Donnerstag, der 8. Juni 2006.

7.05 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg. Strahlender blendender Sonnenschein, der am Schreibtisch direkt auf mein Gesicht fällt, so daß ich eine der elfenbeinfarbnen Jalousienbahnen herablassen mußte; sonst wär auf dem Bildschirm nichts zu erkennen. Mir ist nach ebenso heller Musik. Deshalb: Graun, Cesare e Cleopatre.]
Die Dinge, die mit mir zusammensind, müssen einiges aushalten und scheinen es, w e n n sie’s sind, auch zu können: Seit ich das neue Mobiltelefon und darin eine Weckerfunktion habe, nutze ich fast ausschließlich noch s i e – und seit heute morgen um halb fünf hab ich mich halbstündig immer wieder wecken lassen, ohne hochzukommen. Schließlich fiepte das Dingerl gegen sechs, doch ich schlief abermals ein, legte es aber ganz offensichtlich nicht wieder auf den schmalen Bettkasten, der (von mir ungenutzt) längs des Kopfendes verläuft, sondern behielt es vielleicht in der Hand, aus der es auf die Decke rutschte. Jedenfalls komm ich eben zu mir, denke: Verdammt, jetzt aber hoch! werfe die Decke zur Seite — da wird das Gerätchen m i t hochgeworfen und fliegt in weitem Bogen über oder durch das filigrane Stahlgeländer, das die obere Halbetage vom unteren Studio trennt. Es gibt einen Riesenkrach, jetzt war ich wirklich wach, zieh mir was über, denke: das ist hin, das ist hin! Lauf die stählerne Wendeltreppe, an deren Fuß der Schreibtisch steht, hinab, suche… Aber zwar ist die kleine Abdeckplatte herausgesprungen, doch als ich sie wieder eingesetzt habe, ist das Telefonchen noch nicht einmal ausgegangen, hat keinen Kratzer, das Display keinen Sprung, überhaupt nix von dem knappen 3-m-Fall ist zu erkennen. Liebe Leser, ich mache hiermit Werbung: Achtung und Ehre dem >>>> RAZR v3 und seinen Entwicklern bei Motorola. D i e s e meine Beziehung ist jedenfalls jetzt gefirmt…

… und dann fällt mir, sehr unmittelbar an meinen kleinen Sohn denkend, die Frage ein: Weshalb schreibt man eigentlich Gedichte immer nur für DIE FRAU, weshalb nie für das eigene Kind? Jedenfalls sind mir keine solchen bekannt oder nur als Kitschobjekte; Geschichten, ja, Erzählungen, vielleicht sogar Romane, nicht aber Gedichte. Seltsam. Gilt diese Form den eigenen Projektionen (lyrisches Ich), die zwar von den Geliebten, nicht aber von Kindern erfüllt werden (können)? Ist das Gedicht gar ein Teil des Körpers, des Subjekts – die Prosa aber ein Teil der Geschichte, des Objekts? Zur Seele, immerhin, gehört beides.

Ich geh jetzt an ARGO; Libretto-Zeit wird wieder der Nachmittag werden. Und für abends hat mich A. gebeten, ihr als Model zur Verfügung zu stehen, weil sie einen Job für ein Kosmetikunternehmen angenommen hat und an einem Weiblein und einem Männlein Produkte vorführen soll. Das wird nett: ANH mit Gurken auf dem Gesicht. (Wenn A. das fotografieren würde, stellte ich’s später zu Ihrem Vergnügen hier ein).

Guten Morgen, Ihr Leser im Land und unter Wasser.



12.05 Uhr:
[Händel, Semele.]
Die ARGO-Arbeit flutscht wie am Schnürchen… was sich leichter liest, als es ist: bisweilen w e i ß ich um eine herrliche Formulierung Beschreibung einen Wink, aber bekomm, w a s ich weiß, nicht gleich aufs Papier: dann geh ich zurück, stelle um, schreibe neu, bis der Ausdruck gefunden ist. Das ist eine Arbeit, die ich, anders als etwa >>>> Eigner, niemals allein im Kopf zuwegebrächte, sondern ich muß die Sätze sehen, um sie zu schmecken.
Über dem wurde die Sehnsucht nach meinem kleinen Sohn immer und immer größer, bis ich ARGO kurzerhand unterbrach, um ihm einen langen Brief zu schreiben. Den habe ich nun eben zum Briefkasten gebracht und hoffe, daß er ihn morgen bereits hat. Es ist mir völlig unverständlich, wie m e i n Vater es aushalten konnte, so viele Jahre ohne seine Kinder zu sein – oder wie muß es ihn gequält haben, wenn man ihn, auf welche Weise auch immer, dazu zwang! Er war weich, ebenfalls ein Steppenwolf, aber alles andere als ein Alphatier in diesem Rudel. Daß i c h es kann, verdank ich wohl den Genen meiner Mutter.
Ein bißchen ARGO tu ich noch; auf zwei Seiten will ich kommen. Dann der Mittagsschlaf, danach das Libretto.

19.06 Uhr:
Bis eben an einer neuen Achilleis-Stelle gefeilt: diesmal zu dem originalen Goethe-Versmaß, auf das mein eigener Text geschrieben wird, auch noch Ovid gelegt, dessen Hexameter an zwei Stelle auf Goethes Rhythmik angepaßt wurde, an einer paßte er eh hautgenau; da konnte ich den Metamorphosentext rein im (übersetzten) Original stehenlassen. So bin ich aber nun mit dem Libretto in Verzug und hab mich eben drangemacht. Die Schönheitspflege fällt aus; statt dessen schaut A. mit einer Freundin gegen 21 Uhr auf einen Wein herein.
Und mit Zschorsch hab ich noch ein Kohlrabigemüse gegessen, das ich mit Kokosmilch gekocht und zu den Resten von gestern gegeben hatte. Alles nicht sehr interessant für Sie, zeigt aber dennoch Zusammenhänge (“das Akzidentielle gibt es nicht!”).