Sprecherkunst.

Es ist ein Irrtum zu glauben, der literarische Text sei dem gesprochenen Wort anzupassen, sondern er hat ganz dem künstlerischen Zusammenhang zu dienen, muß synkopiert, ausgehorcht, ja möglichst künstlich (also kunstvoll) sein, wenn er sich nicht dem Allgemeinen Gefälligen andienen will. Die Kunst des Sprechers wiederum besteht genau darin, die komplexen Sätze auf eine Weise zu intonieren, als w ä r e n sie gesprochenes Wort, ja Umgangssprache. Das gilt für den Romantext ganz ebenso wie für die Partitur eines Schauspiels, ja selbst für den rezitierten Hexameter. Wenn das gelingt, ist sowohl der Dichter in seiner Kunst geblieben, der er verpflichtet ist (er ist es nämlich n i c h t dem Rezipienten, sondern rein ihr), als auch der Sprecher (Schauspieler) g u t: Hier verbinden sich beider künstlerischen Interessen.

[Poetologie. Notat nach einem
der Gespräche mit Robert Hunger-Bühler.]



(Übrigens läßt sich ein Gleiches vom Verhältnis des Lesers und des Romanautors sagen. Es gibt nicht nur d e s s e n Kunst, sondern auch die Lesekunst des Lesers, hinter der ein Rezeptionswille steht, der letztlich ein Wille zur Lust ist, Wille zur Erkenntnis, Wille zur Einfühlung: Nähe, nicht Abwehr. Dienert sich der Künstler hingegen dem mainstream an, erfüllt er also absichtlich Erwartungen, dann hat er seine Kunst verraten, kurz: dann ist er korrupt. Und zwar in jedem Fall.)

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