Sonnabend, der 1. Juli 2006.

6.59 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Eben erst aufgewacht… nein, stimmt nicht, den Wecker hörte ich s c h o n, sonst hätt ich ihn ja nicht ausstellen können, und zwar mehrfach. Doch so tief träumte mir. (Hier müßte man jetzt Schubert einstellen können. Wenn das mit dem Verlag läuft, wird sowas vielleicht bald oder irgendwann möglich sein: daß ich Die Dschungel um weitere Sinnlichkeiten erweiter, weil dann nämlich Platz so wenig eine Rolle mehr spielt wie Geschwindigkeit. Ich könnte dann eine Konzeption des GESAMTKUNSTWERKES IM NETZ weiterverfolgen, über die ich in THETIS schon nachgedacht habe und Sie würden im jeweiligen Fall etwa auf die gemeinte Musik weitergeleitet werden, sofern denn das Urheberrecht mitspielt, bzw. die GEMA, bzw. würden da Lösungen gesucht und gefunden werden. Und dennoch blieben wir bei Literatur, was für mich immer meint: Dichtung. Und ihre Herkunft zugleich, ihr Antrieb.)
Der Junge schläft noch, klar, es ist ja halb zwölf gewesen, als er ins Bett kam. Ich meinerseits saß noch lange auf der Terrasse und telefonierte mit einer Freundin, die in einer verfahrenen Liebessituation steckt, wirklich Liebe, doch verheirateter Mann mit Familie, sich zurückziehen, beide, Begegnung mit der Frau, „was soll ich tun?“, das ganze Unglück, die ganze Haltung b e i d e r Frauen, der Stolz und die Not. Man kann bei so etwas nicht raten, man kann nur fragen „was willst du, was willst du nicht?“ und dann zuhörn. Vielleicht den anderen Blick etwas richten, doch ist der ohnedies klar; nicht um den Blick geht es, sondern ums Herz, dem es auch nichts hilft, daß es im Kopf steckt wie der Geist. Denn hier geht’s ja nicht um Begehren oder dies nur in den folgenden Reihen (wie die nachwachsenden Zähne des Hais, fällt mir ein, die sich nachschiebenden Zähne, sind die vorderen abgenutzt).
Jedenfalls kehr ich erst sowas um eins an den Laptop zurück und finde eine Nachricht >>>> Junes, der ich über den Messenger genachrichtet hatte, es gebe Neuigkeiten: ich bin gerade nach hause gekommen und todmüde, aber doch neugierig. was für neuigkeiten gibt es?Ich versuche zu antworten, aber sie ist wohl schon zu Bett. Und ich mag nicht ins Leere schreiben. Verschiebe das deshalb schriftlich auf ‚morgen’, das jetzt ein Heute meint. Und wie ich so dahinsinne, kommt mir die Idee, daß man aus Junes und meinen Gesprächen, die der Messenger ja abspeichert, eigentlich einen guten Korespondenzband machen könnte, eine wirklich moderne Korrespondenz, so, wie bislang Briefwechsel von Autoren verlegt wurden. Das bauchte selbstverständlich einige editorische Arbeit, aber gerade die Gespräche und Analysen zum Geschlechterverhältnis und zu Beziehungsdynamiken wären sie wert – und nur darauf sollte sich ein solcher Auswahlband fokussieren. Private Bezüge wären dabei auszusparen, bzw. umzuerfinden, so daß die ‚Fälle’, die den Gesprächen zugrunde liegen, ohne Intimverletzung erzählt werden könnten, zugleich aber das je Einzelne a l s Einzelnes bewahrt wird. Der Reiz liegt im Unsystematischen, so wie Nietzsche es dachte; dennoch kann (und wird ja auch) jederzeit auf systematische Theorie verwiesen werden. Arbeit, Leser, viel viel Arbeit! Mal sehen, was June dazu meint; vielleicht werden wir in Meran darüber sprechen. Und man müßte dafür einen Verleger finden oder publiziert die Korrespondenz im Netz: u n d – o d e r. (Es wird Zeit, daß man den Computer direkt mit dem Hirn verschalten kann, das würde dann auch sinnlich jedem das Buch bewahren, der es braucht und liebt. Und wer’s nicht braucht, behielte dennoch den Zugang. Aber darum ging es n i c h t in dem, was ich ihr erzählen will. Mal sehen, wann sie sich meldet.
ARGO.
Sowie nach Verbindungen schauen. Planungshalber. So, wie es j e t z t ausschaut, fahr ich mit dem Jungen nach Neapel/Stromboli n i c h t. Neapel werd ich im Herbst für mich selbst machen können, wegen des geplanten Hörstücks. Ich fand für Oktober Flüge, die einen Euro kosten.

Nachtrag.
Nicht gearbeitet. Nur mit dem Jungen gewesen. Mit ihm und seinem neuen Freund Leander im hiesigen Hainbad am Fluß. Zusammen in die Villa. Unten auf der Terrasse vor der Sala den Grill angefeuert, es wurde 21 Uhr, dann gegrillt, und die Jungs toben herum. Die Mama des anderen Jungen kommt später hinzu, wir stehen alle beisammen, meine Nachbarsstipendiaten, ein Stipendiatenpaar aus Schottland nebst Mutter, die zu Besuch ist; sogar Direktor Goldmann kommt hinzu. Nachts bringen Adrian und ich Leander und seine Mama durchs nächtliche Bamberg heim, kehren zu Fuß zurück, mein Sohn hat noch einen Leuchtstab mitbekommen, den er nun schwenkt; es ist nach zwölf, daß er ins Bett fällt, ich lese dennoch ein halbes Kapitel noch vor, geh dann runter an den Schreibtisch, will einen Holmes-Film sehen, was aber kaum zur Hälfte gelingt, dann schlaf auch ich. Kopf und Herz sind mir voll. Testostoron hat momentan eine Art Frieden mit meiner Geduld geschlossen.