehen soll. Ja, wie bitte soll es losgehen, wenn das Aufhören nicht anfängt? Der Wille also ist es. Ich will, jetzt Aufhören.
    Ich habe nach vielen Jahren der absurd-ekelhaften, aber doch auch wunderbaren Qualmerei letztes Jahr nach der Buchmesse aufgehört. Mit dem Rauchen. Es gibt doch genügend andere Sehnsüchte.

    Best

    1. Klar. Gibt es die. Ich war selbst mal sieben Jahre lang nikotintrocken. Aber diesmal binde ich das Vorhaben ganz bewußt in eine terminierte Struktur ein: Was es dem Arbeitsprozeß nähert. Wenn ich es s o betrachte, bleibt mir eh nichts anderes übrig. Und sowieso, wenn ich wieder (Leistungs-)Sport treibe; schon aus Eitelkeit dann, da ich schlechte Werte nicht ertrage. Und sehen Sie es außerdem so: Das Tagebuch ist a u c h ein Roman; es geht da um Entwicklungs-Prozesse, deren auch miniaturierte Strukturen ich protokolliere, bzw. fiktiv umformuliere.

  2. sprachlos wie koennen sie denn ihrer ex, offenbar ohne absprache mit dieser, zwei ratten reindruecken und obendrien vorher das kind schon damit anfuettern?

    1. Das mit den beiden Ratten. Ist seit Wochen bekannt gewesen. Noch vor etwa zwei Wochen haben *** und ich darüber gesprochen. “Da bin ich ja mal gespannt, ob du die Ratten endlich besorgst”, sagte sie da skeptisch, weil der Kleine ihr gegenüber immer wieder darüber gesprochen hatte, aber nichts geschehen war. Es war insofern eh der Wunsch des Jungen, nicht meiner. Und es g i n g eben um Tiere, zu denen er ein Verhältnis aufbauen kann und sie zu ihm. Das ist bei vergleichsweise dummen Hamstern nicht möglich. Ratten sind insofern geeignet, als man sie eben gut mitnehmen kann; sogar auf Flugreisen macht das – anders als ein Hund – kein Problem. Der Gedanke w a r eben, daß der Junge etwas Verbindendes seiner zwei Zuhause für sich hat, das ihn begleitet.

    2. *unter männern @eb. ich finde, die (anscheinend nicht bis in alle untiefen kommunizierte) geschichte mit den zwei ratten entbehrt nicht der unfreiwilligen komik. mir kämen ratten auch definitiv nicht ins haus, bamberg hin, bamberg her.

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