Arbeitsjournal. Donnerstag, den 21. September 2006.

8.15 Uhr:
[ICE Sprinter Frankfurtmain-Berlin.]
Guten Morgen, Leser. Bin um kurz nach drei bei den Freunden ins Bett (mußte n i c h t auf dem Boden schlafen, das hätten Böhmers niemals zugelassen) und um kurz nach fünf auf, sehr verwirrt, weil ich den Lichtschalter nicht fand, mir den Kopf an Unvermutetem stieß und mein Mobilchen weiter und weiter vor sich hinalarmte (was ja bedeutet zu den Waffen rief, ‚Alarm’ kommt von ‚al arma!’). In die Morgennacht dann hinaus, wie bekifft, am Staedel wieder, nur aus der Gegenrichtung, vorbei, übern Glitzermain (ich hatte plötzlich genau den Blick auf den Fluß von 1981, als ich erstmals daranstand und damals dieses Gedicht schrieb – eines der wenigen, das ich von früher bewahre:
Biß in der drei
Riesenphalli Geld-Stadt
Argent-Inien mit
geöffneten Pflastermündern
deren Lippen U-Bahnschächte sind
aus manchen, Zeitwunder!, spielt’s
die Chaconne’ luftge-
webt‘/ – noch
: Besinge glänz der Träume Stahl
am ruhigen Uferschwarz
des Mainglitzers Wasser
) und schnell noch die Reservierung für den Sprinter gekauft, in dem ich dann bis eben wieder einschlief, blinzelte, und die Sonne prallte mir ins Gesicht, so daß ich dachte – (j e t z t denke ich: was ein Satz!!!) – : „Ich fahre ins Licht.“
Habe diesen >>>>> großen Dichter ja lange nicht gesehen, irgendwie, kann man sagen, ruhte die langjährige Freundschaft, vieles, so vieles ist geschehen unterdessen, für ein bißchen Skepsis sorgte auch das verbotene Buch, das weder Böhmer noch seine Frau recht mögen, nicht aus literarischen, sondern aus persönlichen Gründen – egal, jetzt jedenfalls saßen wir Männer, der große alte und ich, der ziemlich gereifte, beisammen und noch immer weiter, nachdem die anderen Gäste gegangen waren. Vorsichtig deutete ich an, daß ich neuerdings Gedichte schreibe, Böhmer nahm das mit Skepsis auf, irgendwann kam die Bemerkung „Bamberger Elegien, ja, ich weiß, Klaus hat das erzählt“ – ‚Klaus’ meint den Verleger von Schöffling & Co. -, „ach“, replizier ich, „der liest Die Dschungel?“, „Manchmal“, „Ich versuch mich an klassischen Formen“, sag ich, „Jaja, wie Durs Grünbein“, kam ein wenig abschätzig herüber, „sagt Klaus, der macht ja auch nur noch auf klassische Formen“. Nu’ war ich angepiekst. „Ulkiger Vergleich“, sag ich, weil ein solcher auch schon anderswoher einmal kam, „Durs wagt sich jedenfalls nicht an Öffnung, nicht an radikales Ehrlichsein“, „Ich sag ja auch nur, was Klaus sagt“. Jedenfalls ist da wohl manch Spöttisches gegen mich mal wieder im Umlauf, aber Böhmer und ich sind Freunde genug, das miteinander schnell ins Lot zu bringen. Ich hätte ihm einfach auch etwas vorlesen können, aber es war s e i n Geburtstag, nicht meiner, ich wollte nicht m e i n e Arbeit vordrängen, außerdem war es ohnedies zu spät nachts, obendrein hab ich RespektsAngst vor Böhmers Urteil. Klaus Schöffling hingegen schert mich nicht, der schwimmt so im Betrieb und macht, was sich verkauft – allerdings ist, daß er auch Böhmer verlegt, eine große Leistung und großer Mut und ihm dafür einiges abzubitten. Hintergangen hat er mich dennoch, als er, ohne mich zu informieren einige Partien >>>> meines New-York-Romans in den Ramsch gab und, als ich davon erfuhr und ihn drauf ansprach, bestritt, dies sei eine Vertragsverletzung gewesen, sondern glaubte, mich mit Fadenscheinigem täuschen zu können. Tatsächlich hält er ja eine Restauflage weiterhin lieferbar, aber wer kauft zum Ladenpreis, wenn er bei, sagen wir, Weltbild, das gleiche Buch für einsfuffzich bekommt? Hinter diesem verlegerischen Verhalten steht der Gedanke: Wenn der Herbst d o c h noch groß herauskommt, dann hab ich für d i e s e s Buch die Rechte in petto und kann partizipieren, ohne daß ich bis dahin auf Lagerkosten sitze. Und Schöffling will seine >>>> Reisereihe kompletthalten. Zugleich setzt er auf den für einen Dichter wichtigen Wunsch, seine Bücher mögen lieferbar bleiben. Weshalb dieser Dichter dann die Rechte am New-York-Buch nicht kündigt (was er nach einem solchen Vorgehen des Verlegers könnte), sondern den kleinen Betrug einfach schluckt. Sich aber dennoch für dumm verkauft fühlt und dem Mann das nachträgt: nicht weil verramscht worden ist, sondern weil des Dichters Intelligenz gedemütigt wurde.10.49 Uhr:
[Berlin Kinderwohnung.]
Immer noch leicht das Gefühl, bekifft zu sein. Aber die Sonne scheint scheint scheint, insofern ist wiederum alles ziemlich in Ordnung. Und es kann an die PETTERSSON-Arbeit gehen.

11.52 Uhr:
Nee, PETTERSSON muß bis übermorgen ruhen; ich muß bis morgen abend >>>> Menninghaus’ Schönheitsbuch zuendegelesen haben. Es bleibt also in Der Dschungel heute eher ruhig meinerseits, und was S i e angeht, so blicken wir alle auf über 8000 Beiträge zurück, durch die es sich gerade für die vielen Neuleser prima surfen läßt… mit Ärger manchmal, mag sein, mit Freude, mit diesem Jucken im Erwiderungsgen.

21.54 Uhr:
Mit meinem Jungen gewesen, mit meiner Frau gewesen. Die Verabredung mit dem Profi muß ich canceln, derart müde bin ich. Ein letztes Bier jetzt noch, den Menninghaus dazu. Ruth Fühner, die Moderatorin für >>>> morgen abend in Frankfurtmain, rief vor dem Abendessen an, wir besprachen kurz die Veranstaltung. Ich muß einfach schlafen, immer wieder fielen mir heute tags die Augen zu. Aber das Thema ist sehr spannend, Menninghaus hat sich eine Viertelstunde eigener Rede ausbedungen, Fühner will, daß ich meinerseits mindestens die Sechste Elegie lese. Ich blieb vorbehaltlich: es sei mir auch ganz recht, sprächen wir nur; wenn’s sich ergäbe, wär’s fein, sagte ich, falls nicht, m ü s s e ich mich nicht produzieren. Vielleicht scheue ich aber auch nur einen weiteren Grünbein-Vergleich. Weiß nicht. Gute Nacht, Leser.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .