Arbeitsjournal. Montag, der 17. Juli 2006.

6.31 Uhr:
[Berlin, Kinderwohnung Küchentisch.]
Seit gestern geht mir ein Vers nicht aus dem Kopf, der mir einfiel, für den ich aber nichts finde, das ihn fortsetzt:Drei Engel saßen beisammen
Der eine war voll Blut
(…)
Und dieses noch: >>>> „Menschen erzählen Geschichten über das, was ihnen geschieht. Es ist ihre Notwendigkeit, aus ihren Geschichten etwas zu gestalten. Sie nehmen, was von Außen schicksalhaft über sie kommt, in sich hinein, formen es um und objektivieren es so als etwas Eigenes: daran haben sie nun einen anderen Anteil als nur den, passives Objekt eines Geschehens zu sein.“ Eine weitere Antwort, >>>> die ich zu geben vergaß. Die mir nicht einfiel. Ich hab davon, glaub ich, sogar geträumt.

(Bin etwas aufgelöst, weiß nicht genau, was arbeiten; denn um ARGO IV auszudrucken, muß ich zum einen warten, bis Katanga aufwacht – in seinem Zimmer steht für die Zeit meines Bamberger Aufenthaltes der Drucker aus der Arbeitswohnung -, und zum anderen muß ich erst Papier kaufen. Noch haben aber die Geschäfte geschlossen.)

7.23 Uhr:



Mir geht unser Gespräch von gestern abend um und um. Deine Haltung hat in ihrer sensiblen moralischen Innigkeit etwas Pietistisches, dem man sich, glaube ich, stellen muß. Danke. A.
Und in den Tagebüchern >>>> Brigitte Reimanns geblättert, hineingelesen. Sie gefallen mir ausnehmend. Katanga hat sie mir vor über einem Jahr geschenkt, ohne daß ich das Buch bislang auch nur irgendwie gewürdigt hätte. Was vielleicht an Reich-Ranickis auf der U4 zitierten Begeisterung liegt. Wenn Leute, die ich nicht mag, sich für etwas einsetzen, tendier ich innerlich dazu, es abzulehnen. Was ungerecht, wohl auch dumm ist, wie ich anhand dieser Tagebücher deutlich konstatieren muß.

10.05 Uhr:
ARGO IV ausgedruckt, während des Druckvorgangs immer wieder in einzelne Sätze hineingelesen, befriedigt, nickend: Solch ein inneres Jubeln plötzlich!Es ist, als hätte ich etwas heimgeholt, das bislang nur als I d e e existierte – jederzeit in der Gefahr, sich wieder im kybernetischen Raum aufzulösen und mir zu entgleiten. Der Druckvorgang eines Typoskriptes hat etwas von Angeln in einem ungewissen riesigen See: man holt den Hecht endlich e i n.

10.30 Uhr:
Der Jubel hört gar nicht mehr auf! Soeben erreicht mich ein Anruf des Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg: Man habe eine K a r t e für mich:: für die Generalprobe der GÖTTERDÄMMERUNG der diesjährigen Bayreuther Festspiele. Das ist überhaupt nicht zu fassen!!!!!! (Regie Tankred Dorst/Dirigat Christian Thielemann). Leute, ich sag Euch!

[Es ist selbstverständlich und ein Gebot guten Stils, daß ich von meinen Eindrücken der Neuinszenierung werde öffentlich nichts verlauten lassen; nicht, bevor die eigentliche Premiere gewesen sein wird.]

12.25 Uhr:
[Berlin Arbeitswohnung.]


Wieder einmal im eigenen Reich. ARGO IV abheften, Musik hören, vielleicht eine Stunde schlafen. Und dazu dauernd das Engelsgedicht, das überhaupt nicht weiß, worauf es hinauswill.

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Montag, der 17. Juli 2006.

  1. Brigitte Reimann Brigitte Reimann lernte ich kennen, da war ich 17. Sie las in meiner kleinen Heimatstadt im Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. So was gab es…

    Ihr Haar schwarz, ihre Finger vom unaufhörlichen Rauchen gelb.
    Kenty rauchte sie. Heute heißt die Sorte Karo. Sie schien genauso unsicher, wie ihr jugendlicher Zuhörer, der sich mit ihr allein glaubte, trotz der vielen Leute im Raum. Heute noch, älter geworden, ist er überzeugt, dass sie nur für ihn gelesen hat. Ihr dunkles Flair, ihr Eros sollte ihn für lange Zeit begleiten.
    In sein mitgebrachtes Buch “Ankunft im Alltag” schrieb sie ihren Namen.
    Glühende Augen hatte sie. Und rauchte. Rauchte.

    Von nun an rauchte er. Kenty. Und schrieb in sein Tagebuch: Das also ist die Liebe…

  2. … und ich sage Ihnen: freue mich riesig für Sie, mein Bruder spielt als Bassist seit 9 Jahren im Orchester, so dass ich bereits zweimal in den Genuss einer Karte kam ( u.a.Ring-Götterdämmerung/ Rosalie).Und noch ein Satz zu B. Reimann: so hautrnah und authentisch ist das, es erschaudert mich. Ansonsten: Glückwunsch zum Arbeitsfortschritt- ich muss zugeben, dass ich festhänge in ThetisI zwischen Seite 160 und 180, seit einem viertel Jahr bestimmt, aber ich gebe nicht auf…
    einen “Jubel-Sommer” wünsche ich weiterhin (ob das allerdings auf die Regieeinfälle T. Dorsts zutreffen wird?)!
    Barbara

    1. Liebe Barbara, es empfiehlt sich. THETIS ohne größere Unterbrechungen zu lesen, also im Fluß. Sonst fällt man aus den Zusammenhängen heraus und findet keinen Einstieg mehr, der zu baden erlaubt. (Ich hatte einst ähnliche – mittlerweile überwundene – Erfahrungen mit dem Ulysses, auch mit – leider unüberwunden – Calasso, bei dem ich ebenfalls keine Furt mehr gefunden habe. Aber das Buch liegt auf meinem Bamberger Arbeitsplatz, ich nahm es eigens mit, und sagt ganz ganz deutlich: “Ich will.”)

  3. Drei Frau’n umringten meines Herzens Pforte
    Und lagerten sich hin,
    Denn Minne thront darin,
    Sie, die Gebieterin ob meinem Leben. –
    Sie sind so schön und aller Tugend Horte,
    Daß sie – die voller Macht
    In meinem Herzen wacht –
    Sich kaum getraut, ihnen das Wort zu geben.
    Und jede scheint vor Weh und Angst zu beben:
    So weiß sich ein Vertriebner kaum zu fassen,
    Den alle Welt verlassen.
    Was nützt der edlen Tugend hehres Kleid?
    Einst, in vergangner Zeit,
    Ist man in Freude noch darob geraten;
    Jetzt weckt es Haß und Kälte weit und breit.
    So ganz vereinsamt nahten
    Sie denn wie eines Freundes Haus – zu schauen,
    Die drinnen wohnte, unsere hehre Frauen.
    Beredt erzählt die eine ihre Qualen,
    Stützt auf die Hand sich leicht.
    Geknickter Rose gleicht
    Sie, und der nackte Arm – darauf sie ruhe –
    Fühlt aus den Augen gehn der Tränen Strahlen;
    Die andre Hand hehlt das
    Gesicht, von Zähren naß;
    Der Leib nur zeigt das Weib – kein Gurt, noch Schuhe.
    Minne schaut auf des Mantels Riß, als tue
    Sie einen Blick auf das, was wir verschweigen.
    Wohl will sie Mitleid zeigen,
    Doch schelmisch fragt sie nach des Schmerzes Grund.
    “So eng eint uns der Bund,”
    Hat sie, die tief erseufzte, drauf gesprochen,
    “Daß mich Natur herschickt aus weitem Rund.
    Ich, ganz von Gram gebrochen,
    Bin deiner Mutter Schwester, R e c h t l i c h k e i t ,
    Und arm, du siehst’s an meinem Gurt und Kleid.”
    Nun also sie bekannt hat, wer sie wäre,
    Hat Schmerz und Scham genagt
    In Minne, und sie fragt’,
    Wer die zwei andern sei’n, die mit ihr waren.
    Sie aber (immer noch rann ihr die Zähre),
    Je mehr in Schmerz entbrannt,
    Als jene sie verstand,
    Sprach: “Willst du meinen Augen dies nicht sparen?”
    Dann fuhr sie fort: “Wie du wohl schon erfahren,
    Entspringt der Nil als kleiner Fluß der Quelle
    Dort, wo die Sonnenhelle
    Der Erde raubt das Laub der Weide gar.
    An diesem Wasser klar
    Bin ich des Mägdleins hier bei mir genesen,
    Das still sich trocknet mit dem blonden Haar.
    Und als dies holde Wesen
    Einst seinen Blick im klaren Quell verloren,
    Hat jene sie, die ferner steht, geboren.”
    Die Seufzer hemmten Minne eine Weile;
    Das Aug’ in Tränenflor,
    Das schelmisch noch zuvor,
    Grüßt sie die Schwestern, die so gramvoll schienen,
    Und langte dann zu dem und jenem Pfeile:
    “Seht,” sprach sie, “blickt empor!
    Die Waffen, die ich kor,
    Frißt Rost! Ich kann mich ihrer nicht bedienen.
    Großmut und Maß und was noch sonst von ihnen
    Aus unsrem Blut stammt, muß nun betteln gehen;
    Recht schlimm ist solch Geschehen!
    Doch mache es der M e n s c h mit Aug’ und Mund,
    Den’s trifft, wehklagend kund,
    Muß solchem Himmelsstrahl er unterstehen:
    W i r nicht, entstammt des Himmels ew’gem Grund!
    Wenn wir verfolgt uns sehen –
    Wir siegen doch und finden in den Reihen
    Noch Menschen, die dem Pfeile Glanz verleihen.”
    Ich lauschte selig diesem Himmelsklange
    Voll Klage und Vertrauen
    Der hehren, flücht’gen Frauen:
    Bin froh des Banns, der über mich gekommen.
    Wenn nach des Schicksals Urteil oder Zwange
    Es kommt, daß schwarz auf Erden
    Die weißen Blüten werden –
    Ruhm trägt es dennoch, fällt man mit den Frommen.
    Und wär’ mir nicht das schöne Ziel genommen
    (Weil es die Ferne meinem Aug’ entrückte),
    Das mich zur Glut entzückte,
    So schiene leicht mir, was anjetzo Last;
    Doch hat dies Feuer fast
    Mir schon das Fleisch verzehrt mit samt den Knochen,
    Des Todes Schlüssel fänd’ im Herzen Rast!
    Denn was ich auch verbrochen:
    Es ist erloschen, – mancher Mond erneut,
    Wenn Schuld erstirbt, dafern der Mensch bereut.
    Mein Lied, nie soll man dein Gewand berühren,
    Zu schaun, was keine Schöne offen trüge: –
    Was sichtbar ist, genüge!
    Du mußt dem Volk die süße Frucht versagen,
    Nach der sie alle fragen!
    Doch sollte einer, der in jedem Stücke
    Der Tugend treu, danach Verlangen tragen –
    Mit neuen Farben schmücke
    Dich dann und zeig’ dich, daß er danach trachte,
    Sein liebend Herz nach dieser Blüte schmachte.

    DANTE, die übersetzung ist nicht so doll, ich weiß…

    [edit: sie ist sogar furchtbar… fast wäre ich versucht…]

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