Mittwoch, der 31. Mai 2006.

9.36 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg. Sonne, dann schon wieder Regenwolken.]
Meine Güte, was muß ich gesoffen haben gestern nacht! Es war nach 3 Uhr, daß ich ins Bett kam, also an 4.30 Uhr-Arbeit nicht zu denken. Und hab nun einen solchen Kater. Kopfschmerz ist überhaupt nicht gut für das Werk. Egal.
Auf dem gestrigen Jour fixe las Gerald Zschorsch >>>> aus seinen Gedichten; eine beeindruckende Lebensgeschichte, die beeindruckende Texte schrieb. Fast albernd, bis in die späte Nacht spöttelnd, zogen wir alle in zwei Bamberger Kneipen, nacheinander, also die Kneipen, versteht sich. Da geriet ich mit L., einer CoStipendiatin, aneinander, einer schottischen Autorin, die sich für Frauen und eben auch weibliche Unterdrückte in der Dritten Welt starkmachte. Ich glaub ja nun nicht mehr so sehr an die Unterdrückung der Frau, nicht auf diese einfache Weise, sondern meine und habe beobachtet, daß die Dinge komplizierter sind, als die Moral es will, und zwar egal w e l c h e Moral: sie greift immer zu kurz. Also erfand ich einen Freund, der sich ein Thai-Mädchen gekauft habe, das nun glücklich sei – denn es wäre, wäre es nicht gekauft worden, Hungers gestorben. (Ein befreundeter Journalist hat vor zweidrei Jahren über so etwas geschrieben und dafür recherchiert.) Jedenfalls ging der Streit dann los, bis ich schließlich als böser Mensch dastand, der solche Vorgänge moralisch verteidigt. Tu ich ja auch, allerdings nicht generell. Meine Haltung ist: Man muß die Einzelfälle sehen, wenn moralische Kategorien angewendet werden. Zumal die Kulturen sehr verschiedene sind und völlig andere Wertmaßstäbe haben. Zschorsch, den das Leben ordentlich gebeutelt hat, sprang vermittelnd bei. Ich fragte L. (alles lief auf Englisch, was mich, wenn es um die Erläuterung komplexer Gedankengänge und Haltungen geht, jedesmal in Nachteil bringt): „Bist du denn jemals dagewesen? Hast du jemals die Dritte Welt gesehen.“ Hat sie natürlich nicht, sondern urteilt aus dem Fett des hochindustrialisierten Westens. Ich wollte das Gespräch noch auf einen Vergleich zwischen Verkauft-werden in der Dritten Welt und sich-selbst-verkaufen hierzulande bringen, aber das schaffte ich nicht mehr. Da war es bereits zu viel Bier.
Die Gedichte werde ich mir bestellen.
Und will jetzt ans Libretto.

Alexandra war noch hier. Wir tranken Wein an der Gartenmauer zum Fluß.„Was willst du? Diese Liebe oder dieses Buch? Eines geht nur.“ Und später, sie war ganz ernst und blieb es, als sie ging: „Gut, daß du so bist. Strange, daß du so bist.“

[Jetzt scheint die Sonne, sie steht schon hoch für den Vormittag, durch die Glasfront in meinen Kopfschmerz.]