Paul Reichenbachs Samstag, der 18.November 2006. Ah! ça ira, ça ira,…

Im Januar des Jahres 1982 kam ich nach einem missglückten Republikfluchtversuch, ich wollte bei Mikulov, nahe der tschechoslowakischen- österreichischen Grenze, den Drahtzaun durchschneiden und, wie man damals so sagte, „nach dem Westen machen“, ins Zuchthaus Cottbus. Es war meine Frau, die den Plan hatte und die nach meiner geglückten Flucht, so jedenfalls dachte sie, einen Antrag für sich und unseren damals anderthalbjährigem Sohn auf Familienzusammenführung stellen wollte. Doch es sollte anders kommen. Ich war noch gar nicht richtig aus dem Zug als mich die tschech. Grenzpolizei schon am Schlafittchen hatte. Abzustreiten gab es nicht viel, fanden doch die tschech. Milizionäre bei der Leibesvisitation mein Abiturzeugnis u. a. persönliche Unterlagen. Die Quittung für meine, wie ich das heute sehe, dämliche, naive Handlung bemaß sich auf zwei Jahre und 4 vier Monate Gefängnis. Als ich ins Zuchthaus Cottbus kam, es war ein Januar und bitter kalt, hörte ich von montgelas das erste Mal. Er geisterte durch die Zellen als Gerücht. Wegen irgendeiner Aktion über die seltsamerweise die Mitgefangenen nicht sprachen, es ging wohl um den Militärputsch in Polen, war er in Isolationshaft gekommen. Eines Tages, ich trabte auf dem Freihof eine Runde nach der anderen ab, die Sorgen um Frau und Kind musste mir jemand angesehen haben, denn plötzlich ging einer neben mir und raunte mir zu: Wenn Du hier gelandet bist darfst Du den Kopf ganz oben, sehr hoch, tragen. Sei gegrüßt Paul, ich habe von dir schon gehört und fuhr fort, in dem er mir die Hände festdrückte, wenn du Hilfe brauchst, melde dich. Auch in diesen beschissenen Mauern findet sich immer eine Lösung. Auf meinen irritierten Blick antwortete er. Ich bin montgelas, gestern erst von der Iso wieder runtergekommen. Sein Gesicht sah einer frisch gekalkten Zellenwand ähnlich, und wenn es nicht so klischeehaft wäre würde ich hinzusetzen wollen, dass seine Augen wie Kohlen glühten. Auf meine Frage, wie er denn richtig heiße, gab er keine Antwort und erklärte mir die ganze Freistunde lang, dass Graf Montgelas zu Napoleons Zeiten einer der fortschrittlichsten Politiker war, den Bayern je gehabt hatte. Dabei verschluckte er vor Aufregung beim Wort fortschrittlich, wie Honecker die Zischlaute.
Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
Les aristocrates à la lanterne!
Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
Les aristocrates on les pendra!
Sang er plötzlich und schrie mich an: Was ist da falsch Paul, was ist da falsch? Und stippte seinen harten Zeigfinger immer wieder auf meine Brust. Du sitzt hier, fragte ich und wich vor seinem Finger etwas zurück, weil du nach Bayern willst und für den Adel und für die Monarchie bist? Da lachte er schallend auf , ging zu anderen Sträflingen und krähte dabei laut über den staubigen Freihof: Marxist, Paul ! Ich bin Marxist. Einige Gefangene, die es hörten, griffen sich an den Kopf und mancher schüttelte ihn.

3 thoughts on “Paul Reichenbachs Samstag, der 18.November 2006. Ah! ça ira, ça ira,…

  1. illuminati …
    Le despotisme expirera,
    La liberté triomphera,
    Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
    Nous n’avons plus ni nobles, ni prêtres,
    Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
    L’égalité partout régnera.
    L’esclave autrichien le suivra,
    Au diable s’envolera.
    Ah! ça ira, Ah! ça ira,
    Au diable s’envolera.

    Je ne suis pas un Marxiste…

    1. Rimbaud – der erleuchtete Kommunarde. Danke Katanga! Die Frage, Was ist falsch galt dem Aufruf zum “fröhlichen Aufhängen” einer ganzen sozialen Gruppe. Im Januar des kommenden Jahres wird dieses Bekenntnis eines jungen Mannes 25 Jahre alt. Dem Wesen dieses Credos( Marxist, Paul – ich bin Marxist !), nicht der ideologischen Zuschreibung, fühle ich mich immer noch sehr verwandt. Heute brauche ich kein Attribut mehr, das mich erklärt, einordnet und damit unterordnet.

      DÉPART
      Assez vu. La vision s’est rencontrée à tous les airs.
      Assez vu. Rumeurs des villes, le soir, et toujours.
      Assez connu. Les arrêts de la vie. – Ô Rumeurs et Visions !
      Départ dans l’affectation et le bruit neufs!
      (Rimbaud).

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