Arbeitsjournal. Freitag, der 22. Dezember 2006.

5.49 Uhr:
[Berlin. Küchentisch.]
Es b l e i b t noch etwas unkonzentriert, mein Arbeitsverhalten. Aber ’s ist auch Weihnachten. Und all das Private dazu. Also korrigierte ich gestern ein paar Seiten ARGO, machte ein paar Notate, nahm am Weihnachsfest in der Schule des Jungen teil usw. Isso halt. Dabei entgleiten mir manchmal die Szenen von ARGO, und ich komm in ihre Intensität nicht rein. Dann korrigier ich, sozusagen, ‚nur’ grammatikalisch. Und versteh drum, was Delf Schmidt meinte, als er neulich davon sprach, ich hätte einen Hang zum Hermetischen. Vieles wird dann wieder eine Sache der Umarbeitung sein, nicht der bloßen Korrektur wie jetzt, wo ich schaue, inwieweit die Konstruktion stimmt, und anmerke, wie ich Fehlerhaftes oder ‚Passiertes’ aufs Gesamte zurechtkalibrieren muß. Der Text hat etwas ausgesprochen Labyrinthisches in seinen Verästelungen: unverfilmbar, das ist wohl sein narratives Hauptkennzeichen. Das wird dort am deutlichsten, wo die ja nicht selten scharf gezeichneten und also voneinander sehr verschiedenen Charactere grammatisch ineinander übergehen. Es gibt eine Szene in dem Roman, da wird der Satz aus der Ich-Perspektive e i n e r Figur begonnen, in der Ich-Perspektive einer zweiten fortgesetzt und schließt in der Ich-Perspektive einer dritten. Es sind also immer andere Ichs, die da sehen; entsprechend verschiebt sich der Blickwinkel jeweils. Ich bin mir nicht ganz sicher, inwieweit und ob überhaupt ich diesen Perspektivenwechseln deutlichere Marker beigeben muß. UF, der ja schon einmal ‚vorgelesen’ hatte und den gesamten Roman in der Rohfassung kennt, hatte damit keine Probleme; aber ich selbst hab sie derzeit. Das mag a u c h eine Frage der mangelnden Distanz sein, ja auch des Überdrusses, der mich zeitweise zu fassen kriegt. Jedenfalls ist mein eigentliches Vorhaben, alle drei ANDERSWELT-Bücher ‚in einem Rutsch’ zu lesen, ziemlich ins Stocken geraten. Wobei ‚in einem Rutsch’ ja eigentlich gar nicht g e h t, wenn ich zugleich korrigiere, immer wieder vor- und zurückschlagen muß usw. Die Bücher, wie ich es wollte, ‚einfach durchzuschmökern’, krieg ich genau darum nicht hin. Das ist auch ein strukturelles Problem: der Autor eines Textes h a t einfach nicht die ‚naive’ Leserhaltung und er kann sie auch gar nicht haben, auf die doch zugleich ein Roman immer abzielen möchte; d i e s e s Moment der Unterhaltung, ein notwendiges, das sich von Entertainment unterscheidet, ist mir leider verwehrt. Ist es übrigens auch mit den Büchern anderer: Es fällt mir auch da schwer einzutauchen. Will ich so etwas, guck ich einen Spielfilm.
Außerdem zieht es mich derzeit vor allem zu den Gedichten. Ihre Entstehung erlaubt eine ganz andere Grundhaltung, schon, weil sie aufgrund ihrer Kürze jederzeit überschaubar sind; man kann ohne weiteres mal zwei Stunden unterbrechen und danach im selben Fluß die Arbeit an ihnen wiederaufnehmen; das ist bei einem Romanunternehmen wie ANDERSWELT völlig anders, da r ä c h t sich jede Unterbrechung. Unterbrechung aber bestimmt jetzt gerade mein Leben, da ich so auf ‚die Familie’ konzentriert bin und die Weihnachtsvorbereitungen hinzukommen und außerdem das Finanzchaos irgendwie ausgehalten und darauf reagiert werden muß. Zudem muß ich auch Launen aushalten und auffangen, – nicht meine eigenen, nein; ich mag ja alles Mögliche sein – und der Vater des Schulkameraden meines Jungen >>>> schneidet mich und übrigens auch seine Mutter auf eine ziemlich grobe Weise w e i t e r -, aber launisch bin ich wirklich nicht und war es auch nie.
(Ich hatte grad einen Einfall: Wenn ich mir angewöhne, jeden Tag ein Gedicht zu schreiben, dann hab ich nach einem Jahr 365; wenn davon dann selbst nur jedes dritte gelungen sein sollte, ergäb das immer noch e i n e n veritablen Gedichtband jährlich…; so sehr unterscheidet sich lyrische Arbeit von der an einem Roman, der immer ingesamt gefährdet ist, wenn man nur e i n e fehlerhafte Seite in der Konstruktion stehen und aus ihr je Weiteres entwickelt hat, egal, ob man ein oder zwei oder sogar mehr Jahre dran gearbeitet hat. Romane, die es auch s i n d, haben insofern etwas Grausames, Unerbittliches. Man steigt auf den Mt. Everest und muß entweder abbrechen und geschlagen zurückkehren, oder der Berg ‚kriegt’ einen und bringt einen um, oder man schafft’s halt und steht schließlich oben; was dann immer noch nicht heißt, daß man auch heil wieder herunterkommt. Selbstverständlich gilt das nur für Romane, die wie ein Gewebe aufgebaut sind; die ‚einfache’ Erzählung, die imgrunde den summierenden Märchenerzähler fortsetzt, sind davon n i c h t betroffen. Es geht vielmehr um den durchkomponierten Roman. Gedichte dagegen sind so oder so Tagesausflüge oder meinethalben zwar Erkundungen unbekannten Terrains, aber abends darf man immer wieder nach Hause zurück. Es gibt nicht die Gefahr der Verirrung. Wobei ‚Verirrung’/‚Verwirrung’ immer eines meiner – oft sogar Titel gewordenen – Themen war und ist. Und nicht etwa – das moralische movens vieler Romanschreiber – Orientierung.)

18.32 Uhr:
Was mir zur Zeit und schon den ganzen Tag riesige Freude bereitet: zu kochen; für heute abend einmal wieder in der ‚Männer’-WG: Grünkohl, der bereits seit morgens auf dem Feuer steht und, muß man sagen, trieft; und dann alles bereits für den Heiligen Abend, Wintersonnwende, Julfest, die Dämonen des Lichts vertreiben die Dämonen des Dunkels, meinethalben aber auch – orientalisch – Geburt des Nazareners, Volksaufwieglers, Heilsversprechers (immerhin hätten wir ohne ihn keine Gralssage, keine Messe h-moll, auch wohl keinen Faust mitsamt dem pfiffigen Mefisto; ich meine, allein dafür ist er’s schon wert, daß man kocht):

  • das kräftige Stück Hirschfilet in einer Beize aus Buttermilch, Tannenzweigen, Wacholderbeeren, Pfefferkörnern, etwas (wenig) Salz, Lorbeerblättern , Petersilie, Zwiebeln und Knoblauch; so mag er ruhen und ‚mürben’ bis übermorgen früh;
  • der Wild-Saucenfonds köchelt ebenfalls seit morgens: Markknochen, ein Tannenzweig, Lorbeer, Wacholder, ein Bouquet garni, Rotwein, Zwiebel, Koblauch, Thymian, etwas Rosmarin, etwas Salz;

(falls jemand meckert, es fehlten Gewürze: manches ist bei Hochschwangeren kontraindiziert: also k e i n e Nelke, auch nicht Piment, Zimt usw; das wird mein Geschmacksverstand ausgleichen können)

  • dann ist jetzt auch der Rotkohl geschnitten und in den vorgedünsteten Zwiebeln aufgesetzt; mit Wacholder und Lorbeer abermals, Zitronensaft dazu und die Spur Salz; der Zuckerrübensirup wird erst später beigegeben…
  • ah, und zwischendurch ist neuer Teig für Heidesand fertiggestellt und härtet, eingerollt in Alufolie, fürs Backen auf dem Balkon in der Kälte.

(Nicht die Spur eines schlechten Gewissens, daß ich nicht arbeite. Es ist wunderschön, für eine F a m i l i e zu kochen. Ah ja, und der Weihnachtsbaum ist auch schon gekauft – ein schneller Schnäppchenzuschlag, der mich nur noch grinsen ließ. Ich tippe dies mit rotkohlroten Händen).

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