Arbeitsjournal. Dienstag, der 28. November 2006. Berlin. Bamberg.

5.47 Uhr:[Berlin. Küchentisch.]
Sämtliche Elegien gestern in einem kompletten (Vor-)Lese-Duchgang mit LH und >>>> parallalie zum ersten Mal lektoriert. Ich war ziemlich erstaunt, wie wenig die beiden Männer letztlich zu kritteln hatten; allerdings ist die… nein, geht jetzt nicht, das zuende zu formulieren, weil ich wegen des Bamberger Früh-ICEs meine Sachen zusammenpacken und gleich aufbrechen muß. Es wurde wieder spät gestern nacht, und ich kam erst um halb sechs hoch. Ich hol’s nach, ich hol’s nach. Während der Fahrt aber werd ich THETIS weiter-, vielleicht zuendelesen, um dann gleich mit BUENOS AIRES weiterzumachen. Verzögerung muß aufgeholt werden. Guten Morgen, Leser – und ab.

6.39 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg; Platz opus 111; noch an Gesundbrunnen.]
Müde bin ich s c h o n. Egal. Was also auffiel während des Lektorates (ich las Elegie für Elegie vor; die beiden Freunde unterbrachen und wandten ein, wo es ihnen nötig zu sein schien), war, wie wenig letztlich kritisiert wurde; mal dort eine Wendung, mal hier ein Wort, vielleicht mal eine etwas verquere oder verknäuelte Satzstellung, – und ich, der ich mich über jeden Einwand ärger(t)e, prinzipiell, und die ersten Fassungen verteidige, bis sie wirklich nicht mehr haltbar sind, war hinterher durchaus nicht glücklich; sondern dachte und denke: Aber da muß doch noch so viel verändert werden! Immer wieder das Gefühl, da seien Spuren einer Antiquiertheit, denen zu folgen ist, um das Tier dann zu stellen und zu erlegen. Doch mag es sein, daß d a s, was mir wirklich aufstößt, auch tatsächlich nur von mir selbst zu lösen ist. LH brachte es beim Abschied auf den Punkt: „Schau dir Pound noch mal an, wie er Inseln schafft, wie er mit Absätzen und Hervorhebungen arbeitet, damit sich der Leser nicht im Fluß v e r l i e r t.“ Meinen Überlegungen allerdings, den Hexameter selbst aufzulockern, stehen beide Männer, fühle ich, eher skeptisch gegenüber: „Das s t e h t so, das läuft derart gut!“ sagen sie. Dennoch bleiben die Einwände Zschorschs, auch Lewitscharoffs und Gladinics in einem Recht: Struktur schaffen, wo bislang nur Fluß ist. Allerdings ohne den Fluß zu verraten (aollinisch/dionysisch). Klar bei dem allen ist, daß die Bamberger Elegien sehr bewußt eine Männerposition beziehen; ‚Position’ meint ‚Perspektive’; daß sie sich der Geschlechtsindifferenzierung verweigern; „das werden“, sagt LH, „auch die Proteste werden, die diese Elegien zu gewärtigen haben. Dies und das Pathos.“
Dazu dann, zum Pathos, gestern spät abends eine Diskussion mit U., Dieter B. und dem Profi; gerade die beiden Männer hatten etwas von ungläubigem, auch amüsiertem Entsetzen, als ich den Geschlechtsakt ‚heilig’ nannte; und DB protestierte heftig, weil ich den Begriff „Schöpfung“ als einen solchen nahm, o h n e Gott, o h n e eine dahinterstehende Absicht. Noch heftiger der Protest, daß ich jeden Geschlechtsakt, wirklich jeden, auf eben diese von mir gemeinte Schöpfung b e z i e h e, daß ich mich gegen – so nenn ich’s mit Moravia – Profanierung wehre: „wenn immer man miteinander schläft, und zwar egal, vermittels welcher noch so abseitigen Praktiken, schwingt etwas Heiliges dabei mit, immer etwas, das Schöpfung ist; dessen muß man sich bewußt sein, dessen s o l l man sich bewußt sein: daß gemeint, e i g e n t l i c h gemeint, immer die Entstehung neuen Lebens ist. Das ist das Heilige.“ „Du wirst sektiererisch“, protestierte DB; „jetzt haben wir Jahrhunderte dazu gebraucht, endlich davon loszukommen, Sexualität mit einem Nimbus von Unantastbarkeit zu umgeben, und da kommst d u daher und pustest den ganzen Nebelschwall wieder drum.“ Was mich, denk ich drüber nach heute morgen, tatsächlich stört, ist die Haltung einer ständigen Verfügbarkeit, Zuhandenheit, dieses: es funktional anzusehen und so auch zu behandeln; als wäre es eines, mal eben Butter kaufen zu gehen und mal eben, weil einem danach ist, ein bißchen zu ficken. Das reduziert so; das läßt einen sich selbst zur Maschine machen.
„Weshalb heilig?“ fragte wieder der Profi nach.
„Weil Ich dann aufhört“, antwortete ich.
Und in ganz gleichem Sinn bezog ich dann, aber da war ich schon sehr angetrunken, für die abendländische Kunst eine Position, die analytisch ganz ebenso unhaltbar war; ich verlor auch ständig gegen die anderen Argumente… und dennoch glaubte und glaube ich, daß sie richtig ist: Kunst, auch abendländische, löst das Individuelle auf; Kunst löst sich von ihrem Urheber ab und steht schließlich rein ohne ihn da. Das ist ihr Kollektives. Der Urheber gab – egal, wie ‚genial’ er war – nichts anderes als einen Teil der Gene; aber das Kind ist doch ein ganz eigenes (man muß nur mal sich selber fühlen, a l s Sohn oder Tochter von jemandem, um zu begreifen, wie dünn die ‚Urheberschaft’ letztlich ist). Insgesamt spüre ich deutlich, welch eine Art von Religiosität langsam von mir Besitz ergreift, von meinen Gefühlen Besitz nimmt; das hat durchaus etwas von Bekehrung, in den Bamberger Elegien schlägt das ziemlich durch. Aber es ist keine gottgeladene Religiosität, es ist vielmehr eine von Achtung gegenüber einer Schöpfergewalt o h n e (personalisierten) Schöpfer; letztlich atheistisch-heidnisch. Und alles das hängt eng mit meinem Sohn zusammen, mit diesem emphatischen Vater-Sein. Wobei der Profi einen psychologisierenden Einwand geltend machte, der nicht ganz von der Hand zu weisen ist: „Ich habe schon oft gesagt, du definierest dich nur über deine Feinde, immer aus dem Kampf, nie aus Freundschaft und Nähe. Solange du zu kämpfen hast, arbeitest du, schaffst du; tritt aber Ruhe ein, dann kriegst du geradezu etwas Verzweifeltes und weißt überhaupt nicht, was du nun tun sollst. Ich kann mich bei meinem Haus am See einfach hinsetzen und eine Stunde lang einfach nur aufs Wasser schauen. Dir ist das völlig unmöglich, du wirst sofort nervös, springst dauernd auf, willst was tun… Ist dein Gefühl der Heiligkeit des Geschlechtsakts vielleicht grad darin begründet, daß das nur dann für dich aufhört? Du sagt es ja selbst: weil dann kein Ich mehr ist. Also auch kein Kampf. Weil du dann einfach nur auf den See schauen kannst…“ Ich merkte, wie viel an dieser These i s t. Und er ergänzte: „Ich hab dich ja nun nie beim Geschlechtsakt erlebt, aber es gibt noch etwas anderes, worin du dich löst und es laufen läßt: wenn du Musik hörst. D a s allerdings, bei dir, h a b ich erlebt.“ (Und jetzt, im ICE, wo ich dies schreibe, fällt mir ein, daß ich beides – Sexualität und Musik – in den Bamberger Elegien tatsächlich parallelisiert, nein, einander gleichgestellt habe. Und nicht nur da (auch in der >>>> Vergana wird das dort tragische Geschehen mit einer Sinfonie gleichgesetzt, die ihre Coda sucht; und in meinem verbotenen Buch sind Sexualität und Kunstschaffen geradezu eines). In den Elegien aber expressis verbis:

Das ist genug. Man muß die Spermatozoen nicht sehen
und nicht das Ei, das sie ansaugt und eines, die stärkste, auswählt;
aber erinnernd zu achten ist’s und zu wollen, daß wir
daher stammen und nicht aus Geist, der ganz weg ist, sind wir
ganz ineinander und trinken voneinander, als äßen
wir und kauten uns (manche tun’s auch; sie haben nicht Unrecht)
wie es das bleibende Tier macht mit einer Beute, die erst,
wird sie gerissen, aufsteht, aufersteht. Davon, immer
singt Musik, daraus, immer, rührt die Kraft ihr.

18 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]Einiges an THETIS gelesen, aber nicht so viel, wie ich eigentlich wollte. Das Lektorat an den Bamberger Elegien ging mir nach, außerdem friemelte ich an >>>> diesem Gedicht (es ist noch nicht fertig; aber die Spur stimmt). Dann kam eben, als forwarding, ein Verlagsbrief wegen ARGO herein, rückhaltend freundlich, interessiert, aber logischerweise – gerade bei d i e s e m Verlag – skeptisch.

entschuldigen Sie bitte die allzu späte Antwort — Ihre Mail ist etwas im Trubel untergegangen… Ich kenne natürlich das eine oder andere von Herrn Herbst und weiß, wie schwierig es ist, ihn in einem großen Publikumsverlag wie **** zu platzieren. Wobei ich das Urteil von Herrn W. nicht vorwegnehmen möchte.
Jedenfalls habe ich überhaupt nichts gegen ein Gespräch, ganz im Gegenteil würde ich Herrn Herbst gerne mal persönlich kennenlernen. Ich will allerdings auch keine falschen Erwartungen wecken.

Das ist imgrunde schon einmal viel; ich habe ja, um es s o anzudeuten, eine paradoxe Intervention vor; vielleicht läßt sich das sogar mit >>>> Dielmann zusammenkoppeln. Aus Gründen, die ich Ihnen anderwärts schon einmal angedeutet habe, erzähle ich Ihnen hier nichts weiter darüber hinaus, einfach, weil ich mir so denken kann, wer alles n o c h so mitliest und im Zweifelsfall negativ intervenieren könnte. Der Gegner im Betrieb sind es viele. Morgen werd ich den Lektor anrufen. Und dann sofort nach Y. fahren. Dank der Bahncard 100 geht das problemlos. Es wird Überzeugungsarbeit zu leisten sein – und mit Lust – am Wagnis – anzustecken.
Eben mit C., die die NIEDERTRACHT liest, einen ersten Glühwein getrunken. „Du machst es deinen Lesern nicht leicht; du konfrontierst sie mit unangenehmen, existentiellen Situationen, denen sie sich nicht mehr entziehen können. H a b e n sie erst einmal gelesen.“ „Die Erzählungen b l e i b e n, nicht wahr?“ „Sie bleiben, ja. Jedes Bild bleibt. Sie sind sehr dicht. Ich mag das. Aber man sollte das Buch auf keinen Fall vorm Schlafengehen lesen.“

Gleich ist wieder Probleme-jour-fixe mit der Heimleitung; ich selbst bin ganz locker, aber anderen geht hier vieles unterdessen s e h r nicht nur a u f, sondern a n die Nerven. Und sie verlieren ihre Freude am hiesigen Aufenthalt.

18.37 Uhr:
>>>> Dieses, fällt mir gerade auf, genau so schreiben zu können, weil man es nämlich so meint, ist ganz ganz wunderbar. Bei allem Chaos, bei allen Problemen, bei allen Sorgen; völlig egal. Dieses Bewußtsein s t e h t. Und zählt.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 28. November 2006. Berlin. Bamberg.

    1. @ rostschleifer. Das ist wahr. Die Räumlichkeiten sind wundervoll, wenn auch, sowie das Kind da ist, ausgesprochen beengt. Es sind etwa 25 qm Grundfläche. Aber das weiß man ja vorher und es macht einem, zumindest im Sommer, nichts aus. Man braucht allerdings seine eigentliche Wohnung weiter, schon wegen der Bücher, der Schallplatten, CDs usw. Das kriegt man hier nicht unter; es ist aber ja eh ein Aufenthalt für ein Jahr. So bleibt die eigentliche Mietbelastung weiter. Und wenn Sie eben rechnen wollen: Man bekommt 1200 Euro monatlich, von denen 50 Euro als quasi Kaution einbehalten werden, bis man wieder geht. Sò, und den Rest überlasse ich Ihrer algebraischen Lebenshaltungs-Imaginationskraft.

      Aber daß das hier, auch und gerade architektonisch, wunderschön ist, würde nicht einer von uns Stipendiaten je bestreiten. Im Gegenteil, wir sprechen immer wieder darüber. Und ich hab nun sogar >>>> ein Buch geschrieben, daß diese schönen Studios und ihre Sicht zur Grundlage hat. Im übrigen kann es nicht schaden, wenn sich der geneigte Leser vor Augen hält, daß der hiesige Jahresaufenthalt eine Bezahlung für geleistete Arbeit ist und nicht etwa ein Bakschisch.

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