Was dich zur Form treibt. (II).

Künstler zu sein, formuliert >>>> Zschorsch, ist nicht so sehr die Wahl eines Berufes, schon gar nicht die eines Jobs, den einer, der über Fantasie verfüge, sich zum Gelderwerb kultiviere. Sondern es sei eine Haltung, eine Lebenshaltung Lebensform. Er hat damit recht. (Weshalb sich alles vorgeblich ‚neue’, moderne usw. Kunstverständnis erübrigt, das die Erschaffung von Kunstwerken in gesellschaftssoziale Bezüge setzt oder verlangt, sie müsse sich etwa den industriellen Produktionsbedingungen der medialen Welt anpassen – das genau muß sie weder, noch kann sie es).
Lebensform bedeutet, ich verstehe die Geschehen der realen Welt immer auch als Material für Geschichten (für Gedichte, für Musiken, Bilder usw); Haltung bedeutet, dem stelle ich mich. Wiederum heißt ‚immer a u c h’, daß zugleich die Geschehen-selbst nicht uneigentlich werden: sie geschehen n i c h t, damit man eine Geschichte schreibt. Sondern sie geschehen, vorgängig, tatsächlich und mit allen persönlichen Konsequenzen, allem persönlichen Glück, allem persönlichen Leid. Die Geschichte dann wird hinzugeschrieben, das Bild hinzugemalt, die Musik hinzukomponiert. Kunst kommt immer zum Leben h i n z u: sie füllt Welt um eine weitere Realisierung von Leben an. D e s h a l b, n u r deshalb, macht sie die Welt reicher. Es ist ein Irrtum anzunehmen, Kunst setzte sich an die Stelle von Leben, sie sei entweder Substitution oder Bewältigung. Bewältigung ist sie a u c h, aber Bewältigung trifft nicht ihren Kern: Sie könnte nämlich gerade auch k e i n e Bewältigung sein, sondern die Konflikte noch verschärfen. Nur spielt dieser Aspekt bei ihrer Entstehung – immer vorausgesetzt, sie gelingt – keine andere Rolle als die eines, sagen wir, dynamischen Katalysators: persönliche Betroffenheit ist der drängende I m p u l s in die Form. Doch je strenger diese beachtet wird, um so weniger spielt schließlich persönliche Betroffenheit im Kunstwerk noch eine Rolle. Es wäre eine Geschichte sonst auf ihre Leser gar nicht übertragbar. Wir können das Leid und das Glück eines anderen nicht als eigenes empfinden („wir sind immer allein“), wir können es aber sehr wohl bei Gestalten der Kunst („wir sind n i c h t immer allein“): gerade, weil ihnen die Form das Eigene nimmt und zu etwas Allgemeinem werden läßt:: etwas, das andere a l s Eigenes in sich hineinnehmen und miterleben können::: die Kunstfigur wird zum Introjekt des Rezipienten.
„Wir werden allein geboren“, hat meine Mutter einmal gesagt, „wir sterben allein, alles dazwischen sind Verbindungen auf Vorläufigkeit.“ Genau dem setzt Kunst ein emphatisches NEIN entgegen und macht sich zum radikalen Vermittler zwischen Du, Ich und Wir. Sie macht das Eigene, das dem Anderen real fremd ist, zu dem Realen Inneren des Anderen. Insofern ist sie immer auf Entindividuation aus, auf Verschmelzung: das hat sie mit dem erotischen Akt gemein. Deshalb sind Kunst und Eros verwandt. (Adorno sprach von Eros & Erkenntnis und diagnostizierte ein selbes für die Philosophie).

[Poetologie.
Döllnsee, Küchentisch.
Nebenan schläft der Junge, und
der Profi hantiert ordnend herum.]

11 thoughts on “Was dich zur Form treibt. (II).

  1. Sie sind im Kern gesund, Sie werden es weit(er) bringen und lange leben, auch gut leben, noch genauer: überhaupt leben.
    Aber trotzdem die Frage: Hatten, haben Sie eine Wahl?! Sie sprechen selbst von “sich stellen” (genau das!!).

    Mein Neid auf diesen gesunden Kern kennt natürlich keine Grenzen; immerhin zeigen Sie aber auch, dass man Form auch in sich finden kann, selbst wenn man keine Wahl hat – ich gehe davon aus, dass Sie keine haben, korrigieren Sie mich. Das ist dann wieder ein Silberstreif noch unter dem Horizont.

    1. Ich hätte eine Wahl (gehabt). Vielleicht. Sofern es so etwas gibt, was ich zunehmend bezweifle, die meisten andren Menschen aber nicht. Deshalb für diese andren gesprochen: Ich will sie nicht, die Wahl. Wenn es darum geht, sich zu stellen. (Die Wahl wäre gewesen und wäre immer wieder: zu fliehen. Aber ich bin kein Fluchttier. Einem solchen wäre die Flucht nicht zu verübeln. N u r einem solchen nicht.)

    2. Es ist schrecklich, ein Fluchttier zu sein. Man wird davon nur kurzsichtig und schrumpft nach allen Richtungen. Am Ende (oder am Anfang) steht man in der zweitletzten Ecke mit dem Rücken zur Wand und hat nur noch diese winzige Wahl: ganz zu verschwinden oder sich doch noch zu stellen. Das wird dann ein bösartiger Kampf, wenn man nur noch ein einziges feuchtes Streichholz als Waffe hat und den Gedanken, dass man sich viel früher hätte stellen müssen.
      Die meisten behaupten übrigens, sie hätten eine Wahl. Für mich ist das möglicherweise eine der wichtigsten Fragen überhaupt (wichtige Frage = man kennt die Antwort und tut alles, um sie nicht wahrzuhaben).

    3. Es ist auch schrecklich. Keines zu sein. (Und auch sehr schön; man bekommt aber eines ohne das andere nicht, un w e n n man’s bekommt, ist es schal.)
      Dennoch: Ein Fluchttier ist, wer keine Waffen hat oder ungenügende, um sich zu wehren. Was soll die Antilope tun, kommt der Löwe? Sie ist für die Flucht g e s c h a f f e n. Und das ist in Ordnung. Auch für Menschen mag so etwas gelten. – Und noch eines: Ob man glaubt, daß man die Wahl hat, oder ob man es ncht glaubt, ist sehr wahrscheinlich ebenfalls das Ergebnis einer Wahl, die niemand hatte.

      [Ich habe bis eben mit meinem Jungen und meinem besten Berliner Freund mich gegen mich selbst durchringend das Spiel Portugal ./. Deutschland gesehen; beim Jubel über das 0:3 stand ich auf und ging. Ich kann den Jubel von Siegern nicht ertragen. Er kränkt mich, er widert mich sogar an.]

    4. Ja, das liegt daran, dass Siegen etwas überaus Unangenehmes ist (vielleicht wiederum aus der Perspektive des Fluchttieres oder Fluchtmenschen), sowohl für den Zweiten wie die Fernerliefen, besonders aber für den Sieger – wer den eigenen Sieg uneingeschränkt geniessen kann, dem mangelt es vermutlich an Demut und an Mut und besonders an Respekt.

      Ich glaube letztlich auch, dass niemand eine Wahl hat und beneide diejenigen, die für sich eine Wahl sehen, denen passiert nichts. Ich ärgere mich aber vor allem über jene, die mir weismachen wollen, ich hätte eine Wahl oder sich gar mokkieren über mein Nichtwählenkönnen (sie sind in der Überzahl, wahre Löwen).

    5. @la tortuga…unangenehmer sieg? ein sieg ist ein moment der überlegenheit,der tiefer gehende folgen haben kann (z.b. dass man gefressen wird,um bei der natur zu bleiben)aber oft auch ein temporärer…ein erreichen des gesteckten zieles(man kann sich auch selbst besiegen)ein kämpfer weiss immer ,dass er auch unterliegen kann ,insofern ist ein sieg nicht der moment der demut sondern der freude…was nicht heisst,dass der respekt fehlt…wer es nicht geniessen kann,diesen moment der freude ,dass man etwas vollbracht hat zu bezwingen(was auch immer das im übertragenem sinne war),bewegt sich nicht.die freude an einem sieg ist nichts anderes als der abschluss eines kampfes ,um etwas zu beenden….sich neuem zu zu zuwenden…
      zum glauben an wahl oder nicht “glaube” ich,dass der glaube einfach stärker ist als wahl oder nicht,was meint…egal woran sie glauben,das erschafft ihre realität…

    6. @china-blue, die Überlegenheit ist es, die ich unangenehm finde. Siegt man über andere, braucht es also welche, die unterlegen sind, und das sträubt mir einfach alle Nackenhaare. Siegt man über sich selbst, heisst es, dass es das nächste Mal noch härter wird (und zugleich ist man sich selbst oder seinem früheren Selbst unterlegen), erreicht man ein gestecktes Ziel, muss man erst wieder hinunter in die Tiefebene, bevor man sich dem nächsten Gipfel zuwenden kann, um die Bergsteigermetapher zu strapazieren. Der Kater nach dem Höhenrausch ist unumgänglich.
      Natürlich bedeutet ein Sieg auch Freude – ich sagte ja “uneingeschränkt freuen”, wer das kann, ist suspekt – in dieser Freude bleibt man sich Obigem immerzu bewusst, der Triumph ist ephemer. So ähnlich wie Wein, das Fruchtbouqet explodiert, der bittere Abgang dauert wesentlich länger. Das meinte ich; natürlich ist nichts gegen Siegen einzuwenden, ich wollte nur sagen, Siegen ist eine ambivalente Sache, auf die man sich besser vorbereitet, bevor man den Sieg auch nur anzustreben wagt.

    7. überlegenheit…. ist immer begrenzt zu sehen .jeder bringt andere voraussetzungen und ist weder ein besserer oder schlechterer mensch…überlegenheit ist auch ein antrieb für den unterlegenen und deshalb auch für diesen durchaus fruchtbar…aber ich glaube zu verstehen,was sie meinen…sie meinen überheblichkeit gepaart mit überlegenheit…das ist ein unangenehmes gefühl und kennzeichnet einen kämpfer ohne innere auseinandersetzung(allerdings um auf den grund dieser aussage zurückzukommen,sehe ich den dort nicht gegeben).
      ganz im gegenteil,sich uneingeschränkt freuen zu können ist herzenssache, pure emotion und kann eigentlich nicht demütigen,wenn man nicht etwas kopflastiges hineingestaltet…mir fällt dazu “musashi” ein,eine interessante auseinandersetzung mit dem weg eines kämpfers zum meister.

    8. Daran liegts wohl. Bei mir ist alles kopflastig (Imbalance: Geist andauernd unterfordert, Seele überfordert, Körper unsichtbar verkrüppelt), ich weiss es zwar, kann es aber nicht ändern, und weiss auch, wie viele es sonst noch gibt, denen es so ergeht – manche von ihnen siegen dann ohne Bewusstsein, und das ist schon destruktiv.

      (Heheee, das ist jetzt schon fast wieder lustig: ich werde zeitlebens einen Sieg vorbereiten und kurz vor dem Erreichen des Siegs ableben 🙂 ).

    9. nein,la tortuga das ist schade,denn sie sollten sich es wert sein zu siegen,in dem bereich ,der ihre stärke ist…ich kann ihnen wirklich nur noch mal musashi ans herz legen,ein buch , das den weg und die mühe zeigt,dennoch klare regeln hat und sehr viel philosophisches zu diesem thema bietet…

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