Korruption, Definitionsversuch.

Korrupt ist eine jede Handlung oder ihre Unterlassung, zu der es – obwohl man gänzlich anderer Überzeugung ist – letztlich nur kommt, weil andernfalls persönliche Nachteile zu tragen wären oder dieses befürchtet wird. Das bezieht sich auch auf die Unterlassung einer Handlung. Die Grenzen des korrupten Verhaltens zu einem aus strategischer Klugheit sind fließend und gehen vielfach weitgehend ineinander über: in aller Regel ist das politische Verhalten eine Ableitung des korrupten, es sei denn, es ist t a t s ä c h l i c h politisch insofern, als es Interesse und Wohlfahrt anderer und nicht etwa des politisch Handelnden selbst im Auge hat.

9 thoughts on “Korruption, Definitionsversuch.

  1. Übertragen aus dem Politischen in das Persönliche: Hätten Sie das Interesse und die Wohlfahrt anderer im Auge, schrieben folglich nicht über diese in Ihrem Tagebuch, wären Sie dann korrupt, verstössen Sie da doch gegen das Projekt “Privatheit”, von dem Sie ja gänzlich überzeugt sind?
    (Hier scheint mir ein Punkt zu liegen, an dem sich die Ihnen nahen Menschen, vielleicht auch Sie selbst, immer wieder aufreiben.)

    1. Aber nein. Das Projekt Privatheit schließt die Wohlfahrt anderer doch nicht aus. Eher im Gegenteil. Wo so etwas dennoch zu befürchten stünde & steht, erfände & erfinde ich es um – indes auf eine Weise, die den Prozeß selber deutlich läßt, aber das Persönliche bewahrt.

      Ich erklärte das heute morgen jemandem anderen in einem Brief:
      Wenn gesagt wird: Bitte das nicht hineinstellen, dann halte ich mich auch dran. Andererseits geht es in Den Dschungeln auch um die Frage: Was wirkt in eine Dichtung hinein? Wieso entsteht sie s o und nicht anders? Daran sind private Umstände geknüpft. Wenn man also solche Fragen untersuchen und ihnen auf die Spur kommen w i l l, dann kommt man um Privates eben nicht herum – zumal in einer Zeit, die das Privatrecht auf eine Weise stärkt, die Großfirmen nahezu unbehelligt agieren läßt – denn gerade sie fallen mit unters Privatrecht. In den Siebzigern sagte der studentische Widerstand völlig zu Recht: “Das Private ist das Politische.”
      Hiervon abgesehen wird Privates sehr oft genutzt, um sich unbehelligt andren gegenüber abfällig, hämisch, in jedem Fall sanktionierend zu verhalten. Etwa werde ich momentan auch deshalb aus dem Literaturbetrieb ausgegrenzt, weil ich Lektoren- und Verlegerbriefe und -stellungnahmen veröffentliche, die diese zwar privat geschrieben, bzw. getätigt haben, die aber ö f f e n t l i c h wirken und machtpolitische Funktionen erfüllen. Das Private ist hier eine Maske, die den Aggressor schützen soll.
      Die Dschungel haben Zusammenhänge wie diese im Auge.

    2. Aber dann interessiert es mich als Leser der Dschungel sehr, w a s es ist, das die Ihnen nahestehenden Menschen – aufgrund einer Erwähnung im Tagebuch – Abstand nehmen lässt von Ihnen, wie Sie heute morgen ins Tagebuch schrieben (da stellten Sie zudem explizit einen Bezug zu Korruption her). Ich begreife es nicht.

    3. Der Bezug zur Korruption besteht bei einigen. Nicht bei allen. Viele läßt allein schon der U m s t a n d Abstand nehmen, ihr Privates könne Gegenstand meiner öffentlichen Überlegungen werden, und zwar ganz unabhängig davon, ob eine Kenntlichkeit vorliegt. Es scheint so zu sein, daß manche Menschen ein sagen wir selbst-religiöses Gefühl haben, demzufolge allein die Nennung von etwas das Etwas gefährdet. Daran mag übrigens etwas sein: Es wird vielleicht klar oder legt sich einem nahe, daß es mit dem Ich, beschaut man es sich genau, nicht so weit her ist, also auch nicht mit dem jeder Demokratie notwendigsten Götzen: der Autonomie.

      Wohlgemerkt, dies ist eine Wähnung, nicht bereits die Aussage.

      Es kann aber auch etwas ganz Banales zugrundeliegen: Eine Frau traf sich mit mir, und ihr Partner, der davon wußte und meinen Eintrag las, hielt ihn ihr dann vor. Es war gar nicht “passiert”, aber der Umstand allein, daß etwas offenbart wurde, was verschwiegen bleiben sollte (verschwiegen vor sich selbst), hat genügt, den Kontakt zu mir wenigstens, sagen wir, zu vereisen. Nun ist dieses Treffen aber unterdessen als eine große Szene in ARGO angelegt, die letztlich zwar innerhalb des Romanes “stimmt”; will man aber erkennen, wie es zu solchen Einfällen kommt und was sie also begründet, ist ein Dschungeleintrag wie der, von dem ich hier spreche, sehr notwendig.

    4. Eine etwas weiter führende Frage noch: Als Leser der Dschungel, der Sie persönlich nicht kennt, kann ich nicht anders, als Ihr Tagebuch als Roman zu lesen (mit dem etwas irreführenden Untertitel “eine wahre Geschichte”). Darin sind Sie mir eine Figur ebenso wie alle anderen Namen, die darin auftauchen. Weitverzweigte Geschichten, in denen dieser auftaucht und jene wieder untertaucht. So z.B. “Annika”, die in den Ihre Reise nach Italien vorauseilenden Tagen sehr präsent war, danach aber aus Ihren Romanseiten verschwand, nur um ganz kurz einmal wieder zu einem “freundschaftlichen Besuch” (ich glaube, dies waren die Worte, die Sie benutzten) Wort zu werden.
      Verschwand Annika aus Ihrem Tagebuch aus Rücksicht vor ihren Interessen?
      Oder anders, spitzer gefragt:
      Habe ich als Leser nicht das Recht, auf einen guten Roman zu hoffen, der erzählt, was mit den Figuren (die der Leser ja auch liebt, insofern sie gut erzählt sind – und das sind sie bei Ihnen) geschieht, welches Schicksal es mit ihnen nimmt?

    5. Doch, dieses Recht haben Sie. Aber wie in einigen meiner Romane auch, so gehen ebenfalls im Roman Die Dschungel Rubrik Tagebuch bisweilen Personen verloren; das wird unter Umständen erklärt, unter anderen Umtänden aber nicht, so daß die Leserfantasie gefordert ist. In wiederum nächsten Umständen wird solch eine Figur vielleicht sogar bruchlos weitergeschrieben, obwohl sie “real” aus dem Leben des Autors schied. Oder aber er nimmt sie aus seinem Dschungel-Leben heraus, wiewohl sie in der Realität die allerpräsenteste, vielleicht sogar am meisten – und gegenseitig – geliebte bleibt. Alle diese Möglichkeiten und ihre Mischformen sind stetig zugegen, manche der Figuren obendrein g a b es nie, aber der Leser kann und soll das nicht unterscheiden: womit Die Dschungel a u c h ein Abbild realer Zustände sind. Was “unterm Strich” bleiben muß, allerdings, das ist, daß die Dschungelleser Gefühl und Bewußtsein haben, Sie seien um etwas – ob Schmerz, ob Lust, ob Erkenntnis – b e r e i c h e r t.

      Auf jeden Fall ist Ihre Lesart des DschungelTagebuches als eines Romanes ganz wunderbar. Ich habe als Autor den Gedanken, daß es eine s t o l z e A r t ist, sein Leben als einen Roman zu erzählen, und zwar, weil an Selbstbestimmung nicht mehr geglaubt werden kann.; es wäre auch keine Sache des Glaubens, sondern ginge um W i s s e n. Gewußt sein k a n n Autonomie aber nicht. Insofern ist es wahrscheinlich, daß wir als Lebewesen b e s t i m m t sind. Das ist für einen stolzen Character erniedrigend; deshalb wehrt er sich durch Gestaltung.

    6. Die Selbstbestimmung des erzählten Ichs wird ersetzt durch die Fremdbestimmung durch das erzählende Ich. Dieses wiederum ist ja nicht identisch mit dem Autor als Mensch, sondern eine Rolle, eine Funktion, die ganz eigenen Regeln und Gesetzen unterworfen ist und bisweilen das erzählte Ich in Bahnen zwingt, die in gänzlich andere Richtungen laufen als das Leben des Autors… Das ist ein ganz faszinierender Gedanke!

    7. die welt des romans Aber wie in einigen meiner Romane auch, so gehen ebenfalls im Roman Die Dschungel Rubrik Tagebuch bisweilen Personen verloren; das wird unter Umständen erklärt, unter anderen Umtänden aber nicht, so daß die Leserfantasie gefordert ist.

      das ist ja, wie ich denke, das realistische im phantastischen (auch, wenn es unter der rubrik “tagebuch” geführt wird), oder das, was man vielleicht “modern” genannt hat: das verlorengehen oder verlorengegangene in der welt des romans, dem man – je nach leser – leerstelleneigenschaft zuschreiben kann.
      ich habe manchmal die schwierigkeit, die einzelnen stränge der dschungel auseinanderzuhalten, halte sie für ein werkganzes, sodass ich bspw. argo-texte oder -passagen (was die linearität des weblogs angeht) zwangsläufig mit solchen passagen zusammenLESE. das phantastische (so nennen es wohl die kritiker, vielleicht gibt es dafür auch einen besseren begriff*), diese grundstimmung des werkes legt sich damit auf mich. was ich damit sagen will: auftauchendes oder verschwundenes personal, ganz gleich ob (vermeintlich) real oder fiktional, wird von mir gar nicht so voneinander getrennt. ich glaube, es ist auch hier das tableau der und des erzählten, das so stimmig wird (glaubhaft ist) – was die welt des (so angenommenen**) romans betrifft …


      * vielleicht im positiven, im romantischen sinne: Das “verworrene Gemisch fremdartiger Stoffe” (ETA Hoffmann, Kater Murr)
      **aber: da wieder die frage, des “so-annehmens” und der kreis schliesst sich mit obigem. wer partout etwas annehmen möchte, der wird auch in einem noch so harmlosen indikativ einen konjunktiv vermuten …

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