Mittwoch, der 14. Juni 2006.

8.37 Uhr:
[Villa Concordia, irrer Sonnenschein. Was ich als Musik hören will,
weiß ich grad noch nicht, such das jetzt raus und stell es
ans Ende dieses ersten Tagebucheintrags des Tages.]

Erst noch, nach Ulrike Draesners erster Bamberger Vorlesung, „auf den Keller“ gezogen, wie das hier heißt: Es sind Gartenwirtschaften auf den Gipfeln der Hügel, die mehrfach unterkellert sind: in den Höhlungen verwahrte man etwa die Meische. Die Unheilvollen benannt: Thomas Steinfeld (SZ) etwa und sowieso Peter Hamm, andere mehr. „So viel Korruption“, sagt Ulrike, „und dann IQ’s von um die 100!“ Es ist eine schöne, ruhige Freundschaft zwischen uns, mit viel Achtung bei ebenso viel inhaltlicher Differenz. Aber darauf kommt es nicht an, sondern auf die Haltung. Meine Notate zu ihrer Vorlesung tipp ich später aus dem Notizbuch ab und stell sie dann in die entsprechende Rubrik.

[Wecker, Sadopoetische Gesänge. Sie sind sehr präsent, es ist nicht leicht,
parallel eigenen Text zu denken. Aber schult das Vermögen und verteilt
das verstehende und denkende Sprachzentrum auf verschiedene Gehirnpartien
– so daß es sich zwei- und mehrstimmig schreiben läßt.]


Ein weiteres Gedicht Für F. notiert, da geh ich nachher bei, vielleicht noch vor ARGO. Es ist eigenartig, daß der Impuls, Gedichte zu schreiben, bei mir fast immer mit Liebe verbunden ist: ein Antrieb, der sich nie geändert hat und vielleicht das Privateste ist, das ich habe. Nie käme ich auf die Idee, einer Begehrten eine Geschichte zu schreiben; sie ihr zu widmen allerdings, was ich oft tat, ist etwas anderes. Doch Erzählungen sind objektiver Natur; hier gibt es einen grundlegenden Unterschied zur Lyrik. Jedenfalls in mir. (Städte f a l l e n für mich unter Geliebte, deshalb gehen Stadtgedichte a u c h). Das Private des Gedichtes objektiviert sich freilich über die Form.
Später mit Zschorsch, einer jungen Dame, die hier zu Besuch war, mit der Kampflesbe Welsh und noch zwei Stipendiaten in eine Kneipe. Die junge Dame, groupieartig: „Du bist Alban Nikolai Herbst? Das ist ja toll, daß ich dich endlich kennenlerne!“ Wir sprechen über Sizilien, erst noch auf der Vorterrasse der Schloß-Sala, schließlich in dieser Kneipe. Sie plötzlich: „Schenkst du mir dein Sizilienbuch?“ Mehrfach fragt sie das nach, lächelt mit diesem Mädchenblick für ältere Herren, es ist ziemlich impertinent. Ich sag: „Wäre ich nicht gerade so verliebt, ich würde Ihnen antworten: ‚Was krieg ich denn dafür?’“ Sie lächelt und impertinentiert weiter, sogar noch in der Kneipe. Bis ich sehr sehr deutlich werde: „Spiel das bei anderen, nicht bei mir. Du wirst damit ganz sicher viel Erfolg haben. Aber ich sag dir nur: Geh in die Buchhandlung, hol dir das dtv-Bändchen und gib also Ruhe.“ Unterdessen sind nur noch die dicke Welsh, die das Mädel anbaggert, da, Zschorsch und ich. Das Mädel lädt uns zu sich nach Hause auf einen Joint ein, zwischen Welsh und mir kracht es wieder, aber zäh, still. Ich, draußen auf der Straße: „Da wirst du dich nun entscheiden müssen.“ Sie: „Ich möchte aber Harmonie.“ Ich: „Es g i b t keine Harmonie. Leben ist so. Es gibt nur Entscheidungen.“ Und schließlich entscheide i c h mich und sage Adé, F. im Herzen, und sowieso vertrag ich ja keine Joints, sondern hab von Hasch immer bis zu drei Wochen flashbacks. Das Mädel ruft mich zurück, gibt mir, glaub ich… [ANH sieht eben in der Jackettasche nach:] …nein, gibt mir nicht i h r e, sondern bittet mich – richtig!: s o war’s – um m e i n e Visitenkarte („Wie kann ich dich erreichen?“). Ich geb sie ihr und schieb ab. Ihre Freundin, erfuhr ich noch, schreibt ihre Diplomarbeit über mein verbotenes Buch. A u c h eine Art, am Leben zu bleiben.

Jetzt sinnier ich vor mich hin, lausche Weckers bösen liebevollen Gesängen, zugleich geht mir die Lust auf Händel. Und ich wunder mich etwas, das sich >>>> RHPP noch nicht gemeldet hat wegen des Librettos. Außerdem will ich gleich auf die Post und ein Päckchen wegschicken, von dem ich hoffe, daß es morgen den Empfänger erreicht.

Wecker, irre gut: „Mit Leben bis zur Ferse gefüllt.“

14.46 Uhr:
Mit Carthaga telefoniert, die mit F. sprach. Es bleibt nun wohl doch bei deren „schönem Mann“, wie sie den Geliebten nennt, mit dem sie nicht zusammen ist, aber doch eine, sagen wir, erotisch-befreundete Beziehung pflegt. An der sie hängt. „Ich weiß auch nicht, was ich dir sagen soll“, sagt Carthaga, „normalerweise habe ich ein Gefühl für solche Situationen. Hier habe ich keines. Gar keins. Ich weiß einfach nicht. Du bist ihr too much.“ So schrieb sie’s auch selbst: … h.´s art induziert totalität – in jeder form. und das war mir in diesem moment mehr als nur klar. und genau damit kann ich nicht umgehen…So daß ich realisieren muß: Ich liebe ein zweites Mal, da ich liebe, ins Leere. Und hab doch den ganzen Vormittag mit dem >>>> Rondo verbracht. Dabei wird immer deutlicher, daß es g e r a d e die Intensität und also auch ein solches Gedicht ist, das die Menschen vor mir zurückschrecken läßt, daß, was letztlich eine Verbindung verhindert, g e r a d e die Präsenz ist. Man erfährt sie als Gewalt. „Man baut“, sagte seinerzeit A., „sein Haus nicht neben dem Krater eines tätigen Vulkans.“ Und völlig richtig mischt sich UF ein und fragt an, was denn mit Δ sei. „Du hast sie immer zurückgewollt.“ Woraufhin ich gestehen muß (die Frage selbst mehrfach in der Brust gewendet, durchgepflügt seit vorgestern nacht), die Hoffnung aufgegeben zu haben. Die neuesten Geschehnisse, von denen Sie nichts wissen, weil ich darüber nichts schreiben darf, haben alle Türen zugenagelt und noch eine Stahltür davorgeschweißt. Offenbar führt das in mir zu einer Öffnung, die sich, sagen wir, in der Rückwand des Hauses auftut. Ich trat hindurch in den Garten, ging einen Weg entlang auf das Schillerhaus zu, und da stand dann >>>> der Mohn.Auch er, merkte Carthaga noch an, sei oft giftig. Und ich, der Dominante, bin hilflos. Werde mich gleich für eine Stunde schlafen legen. Nicht aus Müdigkeit, sondern aus Angst vor Depression. Einen Traumschnitt machen, dann mich wieder an den Schreibtisch setzen und, als w ä r e gar nichts, ARGO weiterschreiben.

15.25 Uhr:
War nichts mit hinlegen; Zschorsch kam vorbei, erzählt: es müsse noch ziemlich heftig zugegangen sein gestern nacht infolge des Joints: die beiden Damen lecken sich das Geschlecht aus, er selbst sitzt dabei und kann die Beine nicht mehr bewegen, wird schließlich von der Kampflesbe nach Hause geschleift. „Du hast es >>>> wirklich richtig gemacht“, sagt er, „daß du da nicht mitgekommen bist.“