Sonntag, der 2. April 2006.

[Arbeitspause ff. Kinderwohung. Dallapiccolla, Framenti sinfonici dal ballet.)
Geträumt, ich säße in der Wanne; die Tür des Badezimmers stehe offen wie die Wohnungstür, so daß halbfreier Blick in den Hausflur sei; es ist früher Morgen: Lakshmi kommt nebenan (!) heim, bringt jemanden mit, erleichtert merke ich, daß es mehrere sind, die sie mitbringt. Als ich gewaschen, angezogen usw. bin, geh ich hinaus, bin aber nicht etwa in Berlin, sondern trete in eine südeuropäische, hitzegedörrte Gegend voll Macchia und Steinen und einen Staub, der von der Sonne riecht. Ich habe es eilig, muß den Bus unten im Ort erreichen. (Die Vorlage für diese Geografie scheint neben der Berliner Kinderwohnung Eigners Finka in Olevano Romano gewesen zu sein, die mein Traum zugleich mit der menschenfern in der mallorcinischen Steinwüste gelegenen Finka meines vereinsamten Vaters verschnitten hat). – Auf dem Weg merke ich, daß ich meinen Tagesrucksack vergessen habe, den ich während der kommenden Woche in Berlin brauche. Ich zaudere, ob umkehren. Der Bus darf nicht verpaßt sein, andererseits käm ich auch ohne meinen Rucksack schwer klar. Ich k e h r e um auf dem Pfad, geh zehnzwanzig Meter, da kommt mir ein fremder Mann um die Vierzig entgegen. Er ist merkbar ebenso eilig wie ich, trägt auf beiden Armen mein schlafendes Kind. Ich bin ganz erschreckt irritiert nervös: Soll ich ihn ansprechen, ihm sagen, daß das m e i n Junge ist? Doch meine Lippen wie z u. Ich sehe die friedensvoll geschlossenen Lider des Kindes, dessen Kopf ganz vertraulich dem Fremden an der Brust liegt. Er trägt den Jungen sehr sanft und entschieden zugleich, hat die Arme meines Jungen mit seinem linken Arm zusammengenommen, damit sie nicht baumeln können und das Kind dadurch wecken; nur knieabwärts seine Beine hängen. Der Mann eilt mit dem Jungen an mir hinüber: auch er will offensichtlich noch den Bus erreichen. Da drehe ich abermals um, gehe dem Mann hinterher, folge ihm, kann man sagen, aber ohne mich bemerkbar zu machen. Zwei ältere Frauen in Schwarz, Kopftücher überm Haar, nehmen vielleicht eine Abkürzung den steilen Hang hinab. Aber da unten stehen Häuser, deren Lage nicht klarsein läßt, ob es da hindurch tatsächlich einen Weg zur Busstation gibt. Über meinen Zweifel, ob ihnen oder weiterhin dem Mann zu folgen, wache ich auf.
Diese Art mehrfach codierter Traumstruktur liegt vielen meiner Erzählungen und topografisch der ANDERSWELT-Serie zugrunde. Das ist mir beim Aufwachen unmittelbar klar und festigt sich nun, da ich drüber schreibe.Hier schläft noch alles, gegen elf will Lakshmi kommen für den gemeinsamen Kindertag. Sie war rief gestern abend gegen elf Uhr an, wolle, erzählte sie, mit einer Freundin noch durch die Nacht ziehen. Auch das hat sicher auf den Traum gewirkt. Um 17 Uhr werd ich mich von beiden dann lösen müssen, um 17.30 Uhr meine Pressekarte für den >>>> Rosenkavalier abzuholen, der um 18 Uhr beginnt und, der Pausen wegen, schätzungsweise gegen 22 Uhr/22.30 Uhr beendet sein wird. Dann muß ich eilends in die Kinderwohnung, meine Sachen schnappen, in die Arbeitswohnung, dort das letzte Zeug zusammenpacken, dann schlafen; da steht noch ziemlich Hektik an. Um 4.30 Uhr morgen früh geht’s dann los, um 5.29 Uhr fährt die S-Bahn Richtung Ostkreuz und Ostbahnhof; um 5.55 Uhr geht der ICE-Sprinter nach Frankfurtmain. Die Rosenkavalier-Kritik werd ich im Zug schreiben und vom Hessischen Rundfunk aus an >>>> opernnetz schicken. Dann wird die Produktion VEERBEEN beginnen. Das Studiogespräch mit Leukert im hr, danach schnell weiter wieder zum Bahnhof und nach Baden-Baden.

Also noch einmal keine oder doch nur wenig Arbeit h e u t e; bis der Junge aufgewacht sein wird. Wir müssen beide dringend in die Wanne. Seine Fingernägel sehen so bedrohlich aus wie mein Viertagebart. Das möchte ich gern geändert haben, bis seine Mama kommt. Zugleich wenden sich nun In meinem Kopf Vor- und Nachteile eines übers Netz situierten VERLAGES DIE DSCHUNGEL. Wahrscheinlich notier ich gleich noch was dazu.

Einen kleinen Mailwechsel mit >>>> Helmut Krausser gab es gestern noch, der jetzt ebenfalls Rowohlt verläßt und, wie damals ich Delf Schmidt, seinem Lektor folgt.

22.52 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Gerade aus dem >>>> Rosenkavalier an der Komische Oper zurück; weil ich hier noch für die morgige Reise packen und sehr früh kurz nach fünf aus dem Haus muß, hab ich nicht mal mehr den Applaus abwarten können, sondern bin gleich losgestürmt und durchs nasse Berlin heimgeradelt. Immerhin ist es angenehm warm. Es wurde teils wunderschön gesungen und prächtig musiziert; aber über die Inzenierung ist zu sprechen: genau, analysierend, thematisierend und mit der einen und anderen These; und weil d e m so ist, gilt das letztlich auch für die musikalische Interpretation.
Um darüber zu schreiben, ist jetzt nicht Zeit genug; ich werde es morgen früh im ICE-Sprinter auf der Fahrt nach Frankfurtmain tun und den Text dann vom Hessischen Runfunk aus an http://opernnetz.de schicken sowie hier in Die Dschungel einstellen, bis er dort erschienen ist.

Zuvor war ein tiefer, naher Tag, der nur wenige Risse hatte, mit dem Jungen und seiner Mama. Ich war einmal wieder im Technikmuseum Berlin, wir haben bei weitem nicht alles „geschafft“, aber für Lakshmis war’s dort das erste Mal. Um halb zwölf morgens fuhren wir los, gegen fünf am Nachmittag kamen wir zurück in die Kinderwohnung; ich suchte mein Zeug zusammen, der Junge suchte sein Zeug zusammen, dann brachte ich beide zur Mamawohnung; von dort radelte ich dann zur Oper. Jetzt eß ich eine Kleinigkeit, packe, gucke noch mal die Post durch und geh schlafen. Um halb fünf werde ich aufstehen; es ist aber unwahrscheinlich, daß ich mich vor Frankfurt oder vielleicht sogar Baden-Baden noch einmal hier melde. Aber vielleicht aus dem Zug, mal sehen. Gute Nacht, Leser.