Donnerstag, der 4. Mai 2006.

7.31 Uhr:
[Garbarek, Mein DAT-Mitschnitt seines Konzertes vom 23.10. 1996.]
Heute wäre >>>> mein Bruder 49 Jahre alt geworden. Seit neun Jahren ist er tot. Verbrannt auf dem Begräbnis, nicht einmal ein Pflanzenteil ist mehr aus ihm geworden, keine Erde, kein Organ. Sich verbrennen zu lassen, ist der böseste Entzug, den einer dem Leben antun kann oder andere ihn, hat er nicht verfügt, dem Leben antun l a s s e n. – I c h verfüge, begraben zu werden; falls erlaubt: ohne Sarg, falls n i c h t erlaubt: mit dem dünnesten Sargholz, das sich nur auftreiben läßt.

Vor einer halben Stunde erst erwacht. Mit dickem Kopf. Dabei wurde es gar nicht so spät gestern nacht, aber ich trank vier oder fünf (niemand wußte es mehr) ungespundete Biere – meine neue Entdeckung, die erste Bamberger Errungenschaft, die in mich eingeht. Der >>>> SM-Stammtisch selbst, nun ja, was sich so alles ‚dominant’ nennt… Einer reichte ständig technische Informationen über den Tisch, welche Spreizstange was kostet und wo am besten erhältlich ist usw. Überhaupt nehmen das Technische und die Selbstdarstellung gerade bei Männern einen erstaunlichen Rang ein; entfremdeter Eros. Dabei ein Gespräch mit einer O.; versuchte, mein Befremden auszudrücken, daß besonders dominierende Menschen ihre Macht am andern ausdrückten, ohne sexuell erregt zu sein. O. erklärte (sie switcht, d.h. wechselt die Rollen von dominant und submissiv). Es gehe ihr – übernehme sie den ‚aktiven’, d.h. quälenden, Part – genauso. Ich versuchte zu verstehen. Abermals in mir die Ahnung, daß ich mit SM kaum mehr als tangential verbunden bin; ich habe ohne erotische Erregung nicht das mindeste Interesse an Machtspielen; b i n ich aber erregt, nehmen Überwindung und gelingende Unterwerfung einen großen Raum ein: Es ist, glaube ich, die ins Sexuelle geglittene Unterwerfung meiner MutterImago. Da ich darüber sprechen kann und spreche, läßt sich das beiderseits sehr bewußt als erotisches Spielmoment nehmen. „Du hast einen Fußfetisch“, sagte etwa O. und darauf ich: „Nein, das ist kein Fetisch, da nicht objektiviert, nicht verdinglicht, sondern es ist rein-subjektiv, ist rein-bei-mir und also, physiologisch, eine erogene Zone.“ Das etwa wurde mir gestern abend klar. Differenzierung. (Meine Mutter war jahrelang Fußpflegerin; ich schrieb darüber im verbotenen Buch. Ich darf die entsprechende Stelle leider nicht zitieren; auch das ist mir ja untersagt. Wahrheit zu sagen ist untersagt, auch dann, wenn sie künstlerisch verallgemeinert ist. Nun sag ich sie halt hier, konkret und persönlich. Dann kommt mal her, ihr einstweiligen Verfügungen!)
Ich flirtete ein wenig, aber begab mich allein heim, ohne Frau. O. meldete sich dann noch mal über den Messenger. „Du bist so schnell gegangen, alleine gegangen.“ Auch das habe ich wieder richtig gemacht. Und was dann nötig war, für mich selbst getan.

Die Argo-Szene der ersten Begegnung Skamanders mit Odysseus ist fertig geworden, nachmittags, gleichsam im Nebenbei. Saß draußen auf der Kiesterrasse, tippte immer wieder mal einen Satz, lehnte mich zurück, meine Nachbarin kam mit griechischem Kaffee, frühabends kochte ich Spargel, wir aßen gemeinsam, sie holte Raki. So ging das mit dem Trinken dann schon los.
Bin jetzt bei im Schnitt anderhalb Seiten Romantext täglich; das ist noch entschieden zu wenig, auch wenn das Ergebnis jeweils sehr zufriedenstellend ist. Aber ich will ja spätestens im Oktober mit der Rohfassung fertigsein.
Über >>>> Judith Butler hab ich noch gelesen; mein mehrmals geäußerter Einwand des Affirmativen einer Idee der Auflösung von Geschlechtern ist einmal mehr bestätigt. Hergestellte (Aus-)Tauschbarkeit, die immer auch Vermarktbarkeit bedeutet, ist internalisiert worden und projeziert sich nun wieder, in theoretischer Erscheinung, nach außen. Dabei ist mir völlig bewußt, daß ich das in vielem mitmache. Daß auch die großen Romanprojekte das wi(e)derspiegeln. Daß sich aber der Widerstand dagegen – in meinem Werk – im Allertiefsten erhält, das wir kennen und leben: im Sexuellen. Beharren auf dem Körper. Auf den Tisch pochen. Nein sagen. (Eine Aufgabe ist es, auch das L e i d der Ungeheuer Argos zu fassen, auch in i h r Geworfensein einzudringen und sie also von innen zu schildern; bei Skamander gelang mir das jetzt, bei den Devadasi noch nicht.)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .