Bin gestanden, Frau

morgens am Grab deines Trakls
ach wie es mich dann am Abend
beschämt

(sehr viel Schnee war aufgewölbt
blendend
stürzte geglättet starr die massige starrende jähe BergNordwand)

ihm kein
Steinchen dagelassen zu haben
von dir auf seinen Namen gelegt

(diese Geste allein läßt ihn die Toten empfangen
den Kuß:
zitternd ihre Lippen der kleinen Last dargeboten)

– vergessen, unfaßbar, hatte ich dich
als hätte e r, hätte T r a k l, nicht d e i n e r
gedacht

solch ein Vorbei ist der Schnee gewesen

[Zweite bis, siehe Kommentare, Vierte Fassung.
Dem nahsten Orient. 4.

Erste Fassung <<<< ]

9 thoughts on “Bin gestanden, Frau

  1. kleiner verbesserungsvorschlag zur zeile “stürzte die massige bergwand hinab” : besser wäre “im sturz die massige berwand hinab” : denn wenn die zeile mit einem akzent beginnt : geht der den silben nachnickende kopf sofort nach oben : es soll aber runtergehen : beim akzent auf der zweiten silbe : geht der kopf nach unten : und nickt entsprechend

  2. Dialog. Zu Dem nahsten Orient 4. Im Yahoo-Messenger. Mit >>>> parallalie.

    Helmut Schulze: nun habe ich mich doch noch eingeschaltet in dein trakl-gedicht und einen entsprechenden kommentar geschrieben… indes wiederhole ich mir ständig die letzte zeile : sie ist krönend
    ANH: oh, ich danke Dir. Und les mal eben.
    Helmut Schulze: hinzufügen könnte ich noch die qualität des vokals : ein hoher gegen einen tiefen : u contra ü
    ANH: Gerade >>>> Deinen Vorschlag gelesen. Ich bin da unsicher, ob der Kopf nicht eben nach oben s o l l… weil sich nur darin die Massivität des irre hohen Felshangs auszeichnet. Das Steinchen in der Folgezeile zieht den Blick ja sofort wieder hinab. (Ginge der Blick g l e i c h nach unten, dann stünde man ja quasi oben und stürzte m i t. Hm.)
    Helmut Schulze: ich sehe in verbindung mit der letzten zeile den herabstürzenden schnee : die parenthese schließt den schnee vom grab aus : ist eine wahrnehmung : ja – des sich hebenden blicks : den aber der schnee wieder zum senken bringt : im hinabstürzen : das steinchen ist dann ein gegensatz zur masse : die ringsum dräut : das kleine bedeutendere.
    ANH: Darüber denke ich nach. Gutes Argument. Aber eines von mir noch: In d ei n e r Version bekomme ich unmittelbar die Assoziation an eine Lawine. Das ist zu vermeiden.
    Helmut Schulze: die lawine aber wird vermittelt für mich : genau das war mein bild vom stürzen : hm
    ANH: das sollte gerade n i c h t sein. Es ist trockenkalt, und noch h ä l t der Schnee.
    Helmut Schulze: also stürzt ein licht
    ANH: D a liegt wahrscheinlich mein Fehler. Stimmt.
    Helmut Schulze: dann muß das blendende des schneelichts sich herabwälzen… ich versuche grade mich besser hineinzudenken
    ANH: vielleicht g a r keine Bewegung… ich brauche einen anderen Begriff für “stürzte”. Es stürzt ja wirklich niemand. Etwa so:
    „sehr viel Schnee war aufgewölbt
    blendend
    die ganze massige Bergwand„
    So bliebe die Dynamik des Gedichtes erhalten, aber das mit “die ganze” ist nicht sehr schön.
    Helmut Schulze: ich weiß, du brauchst zwei silben für die “blendend”-zeile :
    „aufgewölbt und ein
    blenden
    den augen die bergwand“
    scheint mit zumindest eine lösung zu sein: tilgt das wort “ganze” und wird implizit
    ANH: Ich muß auf die Zeilenfolge achten. Dein Vorschlag ist dann auch zu gesucht: „ein blenden d e n augen“. Das möchte ich konkreter halten.
    Helmut Schulze: gut, ich meine indes, du solltest das wort “massiv” oder “massig” vermeiden, und diese vorstellung anders suggerieren… denn gerade das wort “massiv” hat mich anfangs gestört, wußte aber nicht, wie dem entgegensteuern. allerdings weiß ich nicht, wie es ist, wenn man dort steht
    ANH: Prunier scheint Ähnliches empfunden zu haben, wenn er >>>> mit „énorme“ übersetzt
    Helmut Schulze: ich denke an etwas wie : etwas scheint auf einen hinabzustürzen einzustürzen
    ANH: Nein, es rückt auf einen zu und bleibt zugleich riesig-unbewegt. Heinz D. Heisl spricht in seinem Roman-Typoskript davon, daß einen die Wände beidseits zusammendrücken.
    Helmut Schulze: ich kann mir dieses gefühl vorstellen : wenn man dort steht und alles in sich abschaltet, fast als halluziniere man es
    ANH: Und Heisl ängstigt es, er vermeidet es sogar, aus den Straßen Innsbrucks aufzusehen. Derart fühlt er sich bedrückt. Ähnliches sagte SAID, im Gespräch mit uns; er wie Heisl liebt das flache Land (wie übrigens auch Arno Schmidt). Ich hingegen habe diesen Hang zu extremen Landschaften.
    Helmut Schulze: ja, das mit schmidt ist mir natürlich bekannt… aber ich denke dabei auch an wolken : zumindest vorhin spontan : sie scheinen still zu stehen beim ersten blick : ziehen sich aber dann zusammen und geben manchmal auch dieses gefühl : daß sich etwas türmt : das über den eigenen horizont hinausgeht — trakl, k., berge — eine bewegung, ein bewegtsein
    ANH: Und über all dem nun, im Gedicht, die Schütten Schnees… ein gleichsam verdoppeltes Grab. Das Grab selber ist begraben.
    Helmut Schulze: ist also doch eine lawine dabei, wenn auch nicht konkret
    ANH: eine, w e n n , in Zeitlupe. Vielleicht. Aber der Schnee auf dem Grab liegt unabhängig von dem auf dem Berg.
    Helmut Schulze: ja so ungefähr. er kommt aber aus demselben himmel
    ANH: Das ist wahr. Doch der ist w e i t. (Und spielt an diesem Tag schönstes Wetter. Deshalb die Beschämung abends. Man hat sich s o sehr täuschen lassen, daß man das Liebste vergaß.)
    Helmut Schulze: den himmel
    ANH: die Frau
    Helmut Schulze: ja

    1. Lawine und letzter Vers Mir scheint, dass die Bergwand mit “stürzte… hinab” keine Lawine darstellt. Es steht in Klammern. Eine Art kontrollierter Wahnvorstellung. Ein zeitloser erstarrter Schwindel. Die Wand droht, aber die Bewegung ist eher die des inneren Blicks (“blendend” hat uns gewarnt) als die der realen Bergwand.
      Die letzte Zeile fliesst, gleitet wie auf dem Schnee, die Zeit vergeht wieder, wir sind am Ende und kommen in die Zeit zurück… die bleichen sechsmal wiederholten “e” (“der Schnne gewesen”) treiben uns ins Weisse des Blatts hin und in das Schweigen nach dem Gedicht.
      Das andere Ende gefiel mir auch sehr, nur, es war eher eine Art Schlusspointe: Schlusspunkt (schadenfreudig?) Mit der letzten Fassung wird der Übergang zur Realität vorbereitet. Der Text nimmt leise von uns Abschied.

    2. G a n z krieg ich es noch nicht hin. Ich bastle noch an der Strophe. An Ihrer b e i d e r Einlassung ist was. Jetzt muß ich das genaue Dazwischen finden. Vielleicht bis abends. Oder morgen. Jedenfalls pfriemele ich rum. Ich möchte die Zwischenergebnisse nur jetzt nicht einstellen, weil ich auch einen Blick auf Die-Dschungel-als-Ganzes habe.

      Ich h a b’s!(sehr viel Schnee war aufgewölbt
      blendend
      geglättet die starrende Bergwand)
      Dann ist der Gedanke an eine Lawine w e g. Und das Gebirge s t e h t.

    3. habe mir erlaubt, das gedicht ganz persönlich – jenseits aller verbesser- und verschlechterungen, aller kritiken und allen lobes, mit einer kleinen verbeugung auch an prunier – für mich zu schreiben (also etwas unabhängig sein wollendes): einfach auf parallalie klicken

    4. ein weiterer Versuch (noch nicht endgültig) Je fis halte, ma dame

      le matin à la tombe de ton Trakl
      ah comme vers le soir je me sens
      désolé

      (tant de neige était amoncelée
      aveuglante
      la paroi dévalait alentour)

      de ne lui
      avoir pas laissé là quelque pierre
      déposée de ta part sur son nom

      (car ce geste est offrande à nos morts
      un baiser :
      léger lest vers leurs lèvres tremblantes)

      – je t’avais, impensable, oubliée
      comme si l u i, comme si T r a k l, t e passait
      sous silence

      omission qui ouvrit sur la neige

      Die sechste Zeile habe ich in der alten Fassung übersetzt. Ich finde sie gut so…. nicht sehr weit entfernt und klingt schön…das höre ich so!
      Alles oder fast alles ist dreisilbig. “comme” in der 14. Zeile klingt “comm(e)”…

      Danke an Parallelie!
      Ich bin viele Risiken eingegangen. Aber ich bin überzeugt, dass es endlich dem Text melodisch und rhythmisch gut entspricht. Hie und da, habe ich noch Zweifel. Aber unwichtig.

    5. an Parallelie Danke!
      Ihren Text über Trakl habe ich gelesen…
      sehr interessant.
      Ihre Meinung zu meiner sehr lange bearbeiteten letzten Fassung möchte ich gern haben…

    6. @ prunier
      „it’s over“ sagte David Gilmore auf die Frage nach dem Fortbestehen der Pink Floyd. Dabei mußte ich an die letzte Zeile in der letzten Version denken: „solch ein Vorbei ist der Schnee gewesen“, und daran, wie schön es doch im Englischen klingen könnte: „such an over the snow has been“. Vielleicht ist ja in der Tat die ideale Übersetzung ein Patchwork aus mehreren Sprachen. Aber das ist natürlich Blödsinn, und wir landen letztendlich bei Finnegans Wake. Meine spärlichen Französischkenntnisse erlauben mir aber kein Urteil über Ihre Übersetzung. Ich kann Sie mir im stillen vorlesen und denken, daß der Rhythmus für mein Lesen funktioniert. Um die Schwierigkeiten besser zu verstehen, habe ich versucht, einen italienischen Text herzustellen, aber ich werde ihn nicht posten, weil ich mit ihm nicht zufrieden bin. Es ist nicht meine Muttersprache, und somit fehlt doch immer der letzte kritische Blick auf das semantische Umfeld der einzelnen Worte. Etwa in Bezug auf das Bild des Berges, auf das „Vorbei“ in der letzten Zeile. Ich hatte anfangs Schwierigkeiten, das Wort „omission“ zu akzeptieren, aber jetzt merke ich, er wären sonst der „passait/é“ zu viele in Ihrer Übersetzung. Wahrscheinlich dachte ich auch an das sehr amtssprachliche „omissione“ im Italienischen und an die vielen „omissis“ in Gesetzestexten, und somit war ich vorbelastet. Also muß ich Ihnen meine Meinung so präsentieren, wie man leere Hände vorzeigt, und die ich so lange hinausgezögert habe, weil ich dachte, es würde sich dann doch eine bilden zum französischen Text.

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