Arbeitsjournal. Freitag, der 13. Oktober 2006.

5.19 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Um halb zwei ins Bett, um fünf Uhr auf. Im Kopf sofort mit mehrerlei beschäftigt. Wegen >>>> dieser (11.33 Uhr) >>>> beiden Beiträge erreichte mich gestern noch der überaus offene, teils erschütternde Brief einer Leserin, auf den ich eine Antwort zu schreiben unternahm, der jetzt noch als Entwurf hierliegt. Die Materie ist viel zu heikel, um da einfach etwas herunterzutippen; im persönlichen Gespräch ist da alles zu vermeiden, was als provozierend ankommen könnte, weil es ja darum geht zu verstehen, privat, zwischen zwei konkreten Menschen – nicht gegenüber dem Allgemeinen, wo Provokation bisweilen heilsam sein kann: schon, weil allgemein gesprochen wird; d.h. Allgemeines wird a l s allgemein befaßt, und die Provokation kann dann den allgemeinen Cluster auflösen. Im Zweiergespräch ist diese Art von Auflösung unnötig, ja kontraproduktiv, da es individuell nicht um allgemein gewordene Moralklischees, sondern um bestimmtes persönliches Leid geht. S i e gerade wirken da n i c h t oder sind nur ein Vorschub, hinter dem sich der Einzelne versteckt (oder gerade n i c h t versteckt). Im Allgemeinen hingegen sind sie verdinglicht und bedürfen deshalb der Äxte, die das Eis zerschlagen.
Dann erreichte mich noch, wegen der zu Recht gerühmten >>>> Franz-Kafka-Ausgabe bei Stroemfeld/Roter Stern ein Offener Brief an den Präsidenten der Deutsche Forschungsgemeinschaft; ich werde den Text nachher in Die Dschungel stellen (dann j e t z t [9.59 Uhr] lege ich von hier aus auch >>>> den Link darauf), nachdem ich mir per Email KD Wolffs, des Verlegers, Einwilligung geholt und auch per Email schon erhalten habe. Ich bitte Sie alle, den Offenen Brief weiterzugeben und die Protestierenden zu unterstützen; die dazu dienliche Email-Adresse werd ich hinzusetzen. Besonders die Kolleginnen/Kollegen bei >>>> litblogs.net möchten hier bitte tätig werden. Nur will ich jetzt erst einmal mit der achten Elegie weitermachen.
Mein Junge schläft noch, unser Herz schlägt bei der Frau. Draußen ist’s nachtschwarz, durch die geöffnete Terrassentür weht eine Kühle herein, die auf den Oberschenkeln beißt; das Wasser rauscht am Wehr. Guten Morgen, Leser.6.30 Uhr:
Sehr eigenartig. Immer wieder hör ich’s, immer wieder vergeß ich’s; jetzt will ich es notieren: Frühmorgens, wenn ich, ohne Musik zu hören, bei geöffneter Tür arbeite, tönt bisweilen von Ferne durch den erwachenden und stets sehr nervösen Entenlärm eine klingende Signalfolge zu mir herein, von der ich meine, daß sie an jene der Yamanote-sen (der rings um Inner-Tokyo führenden S-Bahn) nicht nur erinnert, sondern sie i s t. Ich habe keine Ahnung, woher sie tatsächlich rührt, aber es hat etwas von einem, ja, guten Albtraum, hat etwas wärmend-Psychotisches, vertraut Psychotisches, wie von einem Zuhause, in das man möchte, aber man sollte es besser nicht tun: zurückkehren. Eigentlich müßte auch diese Empfindung in die Bamberger Elegien hinein. In deren Achtem Labyrinth ich mich gerade so abstrakt verrenne, daß ich alarmiert, doch ohne schon fündig geworden zu sein, nach konkret-sinnlichen Gegen-Bildern wittre. Vielleicht, daß diese Tonfolge eines davon ist? Aber wie mach ich ‘einfachen’ Gedichtlesern, solchen, die Die Dschungel nicht kennen, die Assoziation dann klar?

8.55 Uhr:
[Weber, Euryanthe.]
Hört man, wie ich jetzt, diese grandiose Euryanthe, dann wird einem immer wieder auf das faszinierendste klar, w i e v i e l Wagner davon übernommen hat: ein gesamtes Klangspektrum hat er aufgenommen und von da aus, teils sogar wörtlich (akkordisch) zitierend, weiterentwickelt und zugleich das Volkstümelnde, in dem interessanterweise an manchen Stellen Bellini durchklingt, eliminiert. Von dem nämlich gibt es bei Wagner fast keine Spur. Auch Ohren sind Organe der Geschichte: Das ist entschieden gegen die Gegner der Neuen Musik einzuwenden. (Ich merkte es übrigens wieder einmal schon gestern spätnachmittags, als ich >>>> Bruno Madernas Satyricon hörte.
Frühstück.

19.35 Uhr:
[Stemhammar, Drittes Violinkonzert.]

Frugale Mahle. Ein Beitrag zur Postmoderne.

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