Arbeitsjournal. Donnerstag, der 16. November 2006.

4.58 Uhr:
[Berlin, Schönhauser. Küchentisch.]
Ich zöge gern – erwachte dort, setzte mich an den Schreibtisch, dort, statt hier – in die Arbeitswohnung, auch wenn’s dort ungeheizt ist. Aber ich habe da keinen Internetanschluß während des Bamberger Jahrs. Da fehlten mir diese schnellen Lexika, deren Zuhandenheit (Heidegger) meinem Denken entsprechen, seinem Tempo, meinem Nicht-Warten-Können usw.; sogar >>>> der Grimm steht unterdessen bereit. Toll ist auch >>>> das. Für mich selber spannend ist diese Vereinigung informativ-amateriellen Wissens mit der zugleich beharrenden sexuellen Körperlichkeit, die mir eignet und sich zunehmend mit konservativen Geschlechterwerten verbindet. Das beobachte ich sehr genau. Wobei diese Geschlechterwerte, darin vielleicht g a r nicht so konservativ, nicht etwa gesellschaftliche Rollenzuschreibungen beinhalten (ich find es nach wie vor eine Katastophe, ja einen schreienden Skandal, daß Frauen nach wie vor schlechter bezahlt sind, daß man sie nach wie vor in bestimmten Berufsgruppen weniger findet – und dort weniger zuläßt als Männer usw.), als vielmehr, daß angenommen werden soll, die schon rein körperlichen Differenzen hätten nicht seelische Auswirkungen und bewirkten nicht ganz andere Haltungen, ja bestimmten nicht ein anderes Sein; es ist die Geschlechteregalisierung, ontologisch, gegen die ich mich stemme. Das hat dann mit seelischen Rollen zu tun; und schon das Wort ‚Rolle’ ist ein Trug (‚Rolle’ meint ja immer ein Gefäß mit, das etwas Eigentliches beinhaltet, nicht etwa dieses Eigentliche selbst i s t). Vereinfacht: Ich kann „Frau“ nicht ohne „Mutter“ denken, und zwar auch dann nicht, wenn sie gar keine Kinder will und bekommt; das physiologische Heim für Kinder ist da und wirkt auch dann, wenn sie fehlen, bzw. auch, wenn sie der einzelnen Frau, als psychischer Verlust, n i c h t fehlen, obwohl sie nicht da sind. Ihr Verhalten wird immer auch ein Verhalten von Müttern sein, dispositionell. Männer wiederum, die ganz gut ohne Kinder vorstellbar sind, haben diese W a h l zum Vater, die sie annehmen müssen; väterliches Verhalten ist eine soziale Entscheidung, die um so genauer spürt, daß ein Mann selber kein Leben geben (freilich aber es mitentzünden) kann. Aber ihm wird, physiologisch, die Erfahrung einer neunmonatigen organischen Symbiose und die einer, sagen wir, sechs- bis zwölfmonatigen psychischen Symbiose über die Fähigkeit, körperlich nähren, aus Eigenem nähren zu können, immer abgehen. Das bestimmt seinerseits sein Verhalten, ebenfalls dispositionell verstanden. In diese Differenzen von Mann und Frau (zu penetrieren und penetriert zu werden, gehört gleichfalls hinzu) greift die auf Äquivalenzformung angelegte kapitalistische Dynamik ein und will sie schleifen; genau da beginnt mein Konservatismus. Wobei ich nicht einmal bezweifle, daß eine solche Schleifung gelingen könnte; technologisch sind Zwitterungen des Menschen vollkommen denkbar; gentechnologisch liegen sie genau auf der Entwicklungslinie. Ich glaube aber, daß sie – anders als es den Anschein hat – nicht reicher machten, sondern daß der Reichtum in der Geschlechterdifferenz liegt, ein erotischer Reichtum insofern, als Eros auch Mythen mitträgt und damit erfühlte Geschichte; in jedem erfüllten Beischlaf wirken sie mit, in jedem Flirt, der Geheimnis braucht, um v o l l zu sein, und überhaupt in jedem Sexualspiel, das den Geschlechterkampf reinszeniert. Ähnlich, wie wenn wir durch einen Wald gehen und späterhin drüber nachsinnen: im Nachsinnen werden Volksgeister lebendig, und der Wald wird anders beseelt, als wenn man ihn als Forstung betrachtet, die einen bestimmten ökonomischen Wert hat. Es hat mich immer wieder beschäftigt und hat mir Pflanzen auf eine ganz andere als pur-botanische Weise nahegebracht, daß es Kulturen gab, deren Menschen sich, bevor sie einen Baum fällten, vorher bei diesem Baum entschuldigten; das Verhalten gegenüber Tieren ist ein Ähnliches; sieht man sie wie die Bäume nämlich beseelt, ist der Weg zum industriellen Schlachthof weiter. Und das Verhalten zu Schuld ändert sich. Man weiß, man tötet, weil man leben will; man w e i ß aber auch, daß man tötet. Und tötet aus bewußter Entscheidung.
Guten Morgen, Leser. Das war mir jetzt eben eine gute Einstimmung in Haltung und darin, Leben zu w o l l e n, und zwar d i e s e s. Ich will die dreizehnte Elegie, die alle Bamberger Elegien abschließt, in genau diese Richtung flößen. (Übrigens habe ich w i e d e r das Empfinden, es müßten die Dichtungen des >>>> Pettersson-Requiems den Bamberger Elegien als Anhang beigegeben werden; es ist derselbe Zusammenhang und ist dieselbe Bewegung, woraus sie entstanden).
Um 4.45 Uhr bin ich auf. Und wach. Ich habe mir die häßliche Jacke des verlodderten Trainingsanzugs, dessen Reißverschluß sich nicht mehr schließen läßt, über den Anzug gezogen und die pinke Kapuze übern Schädel; wieder einmal so, den ersten Kaffee vor mir, fange ich an.

… und bin 9.29 Uhr >>>> fertig: mit der Rohfassung sämtlicher Elegien. Jetzt koch ich mir ein Frühstücksei. Es war eben wie ein Rausch…

11.07 Uhr:
Dann aber gleich wieder >>>> d a s, was s c h o n wehtut. Man hätte ja gern etwas mehr erfahren, auch vielleicht das eine und/oder andre vom Vater gesehen. Aber so bleibt nur zurückzuhauen, will man das Magengeschwür vermeiden.

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