Arbeitsjournal. Montag, der 5. März 2007.

4.40 Uhr:
[Berlin, Arbeitswohnung.]
Wollte eigentlich nachher den Früh-ICE nach Bamberg bekommen, doch wegen eines Rechtsproblems, das freilich eigentlich keines mehr ist (wohl aber de jure), kann ich erst einen späteren Zug nehmen. Manches bespricht man stilhalber nicht am Telefon.
Für die Arbeit tut das nichts. Gestern saßen der Profi und ich noch lange in der >>>> Bar und zählten den Ausdruck >>>> der Ersten nach Trochäen ab, die sich noch eingeschlichen haben. Eine Verzeile perfektionierten wir; ich hatte schon tags drüber gebrütet, aber mir war nichts eingefallen. Ganz plötzlich, bei meinem >>>> „El presidente“, löste es sich.
Ich werd jetzt weiter auszählen, dann beide Versionen (eine m i t den rhythmischen Unterstreichungen und eine ohne) ausdrucken und in den Typoskript-Hefter heften. Danach geht‘s gleich an die Zweite Elegie (ZF), also ich mach jetzt erstmal die vier bereits zur ZF überarbeiteten Elegien fertig, schon damit ich für die >>>> Heidelberger Lesung, bei der Kühlmann sich ja die Elegien gewünscht hat, etwas vorzulegen habe, das auch altphlilologischen Kriterien genügt, nicht ‚nur‘ poetischen. Zur Lesung morgen abend schreibe ich später noch einen eigenen Beitrag. >>>> Dielmann muß dringend Bücher schicken. Und es sollten doch auch endlich >>>> die Liebesgedichte vorliegen…
Als ich durch die Nacht radelte, fing mein Kopf an, ein zweites Mariengedicht zu formulieren; die Mutterklage wollte ich fassen, ganz sinnlich, nicht christlich-affirmativ, bekam auch, erinner ich mich, zweidrei Zeilen hin, unterließ es jedoch, sie zu notieren, als ich hierherkam, und hab sie nun vergessen. Wohl ist aber noch die Absicht da, und ich will sie umsetzen. Ebenso hatte ich den Einfall eines Gedichtes übers Nie-einschlafen-wollen von Säuglingen (und Kleinkindern); sie scheinen sich immer so sehr dagegen zu wehren, als befürchteten sie etwas, das über sie kommt und sie dann nie wieder läßt – anders als wir Älteren, die ja wissen, daß zu schlafen etwas Vorübergehendes ist, und die das ersehnen, weil es so heilt. Bei den Kleinen heilt der Tag. Da setz ich mich vielleicht heute auch noch dran, vielleicht später im Zug, je nachdem, wie weit ich mit der Zweiten Elegie komme. Ich werd das mit einer anderen Formidee verbinden: nämlich Sonette zu schreiben, die nicht der Reim zusammenhält, sondern ein definierter Rhythmus. Zum Beispiel:

Hexameter
Pentameter
Pentameter
Hexameter

Hexameter
Pentameter
Pentameter
Hexameter

Hexameter
Pentameter
Hexameter

Pentameter
Hexameter
Pentameter

Das läßt sich logicherweise mit jederlei anderem Grundrhythmus variieren.

Die Prosa ist derzeit weit weit weg. (Alle Romane sind derzeit weit weit weg.)5.56 Uhr:
… und finde, nachdem eben wichtige Briefe geschrieben, in der Mail eine Einladung zu einem Elterngespräch für heute nachmittag. Jetzt muß ich sowieso in Berlin bleiben. D a s wird morgen eine Hetze! Erst nach Bamberg mit dem Zug, dann um 18 Uhr die acht Stunden währende Dolfinger-Lesung bis zwei Uhr nachts, dann am nächsten Morgen gleich wieder mit dem ICE nach Berlin zurück (dann am wiederum daraufflogenden Tag mit dem Zug nach Thüringen zur Lesung auf Burg Ranis, am darauffolgenden Tag abermals nach Berlin zurück, also am Freitag, und am selben Tag mit dem Jungen fürs Wochenende wieder nach Bamberg, damit er noch ein letztes Mal dort sein kann; er liebt das ja so… die Bamberger Zeit geht ja zuende…). Seit über einem Monat komm ich vor lauter Hin und Her zwischen den Städten und Wohnungen nicht mal mehr dazu, Wäsche zu waschen, sondern kaufe dauernd neue Unterhosen und Socken, damit ich was zum Wechseln habe… argh!

21.30 Uhr:

(………………………………………………..) [Auf Anraten meines Anwaltes gestern nacht wieder herausgenommen – und nun, am 6. 3. 2007 um 22.04 Uhr wieder eingestellt:

Das war ein schwieriger, ein s c h w e r e r Tag. Ich bin in Berlin geblieben und habe, was ich noch nie zuvor tat, eine Lesung abgesagt – die Bamberger Langlesung von morgen abend. Aber es ging nicht anders. Ich will Ihnen erklären warum.
Aufgrund der übersehenen Hemmfrist in Sachen MEERE wollte ich, was unsere private, schriftlich einander gegebene Erklärung vorsieht, nun d o c h mit dem Kläger einen Vergleich in dem morgigen Termin. Mein eigentlicher Plan sah anders aus, nämlich das Buch in der Originalform völlig freizubekommen und d a n n, „aus Liebe und freier Entscheidung“, wie ich gegen den Geschmack meines Anwalts formuliert hatte ( „so etwas gehört nicht in einen juristischen Text“) mich auf die Persische Fassung öffentlich verpflichten. Es kommt mir grundsätzlich auf dieses „aus freier Entscheidung“ an, weil ich mich prinzipiell Drohungen nicht beuge, auch keinen gerichtlichen. Ich handle aus Einsicht, nicht, weil man mich zwingt. Ich ginge anders lieber zugrunde: s t o l z.
Nun ist – bzw. w a r – der Gegenanwalt (nicht der Kläger) g e g e n den Vergleich. Es soll – wurde aber dementiert – der Satz gefallen sein: „Jemand wie ANH gehört lebenslang unter das Kuratel der Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit.“* Spätestens, als ich davon hörte, war klar, ich könne nicht mehr nach Bamberg fahren und deshalb auch die Lesung morgen abend nicht halten; vielmehr wäre und i s t es absolut unumgänglich, daß ich selbst morgen bei dem Gerichtstermin erscheine. Möglicherweise wird Presse anwesend sein. Einige Feuilletonaille hat seinerzeit nahezu gejubelt über das Buchverbot. Da will ich diesen Richtern und Gegenanwälten klar, offen und fest – frei! – in die Augen schauen. Und wenn man mich fragt, werde ich meine Position erläutern. Zugleich werde ich mich, wie dem Kläger zugesichert, hinter die Persische Fassung stellen und auch den Vergleich abschließen, damit diese Angelegenheit endlich ihr Ende findet und nicht etwa nach Ablauf einer nun neuen Verjährungsfrist abermals vor Gericht geht. Das müßte sie aber, denn ein mit Strafbewehrung belegtes Künstlerleben ist wie ein Leben unter lebenslanger Vorstrafe, also ein ehrloses. Und ich bin kein Domestik. Ich habe mit meinem – für mich nach wie vor guten, intensiven und literargeschichtlich wichtigen – Buch niemals jemanden verletzen wollen. Hätte man mich damals vor Drucklegung gebeten, doch dieses und jenes n i c h t zu schreiben, das einer bestimmten Person zugerechnet werden könnte, so daß sie sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, ich hätte es verändert; ich sah seinerzeit aber überhaupt keinen Anlaß dazu und konnte auch keinen sehen. Dennoch h a t das Buch verletzt, und zwar dort, wo ich es nun am allerwenigsten hätte haben wollen, bzw. weiterhin haben will. Ob die Angelegenheit nun objektiv eine Verletzung darstellt oder nicht, spielt für mich keine Rolle. Das ist die Lage. Der Kläger will nun in den Vergleich auf die Persische Fassung gerichtlich einwilligen.

Das war der schwere Tag. Morgen nachmittag wird es hoffentlich vorbeisein. Gearbeitet habe ich außer bißchen hexametrischer Fisselarbeit nach der Früharbeit nichts mehr. Wie auch?

[*) S o l l t e der Satz gefallen sein, bestätigte mir das die V a l e n z meines Romanes.
Möglicherweise trifft sie ganz andere Personen ganz anders als tatsächlich den Kläger;
möglicherweise hat mein Roman tatsächlich eine Tiefe erreicht, die unmittelbar in den
Lesern wirkt und es sie wünschen läßt, daß derartige Inquisitionen durchgeführt werden. Es
wäre dann eine Angst vor etwas in den Leuten selbst, das auf gar keinen Fall laut werden, sondern
verschwiegen werden soll. Mein Buch aber verrät und deckt es auf.
Möglicherweise. Genau so etwas aber ist die Aufgabe und Wirkungsfähigkeit von Kunst.
(Zur Poetologie.)]

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