Arbeitsjournal. Montag, der 1. Januar 2007.

7.47 Uhr:
[Berlin. Wohnzimmertisch. Rihm, Marsyas-Rhapsody für Trompete und Orchester.]
An sich bin ich immer g e g e n die Silvesterknallerei gewesen; jetzt, mit dem fast siebenjährigen Jungen, wird das ganz anders: wie er sich freut über jeden Bang (in dem, auch in dem kleinsten, scheint mir jetzt, ein Big sich miterinnert)! So wurde es drei Uhr morgens, erst in der Klinik, wo wir für jedes Familienmitglied eine Rakete aufsteigen ließen, also fünf: wir sind d a, hieß das, und, an die schwarzen Dämonen gewandt: bleibt uns vom Leib… so lachte der Junge… danach – die leicht traurige Mama in der Klinik zurücklassend und erst halb durch Mitte, dann auf den Prenzlauer Berg geradelt durch unentwegten ‚Beschuß’ – noch vor der Geliebtenwohnung auf der Straße… ein anderer Vater mit zwei Buben fand sich dazu… überhaupt lag Berlin ganz unter einem S c h i r m aus pyrographischen Zeichen, pyrographischem Zeichnen… und der Prenzlauer Berg knallte und toste vor besonderer Lebendigkeit. Die vornehmlich jugendlichen Mengen waren wie Wellen, auf denen sich hie und da kleine Bojen-Pulks aus Polizisten wiegten. „Kuscheln, Papa, kuscheln, Papa“, so schliefen wir ein, Haut an Haut, nachdem ich noch zwei Seiten von Sindbad dem Seefahrer vorgelesen hatte und der riesige Fisch mitsamt den Kaufleuten, die ihn für eine Insel gehalten, in die Tiefe getaucht war wie nun wir in den Traum.

>>>> Ein Wort zu Saddam Hussein. Das ist mir nun d o c h wichtig. Es entspann sich gestern bereits in der Väter-WG eine kleine Diskussion zwischen Katanga, einem guten Freund von ihm und, dazugekommen, mir. Auch in der Klinik wurde es Thema im Gespräch mit der Geliebten. Und geht und geht mir nach. Bushs Äußerung ist deutlich genug, um zu indizieren, daß Rache hier als Motiv wirkt – eines, das ich nachvollziehbar finde, das aber in rechtsstaatlichen Gebilden nichts zu suchen hat, sondern Rechtsstaatlichkeit gerade b e u g t. Wobei außerdem gilt, daß Rache ein persönliches Motiv ist, eines der bewegenden Psychologie: sie k a n n von daher kein Motiv eines Volkes sein, geschweige einer Nation oder gar Nationengemeinschaft. Denn Emotionen hat nur der Einzelne, rein für sic h selbst. Rachegefühl ist wie das Gefühl der Liebe nicht übertragbar auf Mengen und erst recht nicht auf Gesellschaftssysteme. Hält man es anders und t u t so, als wäre es anders, übergibt man sich – hilflos drin strudelnd – den Gesetzen der Massenpsychologie.

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Montag, der 1. Januar 2007.

  1. Volltreffer, Herr Herbst (grins) … Das Wort pyrographisch gibt’s
    noch nicht bei Google.

    Wohl aber Pyrographie –
    Brandmalerei; hier am Himmel.

    Man lärmt nie aus bei
    Ihnen, pardon, lernt. *g*

    Ihnen und Ihrer Familie
    ein gesundes und
    glückliches Jahr!

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