Sonnabend, der 4. Februar 2006.

8.31 Uhr:
Benommen. Zweierlei nahm mich gestern nacht mit. Eine weiteres tiefes, persönliches Messengergespräch mit >>>> June, das bis nahezu drei Uhr ging (weshalb ich nun nicht früh auf bin), es wühlt weiter in mir. Jemandem verzeihen, einem Ungeheuer verzeihen lernen:

alban: wüssten sie irgend jemanden, den sie so hassen, dass sie ihm das leben ihrer mutter wünschen würden?
könnten sie sich so ein leben für sich vorstellen? könnten sie sich in dieses hineinfühlen? eine frau, die ein kind geboren und in den armen gehalten hat und es sich nicht einmal erlauben darf, um dieses kind zu WEINEN? (…)
sie machen sich zum werkzeug und das wird andere nicht verschonen. missbrauch. sie beschäftigen sich so stark damit in letzter zeit. ist ihnen bewusst, dass so ein von sich selbst distanziertes und “rationales” verhalten wie das ihrer mutter kaum einen anderen ursprung haben kann? (…)
in ihrem verbotenen buch lieben sie die frau. rasend. aber wie eine geliebte, nicht wie eine partnerin. sie lieben sie, als würden sie (nach diesem gespräch würde ich das beinahe so drastisch sagen), als wollten sie in dieser liebe ihre mutter töten. animalisch, leidenschaftlich, all das, aber nicht menschlich. die beraterin, die vertraute, “die FRAU” bleibt immer do.

Das hat mich jetzt ganz von ARGO abgehalten. Sollte meine Mutter in ihrer Kindheit mißbraucht worden und sollte dieses ganze Unheil, ihre ganze Gefühlskälte und letztlich also auch mein Mutterhaß eine Folge davon geworden sein, es wäre schlimmer, als ich mir vorstellen kann: es hätte sich ein solcher Mißbrauch bis in m e i n Herz perpetuiert. Das aber nicht mit Kälte reagierte, sondern mit einer Hitze, die ihrerseits – der Unbedingtheit wegen – etwas Kaltes hat. Denn es gefährdet das Gewebe ganz ebenso: „Sie verbrennen alles in Ihrer Umgebung“, schrieb mir neulich jemand anderes. Darüber denke ich nach, aber ich krieg den Sprung über diese Mauer nicht hin. Rein objektiv hat June recht, jedenfalls spricht sehr vieles für ihre Deutung.
Und dann sah ich mich genötigt, die Kommentarfunktion in Der Dschungel auszuschalten, weil sich wieder einmal B.J., die das offenbar zwanghaft nicht lassen kann, mit einem hämischen und unrichtigen Kommentar gemeldet hat. Ich habe sie angerufen und habe >>>> so reagiert. Ich habe sie am Telefon aufgefordert, es endlich sein zu lassen, seit Monaten geht das so mit ihr, und jetzt, während die Auktion läuft, sind ihre Kommentare schädigend. Ich muß annehmen, daß sie sie ganz bewußt so situiert. Der Vorwurf, unterm Strich, lautet: Dir geht es doch finanziell sehr gut, ja du lebst mitten in großen Luxus; du t ä u s c h s t die Leser und Bieter, b e t r ü g s t sie. Das ist infam und als Infamie auch gewollt. Ich kann nun aber nicht ständig auf den Bildschirm starren und kontrollieren; B. J.’s Kommentare werden nicht selten mitten in der Nacht geschrieben, was weiß denn ich, wer das Zeug dann liest? Einfaches Löschen hilft deshalb nicht. Es ist rein furchtbar: Ich werde tags die Kommentarfunktion offen lassen, nachts aber ausschalten müssen, zumindest, bis diese Auktion vorüber ist. Da aber die Diskussionen sowohl über Mißbrauch wie über alles andere für Die Dschungel sehr wichtig sind, gelingt es B. J. auf diese Weise, nicht nur mich, sondern auch das Literarische Weblog zu schädigen, also einen Teil meines Werkes. Ich sehe deshalb keinen anderen Weg, als am Montag den Profi an B. J. eine Abmahnung schicken zu lassen.

Mein Junge schläft noch, ich versuche, in die Arbeit zu kommen. Ein wenig jedenfalls, denn heute nachmittag ist Kindergeburtstagsfest. Da fall ich dann aus. Aber freu mich darauf, auch wenn mir jetzt ziemlich mau zumute ist. Immerhin, es schneit wieder draußen. Es sind lauter kleine, trudelnd fallende Lichtchen unter einem hellschmutzig grauen Himmel.

[Dies ist der 3000. Eintrag in Der Dschungel.]

Und, seh ich gerade, bei ebay hat sich jemand ‚drangehängt’; ich darf dazu nichts sagen, sonst würde mir das als Werbung ausgelegt. Aber Sie finden es schnell, wenn Sie bei ebay in die Suchfunktion „Alban Nikolai Herbst“ eingeben.

23.10 Uhr:
[Fauré, Streichquartett. DänenNetzRadio.]
Seit einer halben Stunde erst vom Kindergeburtstagsfest zurück. Die Mama hatte die Wohnung wunderbar geschmückt, ganz auf den Kleinen Vampir ausgerichtet, den unser Junge so liebt: künstliche Spinnenetze von Wand zu Wand, und kleine schwarze Spinnen fielen dauernd herunter; Girlanden aus Totenköpfen Fledermäusen; schwarz die Kerzen auf dem mit einer Spinnwebdecke bedeckten Tisch; alles, wie man es sich gewünscht hätte selber als solch ein Kind. Zwischen uns dann die Blicke. Und später, fast alle Kinder sind schon weg, nur eines noch bleibt, mit seiner Mutter, ******’s Freundin, die dort übernachten wird… – später also: „Ich will dir etwas zeigen“. Und spielt mir ihre Kompositionen vor, Pop-Songs nennt sie sie, elektronisch hergestellt. Es sind keine Pop-Songs, sondern man würde sie, vom Jazz aus gedacht, vielleicht „Cool Dico“ nennen, ich weiß nicht, aber angereichert mit Experimenten, mit Stimmen, mit Sprache, mit hochsensibel eingebauten Drum-Synkopen usw. usf. Ich bin ziemlich baff. Natürlich, da ist Repetition, was für Tanzmusik ohnedies klar ist und bei Modul-Arbeit fast selbstverständlich, es gehört auch in die Zeit, übernimmt das postmoderne Selbstreflexive, klar… aber s o v i e l mehr als Talent. Manchmal ein Streichereinsatz, dem man anhört, daß er vom Syntheziser kommt, sicher, das kann man kitschig nennen, ist es wohl auch, aber so what? Insgesamt eine sehr auf Harmonie bedachte, dabei seelenvolle Musik, persönlich hörbar wahre Musik, die mich wirklich platt macht. Beginnend noch, sicher. Aber es sind die Möglichkeiten so zu spüren. Man fühlt sie. Ich habe um Kopien der Stücke gebeten.
****** war ganz bei sich, als sie sie vorspielte. Vielleicht gefällt es ihr nicht, daß ich hier davon schreibe, aber das wiederum ist m e i n Projekt. Ich habe den anderen, der damals in unser Leben trat, nie gemocht, mag ihn bis heute nicht, ja verabscheue ihn; aber d a s muß ich sagen: Er hat ihr, er ist TechnoMusiker, viel gegeben. Handwerklich. Das habe ich, für s i e, in der Dichtung nicht vermocht. Und es gefällt mir, daß es – in dieser Hinsicht – so kam.
Mein Kleiner ist jetzt drüben geblieben. ******’s Freundin möchte gerne mit ihrem Jungen dort übernachten, und mein Junge möchte mit ihrem Jungen drübensein. Morgen früh werden die zwei hierher zum Frühstück kommen; dann geht alles wieder den geregelten Gang. (Ich würde jetzt gerne noch einmal diese Stücke hören, nur für mich; aber es war kein Brenner da, um die Kopien herzustellen.)
Ich muß, liebe Leser, nicht sagen, oder?, daß ich meine Fotografien von heute nachmittag hier nicht einstellen werde: denn es ist i h r e Wohnung, nicht meine, in der dies alles stattfand.