Sonnabend, den 17. Dezember 2005.

6.04 Uhr:
[BEST WESTER, Siegen ff.]
Hab mir anderthalb Stnden m e h r Schlaf gegönnt, jetzt wieder, bäh, laue Cola zur Arbeit (aber ich geh gleich mal runter und hol mir bei Öffnung des Frühstücksraums um halb sieben einen Kaffee). PaschmiriShawl überm Kopf, keine Musik, da unmittelbar auf ARGO gestimmt. Der Workshop beginnt heute früh erst um zehn, die ÜA muß also nicht leiden.

Nachts gestern noch lange mit Ludwig Pfeiffer zusammengesessen, nach meinem und seinem Vortrag die Literaturpositionen abgeklopft und gegen Positionen der Literaturwissenschaft gehalten. Anders als Schnell sieht auch er, wie eben auch ich, die Schriftkultur zuendegehen, jedenfalls auf sagen wir der GutenbergBasis. (Ein schleichendes Enden der deutschen wie insgesamt der europäischen Idiome zugunsten des US-amerikanischen Englischs ist ohnedies auszumachen, besonders im universitären Betrieb. Interessanter Gedanke kam diesbezüglich als Information von Schnell: Durch die EuropaErweiterung und den Aufeinanderprall sehr v i e l e r Sprachen innerhalb eines administativen Raumes, dem es auf nahe Kommunikation ankommt, wird nun absurderweise auch in der Germanistik das Englische zur Wisenschaftsspache. Auch hier hülfe intelligente Technologie, etwa ein chip als translator, also ganz in Douglas Adams’ Sinn eines kleinen Fisches zu Babel (f r e c h s c h ö n e r: in Douglas Adams’ kleinen Fisches zu Babel Sinn), den einer sich ins Ohr steckt. ‚Sich einen Sinn ins Ohr stecken’ heißt: das Fischlein ernst zu nehmen.)

[Von draußen knarzen die Geräusche von Schneeschaufeln herein. Nachdem das Wetter gestern miesniesligklamm war, hat heute nacht der Winter begonnen. Wunderschön. Mein erster Blick morgens, ebenfalls wunderschön, geht auf *****’s und meines Jungen Bild auf dem Bildschirm des Laptops. Dann lächle ich kurz.]

6.30 Uhr:
Sò, der Kaffee ist da, die Arbeit beginnt. Das sieht dann, mal wieder ein kleiner Ausflug in den >>>> Narzissmus, s o aus:

7.57 Uhr:
Na läuft doch! Die Imaginationskraft bildet im verschneiten Siegen auf der Fußgängerbrücke vor dem BodeMuseum sich den Fernsehturm am Alex ein, davor die Themse schwarzölig ziehend, darüber eine nächste Brücke, auf der die Fensterlichter der UBahnen flirren. Das Rattern auf den Schienen durchs Siegerland.
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17.48 Uhr:
[ICE Hagen-Berlin; nach Siegen.]

Mit Justus Fetscher auf der Rückfahrt; in Hagen hängengeblieben, weil ein ICE samstags nicht fährt, im Café etwas getrunken, gesprochen: über Litertur, Ideolekte, sprachliche US-Amerikanisierung zu einem Zeitpunkt, in dem in den USA selbst die Sprache längst spanisch „unterlaufen“ wird.
Alles verschneit, wirklicher Winter. Hagen als Ort macht dafür den Eindruck äußerster Hoffnungslosigkeit.

22.01 Uhr:
Zuhause in der Arbeitswohnung. Die Fahrt war kurzweilig, ich habe keinen Handschlag getan, nix an ARGO, aber mit Fetscher geplaudert: über Sizilien, Bombay und je unsere New Yorker Erfahrungen, er erzählte von Kairo, daß 1000 Menschen dort auf einem Friedhof leben, wir sprachen über den Literaturbetrieb und daß die Literaturwissenschaft sich in den letzten zehn Jahren wie ein Korrektiv in die Machtentscheidungen des Literaturbetriebes eingemischt hat (wovon ich nun profitiere); wir sprachen über Sprachverschleifung und Globalisierung, über die Adirondacks und Bangalore, über California und Heinrich von Kleist, über Döblin, Dürrenmatt, Eich. Über Iris Radisch kurz, als es um Eich ging, etwas von damals noch, als sie gelegentlich für die Frankfurter Rundschau schrieb. Über Ralf Schnell, mein verbotenes Buch und die Siegener und Berliner Medientheorie, dabei kurz über Kittler. Und über das Berliner Schloß und die Neigung der Konservativen, das Gestern lieber zu mögen als ein Morgen, auch wenn das Gestern unterdessen banalisiert ist. Plötzlich waren wir am Bahnhof Zoo. Dort stieg Fetscher aus; ich fuhr bis zum Ostbahnhof weiter.
Es ist kalt, es ist glatt auf der S-Bahn-Brücke Prenzlauer Allee. Hab mir eine Flasche Rotwein gekauft und werd mich mal ein wenig um dieses Weblog kümmen.

Ich grüße Sie, liebe Leser, freundlich und zähle übergriffig auch meine bösen Leser diesen lieben hinzu.