Donnerstag, der 23. Februar 2006.

4.38 Uhr:
Sehr müde. Dennoch pünktlich hoch.
Dieser Gedanke an Verzicht, den ich gestern formulierte und auf den kommentierender Zuspruch kam, hat mir eine kleine Depression bereitet. Hab ich nicht geahnt, als ich >>>> den Gedanken aufschrieb. Hab ich auf Widerspruch gehofft?
Jetzt will ich dennoch an ARGO und nachher VERBEEN. Aber der Arbeitsspaß ist grad weg; heut morgen ist es nur Pflicht und Bewußtsein, was die Disziplin hält.

Und suchte ein bißchen nach der Morgenmusik, einer, die mich „trösten“ könnte, die Traurigkeit dämpfen. Fand sie. [Karl Amadeus Hartmann, Siebente Sinfonie.]

10.13 Uhr:
[Strauss, Arabella.]
Bis Viertel vor zehn an ARGO gesessen und einfach durcherzählt; nach einer kleinen Stauung, über deren Lösung ich mir noch jetzt nicht sicher bin, ging es geradezu flott dahin. Drei TS-Seiten, das ist viel für eine Morgenarbeit. Dann war ARGO-Buchhalterisches zu tun: die revidierten und ausgedruckten Seiten mußten in die zwei bereits ziemlich fetten Ausdruck-Schwarten eingeheftet werden. Daraufhin kleines Frühstück, wie immer im Stehen in der Küche auf dem massiven, sehr schweren Brett, das mir vor Jahren >>>> Christa Schmidt geschenkt hat. Und nunmehr VERBEEN: Post ist zu beantworten; es geht um Verbeens Kompositionen, von denen man außer ZELIL von 1967, das in Donaueschingen mitgeschnitten wurde, gar nichts bekommt; halt die Noten nur bei Ricordi. Das aber für die Sendung einzuspielen, würde den Etat bei weitem überschreiten. Darüber hinaus gibt es in den Archiven der BBC das Ulysses-Musical, aber wie schon damals bei >>>> meiner Burgess-Arbeit wollen die „several hundred pounds“ haben, wenn sie uns etwas davon verwenden lassen. Ich hab gestern nacht noch wütend an Filz (SWR) geschrieben, wie schäbig ich das fände; ich benutzte nicht das Adjektiv, sondern das Nomen. Auf eine unlautere Weise k a n n man die vergessene Musik eines zumindest als Schriftsteller Großen nicht vergessen b l e i b e n lassen. Heute morgen aber fand ich in der Email einen Brief >>>> Paul Schuyler Phillips, den ich aufgrund eines seiner musiktheoretischen Aufsätze angeschrieben hatte und der nun antwortet, er habe tatsächlich (allerdings in den USA) mehrfach Verbeen aufgeführt und auch Mitschnitte davon, die er mir gerne senden wolle. Aber da wird es ebenfalls um Rechte- und Kostenfragen gehen. Und während ich noch an ARGO tippte, hatte ich endlich ein funktionierendes avi-to-wav-Programm heruntergeladen, das mich nun aus dem schönen Arabella-Fernsehmitschnitt hat drei CDs herstellen lassen. Multi tasking scheint zunehmend meine Arbeitsmentalität geworden zu sein… ach, wenn Sie jetzt dieses „Und du wirst mein Gebieter sein“ hören könnten! Ich bin so etwas von berauscht gerührt, das kann ich gar nicht sagen. Meine ganze Depression ging daran zugrunde, und dieses melancholische Glück hat Platz gegriffen.

0.24 Uhr:
[Goldberg in verjazzter Version.]
Erst war Lakshmi hier, um für den Jungen das Kostüm zu bringen (einfacher Luke Skywalker), da morgen in der Schule und in der Musikschule Fasching ist. D i e s e Begrüßung ist jetzt Standard: Küßchen links, Küßchen rechts; ich lebe damit. Da ich produktiv bin, beinahe mehr als je, ist mein Leiden erträglich; vielleicht gehört es dazu und ist der Preis, den ich zu entrichten habe. Mag sein.
Lakshmi war verabredet, sagte sie dem Jungen, als er fragte, ob sie nicht bleiben könne. Er klammerte sehr, ich hielt mich völlig zurück. Er winkte dann am Fenster; ich trat – gegen meine Sehnsucht – nicht hinzu, winkte nicht mit, sondern wusch das Geschirr vom Abendbrot ab. Ich wollte nicht dastehen und meine Verlassenheit kultivieren.
Nachmittags Einladung zu einer Lesung in der Kulturbrauerei.
VERBEEN steht.
Um 21 Uhr, da schlief der Kleine, kam Christiane H. zu Besuch, die seit meinem Auftritt in Stuttgart Emails schrieb. Kluge, sehr sinnlich-sensible Frau. Ich, auch h i e r, war distanziert, aber warm. Dann wurde es ein sehr sehr schöner Musikabend, nachdem wir ein bißchen über Literatur gesprochen hatten. Wenn etwas klingt, dann wird Literatur für mich stets völlig marginal.
Eben ist sie gegangen. Und ich will zu Bett, will träumen. Lakshmi, unser Sohn, Wir. (Ich stell mir manchmal vor, wie es ist, lebenslänglich im Gefängnis zu sein.Und wie man sich dann nach der Nacht sehnt, nach den Träumen, die sie schenkt.)