FREIHEIT FÜR DIE LITERATUR. ERSTER TAG. Arbeitjournal. Sonnabend, der 3. Februar 2007. Tutzing.

5.56 Uhr:
[Evangelische Akademie, Schloß, Grüner Salon.
Montevedi, Marienversper über die Laptop-Lautsprecherchen.

Nach Karin Anderts, der Studienleiterin, Einführung in >>>> dieses Symposion und Uwe Wittstocks…
… (ich gehe mit dem Mobilchen ins Netz; deshalb lege ich hier keine Links; googlen Sie bitte bei den Namen selbst)…
… also nach Uwe Wittstocks Eröffnungsvortrag, von dem zu erwarten gewesen ist, auf welch niederem ästhetischen wie denkerischen Niveau er sich bewegt – Wittstock vertritt einen NeoRealismus, der der simplen Poetologie Maxim Billers („ich will die Wahrheit sagen“) völlig entspricht –
… und nach einer teils ausgesprochen engagiert geführten Diskussion zogen wir in die Salons des Schlosses, in dessen einen, dem Grünen, ich heut früh hinabbin, weil man auf den kleinen Zimmern verständlicherweise nicht rauchen darf, hier aber, in dem Kaminzimmer, darf man‘s. Es riecht eh nach verbranntem Holz, was der Nase den starken basischen Eindruck abgestandenen Zigarrenrauchs vemittelt. Bin auch erst um Viertel vor sechs aufgestanden. Natürlich gibt es noch keinen Kaffee, aber ich hab noch einen halben Liter Milch, von dem ich nun immer mal wieder einen Schluck nehme.Es geht letztlich um die Frage, was als höher anzusehen ist: das Recht der Person auf auch psychische und soziale Unversehrtheit oder das Recht des Künstlers darzustellen, was und wie er es darstellen will. Die Schärfe dieser Frage wird von Wittstock permanent mit einer Naivetät über das, was Kunst sei und sein müsse, ausgesprochen zugeschmiert. Das schippte dann derart viel Matsch in die Diskussion, daß mir der Kragen platzte und ich mich rigoros auf die Seite der Klägerinnen stellte. Abgesehen davon gefiel mir die ruhige und – er gebrauchte das Wort „human“ – althumanistische Haltung des Anwaltes der Klägerinnen im Fall ESRA; ein Anwalt alten Schlages, dem schon anzusehen war, daß es ihm n i c h t – wie anderen in solchen Buchverbotsfällen schon notorisch herumsurfenden Juristen – darum ging, sich über neue Umsatzfelder das gute Einkommen zu sichern. Jedenfalls sagte ich: „Die Frage ist: wurde jemand verletzt? Und ist seine Verletzung gegenüber der Kunstfreiheit als niedriger einzuschätzen? Alles andere ist Wischiwaschi.“ Und sprach damit ziemlich contra domo. Doch ging mir die warnend-jammernde Behauptung auf die Nerven, die Buchverbote – auch das meine – läuteten das Ende kultureller Freiheit ein. Da kommt man sich wie ein Kind vor, das geschützt werden muß, und nicht wie ein Erwachsener, der sehr bewußt Grenzen übertritt und übertreten will. Was, finde ich, zur Kunst g e h ö r t. Eine Grenze wäre aber keine, bürge nicht ihre Überschreitung Risiken, die ein Künstler zu tragen hat… ja, ob er bereit ist, sie zu tragen, daran recht eigentlich ermißt sich die Dringlichkeit und Notwendigkeit seiner Arbeit. Er muß sich mit ihr gefährden und gefährden wollen. Sonst hat man nämlich wirklich eine Situation des anything goes; die aber ist wie für ein Kind die antiautoritäre Erziehung: es gibt nichts mehr, woran es sich durch Widerstand formen kann. Tatsächlich würde, denke ich, nicht ihre Einschränkung, sondern absolute Kunstfreiheit die Kunst gefährden und schließlich zum Erlöschen bringen. Künstler in diesem Sinn sind Verbrecher, prinzipiell; gliedert man den Diebstahl liebevoll in die Gesellschaft ein, gibt‘s ihn nicht mehr.
Was mich selbst seinerzeit und lange derart aufgebracht hatte, war auch nicht die Klage des Klägers gegen mein Buch… ich glaubte i m m e r, daß er sich objektiv verletzt fühlte und Angst vor sozialen Folgen hatte… sondern es war die Haltung der Gerichte und vor allem des Literaturbetriebs. D e r hätte seine Rechte eingeschränkt sehen müssen, und die Künstlerkollegen hätten einem beispringen müssen. Des weiteren sah und sehe ich einen Zusammenhang zwischen der zunehmenden wirtschaftlichen Privatisierung und der Stärkung des Privatrechts; h i e r liegt Diskutables, h i e r muß gewarnt werden. Die Buchprozesse der letzte Jahre sind in diesem soziologischen Zusammenhang alarmierend, der eben einer der kapitalistischen Ökonomie ist.
Ich hoffe, daß ich im Lauf der Tagung darauf zu sprechen kommen kann – oder daß sich diese Themenausrichtung von anderwärts begibt; es ist ja wurcht, wer ein stechendes Argument einwirft; nur eingeworfen werden muß es.
So werde ich wahrscheinlich – gemäß meinem poetologischen Arbeitsverfahren – während des Symposions wohl noch mehrfach die Positionen wechseln, bzw. zwischen ihnen hin- und herspringen. Unter den Betroffenen bin ich auch der einzige, der das a l s Betroffener so tun kann. Denn die anderen – Billers Verleger Helge Malchow, der Gegenanwalt usw. – müssen, da der Prozeß noch läuft, selbstverständlich auf ihn ein Auge haben, wenn sie argumentieren. Die Zuschauer wiederum, gerade die vielen Juristen unter ihnen, können weder ermessen (d.h. fühlen), was es einerseits bedeutet, ein Buch verboten bekommen zu haben, das möglicherweise ein entscheidender Teil des Lebenswerkes und also der Künstlerperson ist, und andererseits, von einem solchen Werk bleibend und tief verletzt, vielleicht sogar traumatisiert worden zu sein. Es ist die Persische Fassung, also die Einigung mit dem Kläger und daß sie möglich wurde, was mir auf der Tagung diese ziemlich einzigartige Position verleiht – auch, daß ich weiß, es habe die Revision des Originaltextes dem Roman in keiner Weise geschadet; eher hat sie ihm, im Gegenteil also, noch eine Ebene mehr gegeben und ihn dadurch reicher gemacht. Daß das so funktionierte, liegt freilich an der handwerklichen Beherrschung der Form sowie der Imaginationskraft, deren Instrument sie ist.
Wichtig ist mir der Begriff des Risikos, das ein Künstler einzugehen habe. Insoweit werfe ich jetzt auch frühere eigene Positionen über den Haufen. Sie können sie teils in der Rubrik BUCHVERBOT sowie in den Tagebuchaufzeichnungen der ersten beiden DSCHUNGEL-Jahre ziemlich umstandslos nachlesen. Unterdessen halte ich es für selbstverständlich, daß Ovid verbannt wurde; man k a n n alles sagen – und wenn der künstlerische Impuls groß ist, muß man es auch -, das bedeutet aber gerade n i c h t einen Freifahrtschein. Nur dann nämlich ist gewährleistet, daß der Kunstwille feurig genug ist, um eine Überschreitung, zu der auch Persönlichkeitsrechtsverletzungen zählen, künstlerisch zu rechtfertigen, ja sie notwendig zu machen. Dem künstlerischen Wert der Überschreitung entspricht das Ausmaß der persönlichen Gefährdung des Künstlers. Gleichsam stellt sich nur so ein Ausgleich her; nur dann nämlich ist die vom Künstler jemandem anderes zugefügte Persönlichkeitsrechtsverletzung kunstlegitim, wenn er dafür seine eigene Person einer mindestens ebenso großen Verletzung aussetzt. Unter der für mich geltenden Voraussetzung, daß der Künstler psychisch mit seinem Werk identisch ist, bedeutet ein Buchverbot das Verbot der Person. Abermals Ovid: Verbannung ist der dafür adäquateste Ausdruck.

[Buchverbot.
Poetologie.]

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