Mittwoch, der 1. Februar 2006.

7.54 Uhr:
Meine Güte, ich schlafe! Der Körper nimmt sich den Schlaf wie seit Monaten nicht, und der Geist ist verwirrt: Ich erwache auf dem Hochbett in der Kinderwohnung, denke, um Göttinswillen, weshalb bin ich nicht mehr rübergefahren?! – und erwache in der Arbeitswohnung, sperrangelweit ist das obere Fenster geöffnet, man kann eigentlich gar nichts anderes tun, als sofort in drei dicke Pullover zu schlüpfen und ganz schnell dieses Fenster zu schließen, das Espresso-Wasser zu erhitzen, sowie die arme Ratte (friert sie auch?) zu nehmen und zwischen zwei der Pullover zu stecken. Da kraxelt das Tier ganz aufgeregt nun rum. Nein, Leser, ich sag Dir, sowas wie mit ebay ist nicht sehr geeignet, einen sich auf die eigentliche Arbeit konzentrieren zu lassen. Man wird ganz irr. Dabei habe ich von Brem geträumt und von dem Sanften, sah sie da sitzen in ihrer brachigen Zuflucht, und dachte indem ich sie immer nur ansah – ‚beobachten’ wäre zuviel geschrieben, denn sie bewegten sich nicht, saß nur da, während ich schlief -, über sie nach. Wohl wirkte auch die DVD in mir, die ich mir gestern nach 23 Uhr noch anschaute, „Die Insel“: Homunculus- und Pygmalion-Fragen, wie sie auch schon „Gattaca“, „I robot“, vor allem „The Blade runner“ gestellt haben, hier vermischt mit der, sagen wir, Stammzellenforschung und mit den Holomorfen aus ANDERSWELT. Eines m e i n e r Themen also, aber aufgepeppt von Schießereien und Verfolgungsjagden: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß US-amerikanische Thriller und Action-Filme mit dem Auto dasselbe anstellen, was die Western mit den Pferden taten? Man ist Pionier geblieben, lediglich verschoben: jede Autojagd spiegelt den US-amerikanischen Mythos der eigenen Existenzgründung wider; das meint auch die Psyche, denn der Überhang an Schießereien ist ja e b e n f a l l s ein Reflex.Und hier, in „Die Insel“, kippt sogar der gedungene Söldner schließlich zum guten Menschen um: nämlich einer, der Indianer ausrottet, zu einem, der für die Moral der Weltgemeinschaft steht. Man kann sagen, daß solche Filme einen Saulus-Komplex haben. Auf den wird von den Produzenten sehr bewußt, vielleicht aber bisweilen auch unbewußt gesetzt, er wird inszeniert; in jedem Fall trifft er auf Unbewußte, in denen er, möglicherweise schmerzhaft, wirkt, so daß er der Heilung bedarf – sagen wir: einer Linderung.
Kaum noch Espresso ist da, es reichte eben für einen halben latte macchiato, danach gibt’s halt Tee. Muß nachher zu LIDL, da gibt es preiswerten, der dennoch recht gut ist. Von draußen dringt das unentwegte Knattern von Baumaschinen herein; seit ich hier wohne, seit 1994/95, wird eigentlich permanent um mich herum saniert. Dennoch hab ich den Eindruck von Stille. Ich mag keine Musik anstellen gerade, sondern zu ARGO schauen.
Heut abend kommt, bereits am Mittwoch diesmal, mein Junge wieder zu mir; seine Mama muß morgen sehr früh arbeiten, „es wäre schön, wenn das ginge“. Na selbstverständlich geht’s. Der kleine Junge habe, hörte ich gestern, vorgestern Abend bis Mitternacht noch sämtliche Lego-star-wars-Raumschiffe selbst und alleine zuendegebaut. Er hat ein enormes technisches Talent; die Lego-Kästen seien, steht auf den Packungen, für Kinder ab 10 Jahre gedacht, und er ist erst sechs. (Wir haben beide auf sowas nie Rücksicht genommen, und es erweist sich nun als richtig; Vitamin C, wie gesagt: was ein Kind an Bildung und Wissen nicht aufnehmen kann, das scheidet es einfach aus, alles andere bleibt hängen. Eigentlich nicht zu fassen, auf welch subtile Weise Kinder von außen gelenkt werden sollen, damit sie ja nur der Norm entsprechen).

10.46 Uhr:
Na das ist jetzt Arbeit! Bei einer Routinekontrolle meiner elektronischen Postfächer finde ich bei gmx zig Schreiben von Bekannten, Kollegen, Freunden – und alledie sind ins Spamfach gerutscht, in das ich kaum je schaue. Das muß ich jetzt erst mal, schon aus Höflichkeit, vom Tisch bekommen. Und w a s für freundliche, besorgte Schreiben! Offenbar arbeitet auch gmx sehr rege an meiner antisozialen Arroganz.

11.04 Uhr:
Soeben ein Anruf vom SWR: „Schreiben Sie uns bitte ein Feature. Inszenieren Sie es. Aber es muß schnell gehen. Die Sendung wird bereits Ende April ausgestrahlt werden.“ Ich ganz baff, aber wir waren schon mal im Gespräch, schon da hatte mir der Redakteur gesagt, er sähe mich gern unter seinen Autoren. Was mir so einfalle. Ich hatte gesagt: Cortázar. Das zerschlug sich, weil über diesen mir so wichtigen Dichter dort bereits vor zwei Jahren etwas gesendet wurde. „Haben Sie weitere Ideen?“ Es versandte, dachte ich. Jetzt dieser Anruf. Und: 9 0 Minuten! „Wilhelm Muster“, sage ich, „den fresse ich gerade, da will ich ran.“ Ich erzähle ein wenig, was ich so weiß, halt w i r k l i c h wenig, >>>> was so in Wikipedia steht, was ich gerade lese, was Ulrich Faure mir erzählt hat. Und eben >>>> PULVERLAND. Dann fällt mir Carl Johannes Verbeeen ein, dieser Ober-Querkopf, anti-sozial wie ich, aber von eine F ü l l e! Und von den Frauen geliebt, doch angespuckt vom Betrieb, während Muster ja zumindest als Übersetzer (er übertrug unter anderem Onetti) ein Gott war und als solcher auch gilt. Verbeen aber ist v ö l l i g vergessen, dieser in Holland geborene, aufgrund familiärer Umstände als Kleinkind bereits nach Deutschland gekommene, dann einige Zeit in der Schweiz aufgewachsene Dichter, den man nicht mochte, weil er so reich war. (Oder als reich galt, genaues muß ich mal recherchieren). – Aber ich merk schon, ich erzähle bereits jetzt. Dabei hab ich Post zu erledigen.
Gut, das Feature – es wird w i e d e r ein Hörstück werden, schon weil Verbeen auch komponiert hat, dieser ästhetische Formwandler, ja!, denn von Zwölfton bis Kitsch hat er aber auch alles angefaßt – man sagt ihm sogar nach, er habe ganz bewußt unter Pseudonym ziemlich erfolgeiche Schundromane geschrieben… ah, das ist es! Bedarf nun aber striktester Arbeitsdisziplin. Abgabe und Inszenierung bereits Anfang April, fünf Tage Produktionszeit, das ist das Paradies. Also von nun an morgens je zwei Stunden ARGO, dann VERBEEN, dazu DIE DSCHUNGEL; außerdem ist im Februar die Produktion des >>>> DAS WUNDER VON SAN MICHELE – Stücks. (Soviel nochmal zu “GehnSe doch vernünftig was arbeiten!”) Wenn ich jetzt noch die Gläubiger aufhalte, irgendwie aufhalte, komm ich vielleicht um den Privatkonkurs herum.

14.19 Uhr:
Ich rauche nur und esse nix. So rattert es in meinem Schädel… so viele Projekte zugleich… und Gespräche und Anrufe… hab die kleinen Raten an die Citibank, die meine Visacard hält, auf ein falsches Konto überwiesen, jetzt mault man da, zu Recht, klar, aber ich hatte das Konto aus einem Brief von denen an mich… was der Berater wieder bestreitet… – ich meine, da streite ich doch jetzt nicht m i t? Und Radio Bremen will morgen früh um 8.52 Uhr ein Kurzinterview mit mir live, also telefonisch, lustig, das alles, so mit ebay. Dazu Literatur-Telefonate und dann noch meine bislang etwas vergebliche Recherche wegen Verbeen. Im Netz gibt’s nix. Aber Ulli Faure hat am Telefon gesagt, er erinnert sich an eine Aufzeichnung von Thelen. Die sind sich mal begegnet, sollen sogar ein Runfunkgespräch geführt haben. Na das wird Arbeit. Irgendwo sind diese zwei Bücher von ihm bei mir, mehr kriegt man ja offenbar nicht; aber blöderweise hab ich sie nicht alfabetisch eingestellt. No jo, wie Else Buschheuer sagt. Also weiter.

15.08 Uhr:
Nach >>>> d i e s e m Kommentar frag ich mich gerade, was die Kommentatorin oder der Kommentator (nein, es i s t nicht ******, die Sternchen sollen vielmehr meine Verletzung bewirken und treffen, das ist der Kommentatorin/dem Kommentator ganz gleich, jemanden anderes, die mit dieser Agelegenheit wirklich nichts zu schaffen hat)… also ich frag mich gerade, was sie oder er eigentlich davon h a t, mich dazu zwingen zu wollen, eine vermeintlich reale Person bloßzustellen und zu sagen: Ja, es g i b t sie. Wenn alles so gewesen sein sollte, wie die Kommentatorin/der Kommentator unterstellt, dann wär’s doch schlimm genug. Weshalb dann obendrein für real zu offenbaren, was sich hier als Literatur angeblich nur verstellt? Einmal abgesehen davon, daß die Angst vor der Wahrheit, die noch niemals zur Lösung eines Problemes verholfen hat, sondern es im Gegenteil nur immer verstärkt, wirklich nicht dazu dienen darf, literische Dialoge zu verbieten. Angenommen, alles das wäre real gewesen und ich hätte davon in ARGO erzählt: wäre auch das zu untersagen, da man ja annehmen kann, die vermeintlich reale junge Dame lese meine Bücher? Und liest dann d a s? Und schreit auf und läßt mich als den Leibhaftigen beschimpfen, als der ich eh schon gelte? Und weiter angenommen, es wäre so, daß die vermeintlich reale junge Dame sich bei einem Vertrauten ausweint, – welch eine ungute Handlung dann, dieses Ausweinen zum Anlaß einer öffentlichen Attacke zu nehmen, die mich unter anderem krank nennt und nun wirklich von aller Welt gelesen wird? Die sich dann fragt, d a n n erst: Ja, wer war denn eigentlich gemeint? Mit wem war ANH so zu sehen in den letzten Wochen? Auf wen könnte das zutreffen? Ja du meine Güte! Schlimmer als diese Kommentatorin/dieser Kommentator kann man das Vertrauen einer, die sich bei einem ausgeweint hat, doch gar nicht mißbrauchen! „Komm, ich leg dich auf den Altar und schlachte dich, damit wir sagen können: D e r ist der Schlächter gewesen.“
Aber ich denke, die angemessene Lesart ist eine andere: Hier hat jemand völlig Fremdes ein inneres psychisches Leiden. Und ich bin die Fläche, auf die er’s projeziert. Also habe ich bedacht >>>> geantwortet. Nein, ich lösche nicht, sondern antworte. (Es gibt noch eine nächste Möglichkeit, und die gesamten Attacken gehören in die Chronik des Literaturbetriebs. Das aber mag ich nicht eigentlich denken; es wäre z u eklig.)

22.42 Uhr:
Die Heftigkeit, mit der einige mich hassen, ist beachtlich, auch erstaunlich. Langes Gespräch mit >>>> June im Messenger, das ich, ein wenig literarisiert, an der entsprechenden Stelle einstellen wollte, aber ich laß es jetzt sein. Das klare Wort, die klare Aussprache ist zu wichtig, als daß ich sie instrumentalisieren wollte. Sie ist Feministin, sozusagen, einer ersten Stunde, dabei ausgesprochen klug und bedacht, oft ebenso hilflos wie ich, wir sprechen uns, sozusagen, aneinander ab, Frau und Mann, sprechen die Geschlechter ab; die Entfernung ist zu groß, als daß Begehren eine Rolle spielen könnte, außerdem lieben wir jeweils jemanden anderes, und auch darüber läßt es sich reden. Wir lassen unsere Verwundungen sprechen, auch die Hoffnungen. S o w a s ließe ich sonst nirgendwo stehen:June: sind sie sich ganz sicher, dass nicht auch sie sie irgendwie schätzen, die distanz, die träume konserviert?
ANH: Weiß ich nicht. Ich läge am liebsten jetzt bei ihr, legte meinen Kopf auf ihren Bauch, nein, in ihre Halsbeuge und schliefe ein.
June: ohne sex? ohne erektion, die unbedingt ihre erfüllung finden muss? so ganz einfach nur so?
ANH: Ja. Ich k ö n n t e jetzt, glaube ich, gar keinen Sex mit ihr haben. Wäre einfach nur gerne wieder Zuhause. Aber das hält nicht lange bei mir, ich weiß. Ich glaube, ich könnte gar keinen Sex haben, weil ich weinen würde.
June: und ich verstehe sie so verdammt gut!
ANH: Ich würde einschlafen, weil ich nicht heulen wollte wie ein Schloßhund. Ich spüre jetzt, wenn ich nur dran denke, ******s Atem, rieche ihre Haut. Es ist furchtbar. Aber, wie gesagt, das hält nicht lange. Es wäre eine Nacht, und mein Geschlecht meldete sich wieder, zwingend.
Und es gibt keine Verdammung, nur den Versuch zu verstehen. Testosteronwolken nennt >>>> Else Buschheuer das. Mag sein. Doch damit möchte ich, liebe Leser, für heute schließen. Will noch jemand schimpfen, so sei’s.