Blut (2). Wolpertinger oder Das Blau. Fünfter Septor, Kapitel 2, Hieros gamos, S. 691 bis 692 (*).

Derweil hatten Claudia und Deters ihre Venuszahlprobleme noch immer nicht auf die Reihe gekriegt. Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart gingen dem Lauscher, aber sonst nichts ab. Und Ewigkeit wie Einheit hatte er noch niemals verkörpert, und nur, weil er das wußte, leistete Claudia ihrem Exmann pikante Zuarbeit, denn der durfte dann ernten, am Abend. Sie ackerte zwar heldinnenhaft, schaffte den Husarenbürzel trotzdem nicht in die Exerzizie. Deters lag da wie ein seekranker Kadett, die Augen geschlossen, und ließ herummachen an sich. Wenn er nämlich aufsah, sah er Anna, und um sich nicht zu versprechen, hielt er sogar die Lippen geschlossen, knöterte bisweilen Oh und Ah durch die Nase. Währenddem fiel Sonnenlicht in hellen Streifen auf den graumelierten Teppichboden und Flokati in Lisa Wittingers Wohnzimmer. Es sah dieses viel zu sehr nach Ikea aus, als daß Hans Deters in erotische Affekte sich hätte einfinden können. Dabei war Claudia reizvoll gebaut: Die Brüste standen fest und mit vielleicht etwas zu großen, runden, geradezu fordernden Warzen vom Körper. Die Taille schnürte die Seiten eng, und die Bauchdecke rundete sanft gegens Schambein. Die rasierten Oberschenkelseiten begrenzten des spitze Dreieck, das Deters sollte zum Stern ergänzen, aber eben nicht tat. Claudia nahm sich zusammen, ihm nicht durch Präsentation ihrer Enttäuschung noch die letzte Mannbarkeitschance zu nehmen, und auch er schwieg, um von ihr nicht hören zu müssen, was er schon wußte. Ihre rechte Hand spielte am Hodenansatz zwischen seinen Beinen, ihr Kopf lag auf seiner Brust; sie schaute gegen das leicht seitlich gerutschte, bogenförmige Glied, die rosa Eichel, die ein wenig Flüssigkeit verlor.
“Macht ja nix”, sagte sie.
Er schwieg.
“Es macht mir wirklich nichts aus”, sagte sie. “Ich kann das verstehen, du.”
Er schwieg.
“Da mußt du dir keine Vorwürfe machen. Sex is’ nicht alles.” Da er wieder nicht antwortete: “Du sollst dir keine Vorwürfe machen!”
“Scheiße”, sagte Hans Deters.
“Macht mir wirklich nix aus. Besser, ‘n Mann zeigt mal ‘ne Schwäche, als daß er…” Sie seufzte. “Er hat das nie gekonnt, weißte? Deshalb ging’s auch so schief.”
“Dein Mann?”
“Immer ‘n großen Macker gespielt.” Sie erhob sich, strich sich flüchtig durch die schwellendheißen Schamlippen. Sie mochte es sich vor seinen Augen aber nicht tun. “Jetzt bist ja du da.”
Auch der Lauscher richtete sich auf, etwas lax, fuhr ihr mit dem gekrümmten rechten Zeigefinger den Wirbelgrat entlang, bis zum Ansatz der kräftigen, weiblichen Hinterbacken, in die Falte zwischen ihnen.
Sie streckte den Rücken, drückte den linken Arm nach hinten, umfaßte Deters’ Hüfte, drückte zu, kniff hinein, warf sich herum, preßte ihre Lippen auf seine. “Komm jetzt”, sagte sie. “Komm schon, mach zu, mach zu!” Ihre Hand umschloß so heftig und nachhaltig seinen Schwanz, pumpte gewissermaßen nach Blut, und ihre Zunge bohrte sich derart hart, wie schlürfend, zwischen seine Lippen, daß er Anna endlich vergaß. Als er – nun indes aus Überraschung und Angst – geschlechtsschlapp blieb und die Beine ausstreckte noch, gab sie, tierhaft aufgespannt, ihm eine über den Unterkiefer krachende Maulschelle. Der Schall riß am Trommelfell, jagte spitz über Hammer und Amboß und ließ das Fenster bersten, durch das nun Flüssigkeit von der Schnecke ins Labyrinth spritzte. Schmerz und Hitze sprühten durch Nebenhöhlen und Wange. “Verdammt! Mach es mir! Jetzt, los!” Claudia beugte sich vor, ihre Zähne packten in seinen Halsansatz. Ihre Fingernägel krallten sich in seinen Rücken, rissen Striemen hinein. “Mach! Mach!” Er versuchte freizukommen, aber ihre Lippen, ihre Zähne, ihre Zunge waren überall, ihre Hände packten ihn, umklammerten ihn wie Eisenbänder. “Fick mich, verdammt! Was meinste, wozu ich dich hergeholt hab’?! Zum Philosophieren?!” Um nicht zu heulen, schrie sie. “Hör endlich auf zu denken!” Ein weiteres Mal schlug sie ihn, und ein drittes, mitten ins Gesicht, verkrallte die Finger, holte weit mit den Armen aus und donnerte die Doppelfaust nieder, ihm auf den Brustknorpel. Ihm blieb die Luft weg. Er stöhnte, preßte. “Du sollst mich endlich… endlich…” – Hans Deters mußte reagieren. Er schnellte vor, ergriff ihre Hände, ihre Zunge tänzelte aus dem aufgerissenen Mund im brodelnden Atem. Sie versuchte, ihn mit den Augen aufzuspießen. Da warf er sie mit Kraft von sich, holte aus, schlug sie seinerseits. Sie war nicht für einen Moment erstaunt, sondern wehrte sich sofort. Er wollte aus dem Zimmer rennen, aber sie sprang ihm in die Fesseln, schlug ihre Zähne in seine Waden, riß ihn nieder, er wälzte sich herum, holte aus, Blut spitzte ihr in die Nase, aber sie lachte, lachte und erwiderte den Schlag. Er kam nicht von ihr weg, sie umschlang ihn, biß ihm in den Gliedschaft, seitlich, kniff seine Arschbacken, bohrte ihm einen Finger in den Anus, drückte einen Daumen in seine Augenhöhle, so daß er seinen Kopf weit zurückpressen und ihr seinen Adamsapfel ausliefern mußte. Was sie nutzte. Beide brüllten so sehr, daß auf der Straße vor dem Haus Leute stehenblieben.
“Der bringt die doch um!”
“Ach was, sie ihn!”
“Sowas am hellichten Tag!”
“Schaffen Sie die Kinder weg! Das müssen die doch nicht hören!”
“Unverschämtheit sowas, nich’ mal die Fenster zugemacht..!”
“Das hätt’s früher nicht gegeben… – Spießrutenlaufen hätt’ man die lassen.”
“Nackicht sind se ja wohl schon!” lachte einer.
“Scheißpack unmoralisches!”
“Ach komm’ Se, is’ doch menschlich…”
“Das?! Das soll menschlich sein?! – Schweinerei!”
“Jetz’ hat er se gekillt!”
Aber Hans Deters war nur in Claudia Deutsch hineingedrungen. Er hatte sie vor sich hingeschmissen und sich draufgeworfen. Indes er ihre Handwurzeln umklammerte und in den Teppichboden preßte, streckte er den Leib und grätschte ihre Beine. Sie strampelte, er holte aus mit der Rechten, schlug zu. Eine halbe Sekunde war sie besinnungslos. Das war der Moment, den er nutzte für den entscheidenden Stoß. Sie kreißte, als würde sie gebären, bäumte sich, ihm zugleich entgegen wie fort in sich selbst, mit ausgestülpter Innenhaut, feucht und brennend und blutig. Noch einmal schrie sie, bis ihr die Kehle schmerzte, so weh tat es und war so voller Lust. Und auch Hans Deters brüllte, drückte seinen Mund auf ihren, schmeckte von ihren und seinen Tränen, ihrem und seinem Blut, von Schweiß, Salz, Haut, Haaren. Sein Unterleib beschlug ihren Venusberg, er durchstach, durchbohrte sie, riß die Schleimhäute auf, pochte, klopfte gegen die Clitoris, die schwoll, sich fast erschreckend dehnte, länglich, auberginen, ein gläserner, harter Amethyst. Als würde man aufgepustet wie ein Frosch. Claudia glaubte nicht, nein sie spürte, nein erfuhr, nein empfand, nein: tatsächlich platzte ihr Kitzler, verspritzte sich, detonierte. Krampfhaft kontraktrierte die Ringmuskulatur. Auf der Stirn des Lauschers schwoll eine Ader. Er kniff die Augen zusammen, Funken, grün, rot. Leuchtendes Violett. Dann schoß er. Verschoß sich. Sperma blähte den Harngang, riß die Mündung auf. Quer durch den Ozean glühenden Gases bewegten sich Myriaden heller Blasen; sie glänzten in einem perligen Licht, das innerhalb weniger Sekunden aufleuchtete und wieder verblaßte. Sie alle wanderten in die gleiche Richtung – wie stromaufwärts schwimmende Lachse. Manchmal schlängelten sie sich hin und her, so daß ihre Bahnen verflochten; aber nie berührten sie einander.
Claudia Deutsch und Hans Deters lagen ineinander verschränkt und weinten. Allmählich brannte die verwundete Haut, es pulsten die kleinen Narben, und das Nasenblut schmeckte unangenehm süß auf den Lippen.
“Geh”, sagte sie und drückte den Männerleib von sich. Er rollte völlig kraftlos zur Seite. “Geh und laß dich nie wieder sehen.”
Er wischte sich mit dem Handballen über die Augen, schluchzte.
“Mein Gott, tut das weh.” Sie richtete sich auf, erhob sich ganz, spürte jedes Knörpelchen schmerzen, schloß die Wohnzimmerfenster. Dann erst bemerkte sie die Blutflecken. “Um Gotteswillen… wenn das Lisa sieht!”
“Wart’, ich helf dir.”
“Nee danke, nee, wirklich… Hau ab, Mann! Hau ab. Ich kann dich nich’ mehr sehn!”
“Du brauchst ein Pflaster auf der Augenbraue…”
“Verpiß dich, Macho!”
Er ramschte seine Kleidung zusammen, schlüpfte in die Unterhose, das Hemd, die Jeans. Claudia lief derweil in die Küche, kam mit Wassereimerchen, Schwämmchen und einer Küchenpapierrolle zurück. Dann fing sie am Boden herumzureiben an. Das war deshalb so sinnlos, weil ihr das Blut in kleinen, doch zähen Tropfen neu und neu aus der aufgeschlagenen Brauenwulst tropfte.
“Mensch, du brauchst was auf’m Auge!”
“Zieh Leine, du Schwein! Laß mich endlich allein, du widerlicher Typ!” Samen trat ihr aus der Vulva.
Als die Tür zuschlug, blieb die junge Frau noch fünf Minuten gefaßt, dann ließ sie sich, so wie sie war, blutend, schwitzend, tropfend, auf Lisa Wittingers Teppichboden fallen, zog die Beine an, schluchzte und schlief vor Demütigung, Lust und Trauer gänzlich erfüllt im Sonnenlicht ein.

[*) Seitenzahlen nach der dtv-Ausgabe angegeben.]

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .