Arbeitsjournal. Mittwoch, der 1. August 2007.

5.13 Uhr:
[Am Terrarrium.]
Heut früh arbeite ich ein wenig hier im Wohnzimmer, weil ein Netzzugang in der Arbeitswohnung momentan wieder sehr ungewiß ist und ich >>>> von gestern nach-einstellen (ab 13.45 Uhr) wollte. Zumal >>>> deshalb.
Jetzt hab ich’s getan und geh erst mal vor die Tür, um meine Morgenzigarette zu rauchen: mit dem Pöttchen Kaffee in der Hand auf die Schönhauser Allee.

5.32 Uhr:
Da sieht’s grad s o aus:Ich hab gute Ruhe heute früh, weil ich gestern, so mittagsverschlafend und dann wild herum putzteufelnd (den Konstantin Wecker kaum milder mitgrölend), dennoch die Zehnte Bamberger noch fertigbekommen habe und heute also, mit der Elften, eh neu anfange. Wobei ich, bezüglich des Schlusses der Zehnten, den ich vielleicht heute im Laufe des Tages noch einstelle, zugeben muß, daß es zumindest pikant ist, aus der >>>> Wilden Jagd, also Nordgöttern und ihren Geistern, Engel gemacht zu haben; es entschuldigt mich allerdings sehr, daß das absichtlich passiert ist. Seit dem >>>> Engelgedicht lassen mich diese Flügler nämlich nicht mehr recht los, und wenn schon die Christianisierung permanent überblendet hat, Faune, Pukas und Sartyrn werden zum Teufel usw., dann werd ich ja wohl rücküberblenden dürfen. Außerdem ist in >>>> dieser Ausgabe das Engelgedicht enthalten. Im übrigen hat sie mit den vier „Orient“-Gedichten eine Überschneidung mit der >>>> Ausgabe der Liebesgedichte bei >>>> dielmann; die anderen Gedichte darin sind bislang unveröffentlicht gewesen im Printmedium.

Zur Wilden Jagd noch >>>> dieser Link, der indirekt auch gleich wieder >>>> in die Musik führt, die mich nicht nur mit >>>> Jacobsen>s Text erstmals bekannt, sondern dann, auseinanderbrechend, zum von Neuer Musik lebenslang Behexten gemacht hat.

6.58 Uhr:
Ich hab mich gerade entschieden, aus der Zehnten n i c h t s mehr auf der Dschungel-HauptSite einzustellen, einfach deshalb, zum einen, weil mir sonst der werbliche Hinweis verloren geht; andererseits, weil ich ab nachher sehr wahrscheinlich – wie immer, wenn ich mich auf etwas konzentrier – mehr von der Elften als von der Zehnen be“nomm“en sein werde und dann lieber von ihr etwas einstellen werde. Deshalb, um Ihnen meine Geister-Götter-Engel-Anspielung, incl. Jacobsen, etwas zu illustrieren, hier nur der Anfang des Finales der Zehnten:

Engel allein, | die es nicht gibt, | können noch retten –
unmo(v)ralische wilde, verwegene, lose, um Einkunft
nicht, | nicht um Karriere, um Macht nicht bekümmert, die sterben
eher als ruhen – es lockt sie der Swimmingpool nicht und der Cocktail;
sie lockt der Rausch, lockt Ekstase – die See lockt sie, wie der Vulkan
an ihren Wellen sein Feuer (v) reibt, um zu spüren, ob’s hält.
Wären wir ewig, wir sähen’s dem All an und säßen den Engeln
zwischen den ausge(v)breiteten Schwingen der Zeit auf dem Rücken,
reisten so mit ihnen mit in der Quere, durchquerten Geburt,
Sternengeburt um Geburt, und gebärten fast selber vor Anschaun,
stürben fast selbst vor erstaunter Beschämung, und dankbarer zeugten
wir unsre Kinder, die unbesorgt wären, zwar grundlos so sorglos,
gut aber sorglos; mit Stirnen, die offene Leinwände sind
oder wie Segel an Dreimastern prall, wenn der Wind geht, der Engel –
sie, nicht der Luftdruck, (v) treiben das schwere Gewölk vor sich her,
ziehen vor meinem erschrockenen Blick dieses Gold von den Scheiben;
trollhaft, geschwollener Backen, so blasen sie höhnisch halb, halb uns
zugetan, sensationelle (v) Gesellen, die temperamentvoll
unstet die Vormittagssonne im Kreis drehn, durch die Tropo(v)sphäre,
fachen das Licht aus der Blässe und ziehn über Bamberg dahin,
(…)

7.32 Uhr:
>>>> Dies ist zu ergänzen. Da ich selbst, aus Liebe zu jemandem, nicht etwa aus Einsicht in die „Sache“-für-sich, das Tagebuch nicht mehr weiterschreiben kann, bin ich sehr dankbar, daß bislang zwei andere es zu tun übernommen haben. Wobei ich selbst, schriebe ich das Tagebuch noch, sehr viel radikaler mit der Veröffentlichung meines „Privaten“ umginge – und zwar u m so radikaler, je schärfer oder sanktionierender die Widerstände oder Urteile sind – daneben immer klar in der Arbeit bleibend, ja arbeitend, hart, sowieso. Was erreicht werden soll, ist, daß Fassaden, die auch ein Werk aufrichtet, und zwar Fassaden der Person einstürzen – so daß grell deutlich wird, welch eine Differenz zwischen Werk und Urheber besteht, auf den es doch zugleich immer wieder zurückgeführt werden kann. Einer „Denkmalisierung“ wird so von vornherein das Podest entzogen; gleichzeitig wird deutlich, wie und daß private Umstände politische spiegeln… letztlich aber geht es um anthropologische Menschenbilder, denen radikale Tagebücher ihr Ideologisches entziehen – Versuche, als n u r jemand anderes dazustehen und wahrgenommen zu werden, als n u r der moralische/unmoralische/“saubere“ usw. Dichter, brechen dann in sich zusammen – und damit insgesamt die Vorstellung von Autonomie. Wichtig ist dabei, daß diesem Zusammenbruch der Fassaden etwas Handfestes gegenübersteht – ein Werk etwa, oder ein besonderes soziales/politisches Engagement, eine Forscher-Besessenheit, eine hohe Bildung usw., die eben n i c h t zusammenbrechen, obwohl das Tagebuch einen, sagen wir, nur schwachen oder mäßig starken Menschen zeigt.
Ich selber, wie gesagt, kann das jetzt aus persönlichen, liebenden Gründen der Rücksichtnahme nicht mehr leisten; das hat nichts mir einer wie auch immer milden Form von Korruption zu tun, sondern mit zärtlicher Rücksichtnahme; es kommt hierbei nicht auf mich an. Aber seien Sie sicher, ich würde, führte ich das Tagebuch weiter, bis in die Körpersekrete, bis in die Organe gehen, um das „runde Ich“ zu attackieren. Und es würde mich einen Dreck scheren, ob jemand das nun peinlich fände oder nicht. H a t man ja peinlich gefunden… ein Gesellschaftstanz des sozial trainierten Geschmacks, nicht mehr.

9.14 Uhr:
[Arbeitswohnung. Konstantin Wecker, Cigarillo & latte macchiato.]
Sò, die beiden Naßzellchen glänzen jetzt auch und riechen aseptisch wie die Luft eines OPs, die Domestos-Orgien feiert. Wunderbar dazu dieser AntiAseptiker Wecker, dieser Organiker, Organoniker, von dem UF mir heute schrieb, der Mann sei, persönlich, eine Naturgewalt. Jajaja, das denk ich eben auch, seinem sehr speziellen Kitsch sehr offen – jemand, den ich gern kennenlernte. Ich hatte die Idee, ihm, wenn sie denn erschienen sein werden, die BAMBERGER ELEGIEN zu schicken – manches darin, etwa wie die NeuErzählung von Männlichkeit, der Primat des Vitalismus, die Lust am Risiko und daran, sich überhaupt auf unsere Phänomene einzulassen und gegen den mainstream zu leben, und auch die abschiednehmende Melancholie mancher Verse könnte ihm nahsein. Man sollte schließlich nicht vergessen., wie dieser Sänger sein erstes Geld verdiente – und ich bin mir sicher, es hat ihm bisweilen Spaß und Lust gebracht -, daß er verknackt wurde, daß er sich tatsächlich den Teufel um gesellschaftliche Übereinkünft gekümmert hat. Na gut. Ich neige halt auch bisweilen zur Idolisierung.

Jetzt schreib ich, die Füße im Pflegebad, Briefe: an meine freundlichen, persönlichen Mäzene, die mit kleinem Geld immer wieder große Hilfe leisten, schicke ihnen von meinen Belegexemplaren der frz. Gedicht-Ausgabe, die ja insgesamt auf 200 Exemplare strikt limitiert ist, und das macht mir eine große Freude, sie zu schicken und daß ich dabei diesen Wecker hören kann – den aber gleich mein geliebter Dallapiccola ablösen wird, damit die gute Musik ihren Teil dazuspricht.

Ein guter, ein ruhiger, ein guter, ein leiser Tag ist das heute. Mein Temperament meditiert vor sich hin und freut sich über die hier in der Arbeitswohnung schimmernde Durchsichtigkeit. Daß Maclike heute nicht einmal online zu sein scheint, berührt mich gar nicht. Es ist keine Eile, etwas einzustellen.

10.13 Uhr:
Dallapiccola ist lauschende Seligkeit.

12.36 Uhr:
Noch nicht an die Elegie gekommen, sondern bislang nur Briefe geschrieben. Und das hier ist wichtig, das Gedicht drüber spukt mir immer noch im Kopf herum:

Gern altes Brot essen.

Danach dann Mittagsschlaf; in etwa anderthalb Stunden rollt UF hier ein.

19.17 Uhr:
[Am Terrarium.]
Den ganzen Nachmittag über gemeinsam Musik gehört…

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